Parteiverrat

Nachdem der erste Teil der Artikelserie die Rechtsgrundlagen des Parteiverrats, die neuere Rechtsprechung zu widerstreitenden Interessen und die konkrete Anwendung thematisiert hat, behandelt der zweite Teil die Frage, wie Sie Sicherungsmaßnahmen gegen Parteiverrat und die Vertretung widerstreitender Interessen umsetzen.

Für die praktische Umsetzung von Sicherungsmaßnahmen gegen Parteiverrat und die Vertretung widerstreitender Interessen ist neben einer gut strukturierten Mandatsannahme, die stets nach dem gleichen Muster ablaufen sollte, bestenfalls sogar verschriftlicht ist, auch ein gewisses „Stör- oder auch Bauchgefühl“ vonnöten. Dieses sollte nicht übergangen werden, sondern Anlass dafür sein, im Zweifel bei der Rechtsanwaltskammer nachzufragen.

1.    Sicherheit schützt vor Pflichtenverstoß

Der Parteiverrat wie auch die Doppelvertretung sind gefährlich, weil

  • der Gegner ggf. dies rügen könnte mit der Folge, dass das Mandat niedergelegt werden muss und nicht liquidiert werden kann (Verletzung der Aufklärungspflicht!!);
  • ein Strafverfahren gegen den Rechtsanwalt[1] eingeleitet werden könnte;
  • ein Berufsaufsichtsverfahren vor der zuständigen Rechtsanwaltskammer droht.

Auch kann das Vertretungsverbot nicht etwa abbedungen werden.

Dem Parteiverrat kann wirksam nur durch eine klare Organisation der Annahme eines Mandats begegnet werden. Es hilft dabei eine grundsätzlich durchzuführende Prüfung VOR jeder Annahme.

Prüfen Sie bspw. grundsätzlich bei Annahme – auch am Telefon! – eines Verkehrsmandates im Zivilrecht, ob der Fahrzeugführer identisch mit den anderen Beteiligten ist. Sicherheitshalber sollte bei einer Vertretung des Fahrzeugführers im Strafverfahren oder Ordnungswidrigkeitenverfahren keine zivilrechtliche Vertretung erfolgen.

2.    Aufklärung der Mandanten – so kann sie aussehen

Verwenden Sie zur Aufklärung der eigenen Mandantschaft ein ähnliches Formblatt.[2] Es erspart ausführliche Beratung, die zeitintensiv und kompliziert ist. Dies sollte möglichst vor der eigentlichen Besprechung erfolgen; damit ist klargestellt, wen Sie auch im Einzelnen beraten.

Vermeidung von Parteiverrat und Aufklärung über das Doppelvertretungsverbot[3]

Vorlage 

Informationen für unsere Mandanten Verkehrsunfall – mehrere Beteiligte

Sehr geehrte Mandantin, sehr geehrter Mandant,

da das Verkehrsrecht ein sehr kompliziertes Rechtsgebiet ist, wollen wir Sie für den Fall, dass der Fahrzeugführer nicht identisch mit den weiteren durch den Unfall Geschädigten ist, über Folgendes aufklären:

Allein auf der Geschädigtenseite ist schon eine Mehrzahl von Beteiligten denkbar. Natürlich kann alles in einer Person liegen. Allerdings ist durch die inzwischen üblichen Finanzierungsgeschäfte beim Autokauf der Eigentümer häufig nicht identisch mit dem Halter oder gar mit dem Fahrer. Gleiches gilt natürlich auch für den Unfallgegner:

Parteiverrat

Weiterhin bestehen auch im versicherungsrechtlichen Bereich mehrere Beteiligte:

Parteiverrat

Grafisch darstellen lassen sich auch etwaige Schadensersatzansprüche des am Körper oder Eigentum Verletzten:

Parteiverrat

Hieraus ist ersichtlich, dass jeder, der ein eigenes Interesse hat, auch von einer/m Rechtsanwältin/Rechtsanwalt vertreten werden muss. Eine Doppelvertretung ist nicht erlaubt. Zwar wird in der Praxis aus Bequemlichkeit, Unkenntnis oder Ignoranz von diesem Vertretungsverbot oft abgesehen, aber dies ist gefährlich,

  • weil der Gegner dies rügen könnte, mit der Folge, dass das Mandat niedergelegt werden muss und nicht mehr von mir weiterbearbeitet werden kann; Sie müssten sich daher eine weitere anwaltliche Vertretung suchen;
  • ein Strafverfahren eingeleitet werden könnte;
  • ein Berufsaufsichtsverfahren für mich droht.

Auch kann das Vertretungsverbot nicht etwa ausgeschlossen werden[4] – selbst im Nachhinein ist das nicht möglich –, wenn beispielsweise das Strafverfahren folgenlos eingestellt worden ist. Selbst Ihr Einverständnis würde an dieser Lage leider auch nichts ändern.

Wir raten Ihnen daher zu entscheiden, welches Mandat Sie uns übertragen wollen. Da ich als Fachanwältin im Strafrecht und Verkehrsrecht sicherlich über eine besondere Qualifikation auf dem strafrechtlichen und ordnungsrechtlichen Gebiet verfüge, ist die Übertragung eines Mandates für Fahrzeugführer sicherlich naheliegender. Natürlich kann ich aber auch die zivilrechtliche Geltendmachung Ihrer Schäden übernehmen; dann ist jedoch die Übernahme eines Mandates für den Fahrzeugführer ausgeschlossen.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.

3.    Offene Fragen

Probleme stellen sich im Bereich von Akteneinsichten, die im Auftrag der Mandanten/Mandantinnen eingeholt werden (Bespiel: Akte von der Staatsanwaltschaft oder Gutachten etc., die für die Geltendmachung erforderlich sind):

  • Parteiverrat, wenn im Auftrag der gegnerischen Haftpflichtversicherung die Akteneinsicht kopiert, übersandt und abgerechnet wird?
  • Pflichtwidriges Dienen eines Strafverteidigers bereits durch Akteneinsicht[5]?
  • Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch Kopieren im Copyshop?[6] Merke: Der Copyshop-Mitarbeiter ist nicht Mitarbeiter des Rechtsanwalts!

Auch wenn hier die Antworten nicht sofort auf der Hand liegen, sollte stets geprüft werden, in wessen Interesse tatsächlich gehandelt wird.

Kontrollfrage aus Sicht des Mandanten kann sein: Wenn der Gegner meinem Rechtsanwalt einen Auftrag gibt, handelt er dann noch in meinem Interesse, wenn er diesen annimmt?

Eine Kooperation mit anderen Kollegen hilft, um die Abwicklung der Mandate möglichst reibungslos zu ermöglichen. Räumliche und fachliche Nähe sind dabei hilfreich.

Es sollte übrigens immer geprüft werden, ob der Mandant zuvor einen anderen Rechtsanwalt beauftragt hatte, weil hier Berufspflichten, wie die Information der Kollegen zu beachten sind. Es gehört also nicht nur zum kollegialen Umgang miteinander, dem bislang beauftragten Kollegen die Mandatsübernahme anzuzeigen, sondern dies auch schnellstmöglich zu tun. Allerdings dürfte diese Pflicht nicht bestehen, wenn der Mandant das Mandat bereits gekündigt hatte und Zustellungen durch die Gerichte nicht zu erwarten stehen.[7] Dennoch sollte die Kollisionsprüfung zur Verhinderung der Doppelvertretung in jedem Falle ebenfalls durchgeführt und auch dokumentiert werden.

[1] Die weibliche oder männliche Form wird erratisch verwendet; stets sind alle Geschlechter gemeint.

[2] Muster nach Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 48 und unter Unfallregulierung, Doppelvertretung, Rn 5.

[3] Siehe auch Muster nach Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 48.

[4] AnwaltFormulare/Buschbell, § 53 Rn 6.

[5] Dies bejaht das OLG Hamburg[5] insoweit, als in den Akteneinsichtsgesuchen auch ein pflichtwidriges Dienen durch Rat und Beistand liegen kann, da jede berufliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts, durch die das Interesse einer Partei gefördert werden soll unter Vorlage einer Verteidigervollmacht ebenso wie die Informationsbeschaffung und Sachverhaltsaufklärung im Rahmen eines Mandats hierunter fällt. Dies gilt auch, wenn der Rechtsbeistand die Informationen durch Akteneinsicht erlangt. Darüber hinaus sei – anders als bei § 356 Abs. 2 StGB – ein Nachteil für oder eine Gefährdung der Interessen der anderen Partei nicht erforderlich.

[6] Berliner Anwaltsblatt 2011, 379.

[7] Vgl. auch Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 45.

Foto: Adobe Stock/fizkes 

Mit dem MkG-Newsletter erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr
pünktlich zur Veröffentlichung per Mail – zu Themen, die Sie weiterbringen:

  • Aktuelle Gesetzesänderungen,
  • Tipps zur optimalen Abrechnung,
  • Karrierechancen, Kanzleiführung u. v. m.