Prozessrisikoaufklärung

Von Peter Schönberger

Vor einiger Zeit stand ich vor einem kleinen – vermeintlich – harmlosen Eingriff durch einen Kieferchirurgen. Nach entsprechender Aufklärung durch den behandelnden Arzt u. a. über die Möglichkeit eines Herzstillstandes und generell schwerer gesundheitlicher Schäden war ich entsprechend verunsichert bis verängstigt. Sofort stellte sich mir die Frage, ob ich als Rechtsanwalt im Rahmen meiner Aufklärungsgespräche ähnliche Verunsicherung auslöse bzw. wie ich diese möglichst vermeiden kann. Nachfolgend einige Gedanken, wie eine „ausgewogene“ Risikobelehrung in der Praxis gelingen kann.

Rechtliche Grundlagen zur Aufklärungspflicht

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben nach den Berufsregeln, insbesondere der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), die Pflicht, ihre Mandantschaft umfassend zu beraten und über die Risiken und Chancen eines Rechtsstreits zu informieren. Zudem enthält das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) Vorschriften, die sicherstellen, dass Vertragsparteien, einschließlich Anwältinnen und Anwälte, ihren Vertragspartner über wesentliche Umstände aufklären müssen (§§ 280, 311 BGB). Dies können auch die Risiken eines Rechtsstreits betreffen, wenn es um die Beauftragung eines Anwalts bzw. einer Anwältin geht.

Der Auftraggeber eines Rechtsanwalts muss eigenverantwortlich über Art und Weise einer gerichtlichen Rechtsverfolgung entscheiden können. Soweit er hierzu nicht in der Lage ist, muss der Rechtsanwalt ihn über die Notwendigkeit, Erfolgsaussichten und Gefahren eines Rechtsstreits ins Bild setzen (Sieg, in: Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rn. 631). Der Inhalt der Pflicht, über das Prozessrisiko aufzuklären, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Rechtsanwalt muss allerdings konkret beschreiben, woraus sich ein Prozessrisiko ergibt. Er muss über Unsicherheiten aufklären, die daraus folgen können, dass eine Rechtsfrage von der Bewertung der Umstände des Einzelfalls abhängt (Sieg a. a. O. Rn. 637)

Vertrauensaufbau ist die volle Miete

Aus der dargestellten Rechtslage erkennt man schnell, dass es für einen Anwalt kaum greifbar ist, ob er im Einzelfall hinreichend seine Aufklärungspflichten erfüllt hat. Diese Unsicherheit treibt Anwältinnen und Anwälte – wie eben auch medizinisches Personal – geradezu in übertriebene Aufklärungsgespräche, die den Rechtsratsuchenden die Hoffnung auf einen aussichtsreichen Ausgang des Prozesses nehmen. Dies sollte durch einen entsprechenden Vertrauensaufbau in der Beziehung zwischen Anwalt bzw. Anwältin und Ratsuchenden vermieden werden. Je mehr Vertrauen, umso weniger hart muss die Aufklärung sein, um einerseits die Mandantschaft hinreichend zu informieren und sie andererseits nicht übermäßig in Angst und Schrecken zu versetzen.

Der Vertrauensaufbau zwischen einem Rechtsanwalt und einem Mandanten bildet das Fundament für eine effektive Prozessrisikoaufklärung. Ein vertrauensvolles Anwalts-Mandanten-Verhältnis ist entscheidend, um sicherzustellen, dass der Mandant bereit ist, wichtige Informationen zu teilen, Bedenken zu äußern und die Ratschläge des Anwalts anzunehmen. Hier sind einige Schlüsselaspekte des Vertrauensaufbaus:

MKG Magazin: Über Prozessrisiken aufklären, ohne abzuschrecken – so gelingt es

Lesen Sie in dieser Ausgabe des MkG Berichte über geldwäscherechtliche Pflichten für Anwaltskanzleien, LL. M.-Studiengänge im Strafrecht, Podcasts für junge Juristinnen und Juristen und weitere Themen.

Hier gratis downloaden

Empathische Kommunikation: Ein Anwalt sollte einfühlsam und aufmerksam zuhören, um die Sorgen, Bedenken und Ziele des Mandanten zu verstehen. Dies erfordert Geduld und die Fähigkeit, sich in die Lage des Mandanten zu versetzen.

Offenheit und Transparenz: Eine Anwältin sollte von Anfang an offen und transparent über den Prozess, die Risiken und die Kosten sprechen. Es ist wichtig, realistische Erwartungen zu setzen und dem Mandanten einen klaren Einblick in den Verlauf des Verfahrens zu ermöglichen.

Vertraulichkeit: Der Schutz der Vertraulichkeit ist von größter Bedeutung. Der Mandant muss sich darauf verlassen können, dass alles, was im Rahmen der Beratung besprochen wird, vertraulich behandelt wird. Dies stärkt das Gefühl der Sicherheit und schafft ein Umfeld, in dem der Mandant offen sprechen kann.

Kompetenz und Fachwissen: Ein Anwalt sollte seine Fachkompetenz und sein juristisches Wissen deutlich demonstrieren. Dies vermittelt dem Mandanten Vertrauen in die Fähigkeiten des Anwalts, seinen Fall effektiv zu vertreten.

Zeit und Engagement: Zeit ist ein kostbares Gut. Eine Anwältin sollte sich ausreichend Zeit nehmen, um die Bedürfnisse und Anliegen des Mandanten zu verstehen. Eine engagierte Anwältin zeigt, dass sie das Beste für ihren Mandanten erreichen möchte.

Klare Kommunikation: Die Kommunikation sollte klar und verständlich sein. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sollten Fachjargon vermeiden und rechtliche Konzepte verständlich erklären, damit der Mandant in der Lage ist, informierte Entscheidungen zu treffen.

Ehrlichkeit und Integrität: Ein Anwalt sollte immer ehrlich und aufrichtig sein. Es ist wichtig, keine unrealistischen Versprechungen zu machen und auf mögliche Schwierigkeiten hinzuweisen, auch wenn sie unangenehm sind.

Optionen und Alternativen präsentieren: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sollten nicht nur Risiken aufzeigen, sondern auch verschiedene Optionen und Alternativen präsentieren. Dies ermöglicht Mandanten, fundierte Entscheidungen zu treffen und ein Gefühl von Kontrolle zu behalten.

Unterschiedliche Schwerpunkte in der Aufklärung

Die Frage, worauf Anwältinnen und Anwälte ihre Aufklärungsschwerpunkte setzen sollten, hängt auch davon ab, welcher Streitfall der Aufklärung zugrunde liegt und ob es sich um ein Stundenmandat oder ein Mandat handelt, das nach Gebührenordnung abgerechnet wird:

Wirtschaftliche Streitfälle

In wirtschaftlichen Streitfällen mit Stundenmandat ist eine klare Kommunikation über die erwarteten Kosten und den Zeitaufwand von entscheidender Bedeutung. Die Mandantschaft sollte von Anfang an verstehen, wie die Kosten berechnet werden und wie sie ihre finanziellen Ressourcen effizient nutzen kann. Es ist wichtig, transparent und zeitnah die Rechnungen zu stellen und regelmäßig über den Fortschritt und die damit verbundenen Kosten zu informieren.

In wirtschaftlichen Streitfällen nach RGV sollten Anwältinnen und Anwälte die Gebührenstruktur des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes transparent erläutern. Die Mandantschaft sollten über die festgelegten Gebühren und mögliche Zusatzkosten informiert werden. Es ist wichtig, realistische Erwartungen in Bezug auf die finanziellen Auswirkungen des Verfahrens zu setzen.

Private Streitfälle

In privaten Streitfällen, insbesondere bei persönlichen Angelegenheiten wie Familien- oder Erbschaftsangelegenheiten, ist zusätzlich zu den dargelegten Punkten bei wirtschaftlichen Streitfällen besondere Sensibilität gefragt. Anwältinnen und Anwälte sollten nicht nur rechtliche Aspekte, sondern auch emotionale Belange berücksichtigen. Die Kommunikation sollte auf die individuellen Bedürfnisse der Mandantschaft zugeschnitten sein, wobei das emotionale Wohlbefinden ebenso wichtig ist wie die rechtliche Unterstützung.

„Was würden Sie an meiner Stelle tun?“

Dies ist eine der häufigsten Fragen sowohl an medizinische als auch an juristische Fachleute. In meiner eigenen Tätigkeit hat sich die Beantwortung dieser Frage mit zunehmender Berufserfahrung verändert. Da ein starker Impuls für mich als Anwalt darin besteht, hier eine Auskunft zu geben, die die Mandantschaft auch wirklich zufriedenstellt, habe ich in den ersten Jahren tatsächlich selbst beschrieben, wie ich mich wahrscheinlich verhalten würde, wenn ich „in den Schuhen des Mandanten“ stecken würde. Davon rate ich nun ab. Die Antwort stellt eine besondere Verbindlichkeit her, an die sich die Mandanten besonders dann erinnern, wenn der Fall anders als erwartet läuft. Daher antworte ich auf solch eine Frage heute, dass ich eben nicht der Mandant bin und nur möglichst objektiv alle Fakten darstellen kann, die der Mandant für eine eigene Entscheidung benötigt.

Fazit: Vertrauen schaffen statt Angst schüren

Sie müssen nicht „den Teufel an die Wand malen“ und jedes erdenkbare Schreckensszenario ausbreiten, wenn Sie eine Vertrauensbeziehung zur Mandantschaft aufgebaut haben. Dies kann mit den dargestellten Mitteln recht schnell erfolgen und ist eine gute Basis dafür, dass ein Mandant einen schlechten Verlauf des Prozesses bis hin zur absoluten Niederlage nicht Ihnen persönlich anlastet. Der Vorteil einer guten Vertrauensbasis ist im Übrigen zudem, dass Sie Vergleichslösungen Ihrer Mandantschaft gegenüber besser verargumentieren können, denn der beste Vergleich ist bekanntlich derjenige, bei dem beide Parteien Nachteile hinnehmen müssen.

Checkliste für die Aufklärung der Mandantschaft zu Prozessrisiken

Checkliste jetzt downloaden

Weitere Beiträge

Peter Schönberger studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach dem Staatsexamen arbeitete er einige Jahre als Repetitor für Zivilrecht und Gesellschaftsrecht sowie in einer internationalen Kanzlei. Herr Schönberger verhandelte viele Jahre internationale M&A Deals als Leiter einer Konzernrechtsabteilung und ist heute insbesondere im Gesundheitswesen als Personalberater und Coach für Führungskräfte tätig.

 

Bild: Adobe Stock/©amnaj

Mit dem MkG-Newsletter erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr
pünktlich zur Veröffentlichung per Mail – zu Themen, die Sie weiterbringen:

  • Aktuelle Gesetzesänderungen,
  • Tipps zur optimalen Abrechnung,
  • Karrierechancen, Kanzleiführung u. v. m.