Von Pia Nicklas
Viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben neben dem Studium und Referendariat eine Mediationsausbildung absolviert. Die meisten von ihnen sind allerdings nicht hauptsächlich als Mediatoren oder Mediatorinnen tätig. Für diejenigen ohne Mediationsausbildung stellt sich die Frage, ob die Ausbildungsinhalte für den anwaltlichen Alltag nicht grundsätzlich für alle sinnvoll sein können?
Diese Frage kann mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden, denn auch außerhalb des klassischen Mediationsverfahrens können Mediationsmethoden sowie Mediationstechniken im Mandat zum Erfolg verhelfen – sowohl im Verhältnis zum Mandanten als auch bei Verhandlungen mit der Gegenseite. Notwendig ist eine Mediationsausbildung nicht zwangsläufig, um Mediationsmethoden und Mediationstechniken anwenden zu können. Auch ohne eine Ausbildung können sich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verschiedenste Mediationswerkzeuge aneignen. In diesem Beitrag sollen ausgewählte Werkzeuge vorgestellt werden.
Rechtsanwalt und Mediator zugleich – ein Widerspruch?
Da die klassische Mediation darauf abzielt, ein Gerichtsverfahren gerade zu vermeiden, stellt sich die Frage, ob sich typische Verhandlungsstrategien und Prozesstaktiken und Mediation nicht eigentlich gegenseitig ausschließen? Rechtsanwälte oder Rechtsanwältinnen sind den Parteien gegenüber eben nicht neutral, so wie es bei einem klassischen Mediator der Fall ist. An dieser Stelle muss allerdings unterschieden werden, ob man tatsächlich als Mediator in einem klassischen Mediationsverfahren auftritt oder ob man gerade nur die Methoden und Techniken verwendet, die in einem klassischen Mediationsverfahren üblicherweise herangezogen werden.
Wenn man sich vor Augen führt, dass es die Aufgabe eines jeden Rechtsanwaltes und einer jeden Rechtsanwältin ist, das Beste für den Mandanten oder die Mandantin herauszuholen – gerade auch in finanzieller Hinsicht – erscheint die Anwendung von Mediationsmethoden und Mediationstechniken im klassischen Mandat gar nicht mehr so abwegig. § 1 Abs. 3 der BORA sieht außerdem vor, dass der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin einen Mandanten konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten hat. So gehören auch die Konfliktvermeidung und die Streitschlichtung bereits zur anwaltlichen Berufspflicht. Ziel sollte es daher immer sein, ein Gerichtsverfahren, wenn möglich, zu vermeiden. Die Anwendung von Mediationsmethoden und Mediationstechniken kann helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Vorteile der Anwendung von Mediationsmethoden und Mediationstechniken?
Durch die gezielte Anwendung von Mediationstechniken kann es den Beteiligten gelingen, eine nachhaltige Lösung zu entwickeln, die den Interessen Aller gerecht wird und somit als positiv empfunden wird. Ein langwieriges Verfahren, das oft eher in einem Kompromiss als in einem Konsens endet, kann auf diese Weise möglicherweise sogar ganz vermieden werden.
Mediationsmethoden und Mediationstechniken – welche gibt es?
Im Rahmen eines Mandats kann es in der Kommunikation zwischen uneinigen Parteien immer wieder zu schwierigen Situationen kommen. Hier kann es sinnvoll sein, auch außerhalb des klassischen Mediationsverfahrens als „Mediator“ aufzutreten. Ziel einer Mediation ist es immer, die Parteien dabei zu unterstützen, eigene Konfliktlösungen zu finden, die von allen Beteiligten als fair empfunden werden. Hilfreich ist es an dieser Stelle, die Abläufe von Kommunikationsprozessen zu kennen sowie auf verschiedene Mediationsmethoden sowie Mediationstechniken zurückzugreifen.
Mediationsmethoden im Überblick
Auf folgende Mediationsmethoden kann zurückgegriffen werden:
- Konflikteskalation nach Glasl
- Harvard Verhandlungskonzept
- Regeln der gewaltfreien Kommunikation
- Konsensmodell
- Themenzentrierte Interaktion
- Delfinstrategie
- Reklamationsmanagement
- Nachrichtenmodell nach Schulz von Thun
- Verhandlungs-Reframing
Konflikteskalation nach Glasl
Zur Veranschaulichung soll an dieser Stelle exemplarisch auf die Konflikteskalation nach Glasl eingegangen werden. Kern dieser Mediationsmethode ist das sog. „Gegensteuern“ in einem Konflikt. Geschieht dies nicht, können sich Konflikte verhärten und schließlich zu einer Zersplitterung führen.
Grundlage des Eskalationsstufenmodells von Glasl ist die Unterteilung in drei Hauptebenen, denen jeweils drei Eskalationsstufen zugeordnet werden können.
1. Hauptebene (Win-Win)
Auf der ersten Hauptebene existiert noch ein sachlicher Austausch, welcher es den Konfliktparteien erlaubt, bei Meinungsverschiedenheiten einen positiven Ausgang zu erreichen. Der ersten Hauptebene werden die ersten drei Eskalationsstufen zugeordnet:
Stufe 1: Verhärtung
Auf der ersten Stufe kommt es zu ersten Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Parteien, welche von den Beteiligten jedoch noch nicht als Konflikt wahrgenommen werden.
Stufe 2: Debatte
Die zweite Stufe ist von einem typischen Schwarz-Weiß-Denken geprägt. Findet an dieser Stelle keine Einigung statt, verschärft sich der Konflikt und es entwickelt sich ein Streit.
Stufe 3: Taten statt Worte
Auf der dritten Stufe verschärft sich der Konflikt noch einmal deutlich. Argumente werden nicht mehr als solche wahrgenommen, da die eigene Meinung durchgesetzt werden möchte. Oftmals herrscht auch Schweigen bzw. bewusstes Ignorieren.
2. Hauptebene (Win-Lose)
Auf der zweiten Hauptebene herrscht bereits eine destruktive und subjektive Sphäre, weshalb ein sachlicher Austausch nicht mehr möglich ist. Es ist jedoch noch immer möglich, von außen eine Lösung für den Konflikt zu finden, da sich die Konfliktparteien noch ihre moralischen Instanzen bewahren konnten. Konflikte auf der zweiten Hauptebene enden typischerweise mit einem Verlierer und einem Gewinner. Der zweiten Hauptebene kann Eskalationsstufe vier bis sechs zugeordnet werden:
Stufe 4: Sorge um das Image
Auf der vierten Stufe suchen sich die Beteiligten Unterstützung bei Verbündeten zur Stärkung des eigenen Standpunktes (Koalitionen). Die Verbündeten sollen dabei helfen, den Konfliktgegner von der eigenen Meinung zu überzeugen. Ab jetzt steht nicht mehr das Finden einer Lösung im Mittelpunkt, sondern das „Gewinnen“ des Konfliktes. Eine sachliche Klärung ist kaum mehr möglich.
Stufe 5: Gesichtsverlust
Auf Stufe fünf werden direkte und persönliche Angriffe dazu genutzt, um den Anderen bloßzustellen, so dass dieser sein Gesicht verliert. Im Mittelpunkt steht der Wegfall der Moral sowie des gegenseitigen Vertrauens. Für logische Argumente sind die Konfliktparteien nicht mehr zugänglich.
Stufe 6: Drohstrategien
Auf Stufe sechs beginnen die Beteiligten, sich gegenseitig zu drohen, um jeweils die Kontrolle zu behalten.
3. Hauptebene (Lose-Lose)
Die dritte Phase wird schließlich bestimmt durch fehlende Selbstbeherrschung, Verwerfungen und Verletzungen. Sie wird vor allem dadurch charakterisiert, dass beide Parteien selbstzerstörerisch agieren und dabei ihr Gesicht verlieren. Der dritten Hauptebene wird dabei Eskalationsstufe sieben bis neun zugeordnet:
Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge
Auf der siebten Stufe beginnen die beteiligten Konfliktparteien dem Gegenüber Schaden zuzufügen. Auch ein eigener Schaden wird dabei billigend in Kauf genommen. Es geht längst nicht mehr um die Ursache des Konflikts.
Stufe 8: Zersplitterung
Auf der achten Stufe verfolgen die Beteiligten das Ziel, das feindliche System zu zerstören. Physisch-materielle, seelisch-soziale und geistige Attacken sowie Vernichtungsaktionen sind in dieser Konfliktstufe üblich.
Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund
Auf der neunten und letzten Eskalationsstufe kommt es zur totalen Konfrontation, bei der auch Selbstvernichtung in Kauf genommen wird. Die Lösung des Konfliktes ist ohne außenstehende Hilfe nicht möglich, da die Situation zu emotional geworden ist. Jedes weitere Gespräch würde zu einer weiteren Eskalation führen.
Strategien zur Deeskalation
Damit es gar nicht erst soweit kommt, können Konflikte anhand des Modells zur Konflikteskalation von Friedrich Glasl gelöst werden. Je nachdem, auf welcher Stufe sich die Konfliktparteien befinden, existieren verschiedene Lösungsansätze:
- Stufe 1 bis 3: Moderation und Coaching
- Stufe 3 bis 5: Externe Prozessbegleitung und Vermittlung
- Stufe 4 bis 6: Externe sozio-therapeutische Maßnahmen
- Stufe 5 bis 7: Professionelle Vermittlung und Mediation
- Stufe 6 bis 8: Freiwilliges/verpflichtendes Schiedsverfahren oder gerichtliches Verfahren
- Stufe 7 bis 9: Machteingriff von oben
Mediationstechniken im Überblick
Intuitiv und bedarfsgerecht sollen im Rahmen der verschiedenen Mediationsmethoden auch unterschiedliche Mediationstechniken eingesetzt werden. Zu den grundlegenden Mediationstechniken gehören verschiedene Arten der Intervention und Gesprächsführung, die dem „Mediator“ zur Verfügung stehen. Eine Abgrenzung ist allerdings schwierig. Oft besteht zwischen den folgenden Techniken ein fließender Übergang:
- Gesprächs- und Verfahrensstrukturierung
- Aktives Zuhören
- Einzelgespräche
- Coaching
- Doppeln
- Fragetechniken (u. a. zirkuläres Fragen)
- Feedback
- Systemische Intervention
- Gruppenarbeit
- Klärungshilfe
- Konfliktmanagement
- Konfliktberatung
- Ich-Botschaften
- Moderation
- Prozessbegleitung
- Paraphrasieren (Spiegeln, Loopen, Verbalisieren, Umformulieren)
- Perspektivwechsel
- Reflexion
- Reframing
- Supervision
- Visualisierung
- Zielorientierung
Mediationstechniken im Einzelnen
Im Folgenden sollen zur Veranschaulichung zwei Mediationstechniken herausgegriffen und erläutert werden, die gerade auch für Berufseinsteiger und -einsteigerinnen einfach zu erlernen sind.
Aktives Zuhören
Ein bekanntes Sprichwort lautet: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Da in jedem Sprichwort ein Fünkchen Wahrheit steckt, lässt es sich im übertragenen Sinne auf die Mediationstechnik „Aktives Zuhören“ anwenden. In vielen Verhandlungen liegt der Schwerpunkt auf der richtigen Argumentation. Argumentation ist zwar selbstverständlich sehr wichtig, jedoch haben Argumente den Nachteil, dass es nicht immer ein Gegenargument gibt. Sich um „Kopf und Kragen“ zu reden hat noch selten zum Erfolg geführt. „Aktives Zuhören“ dagegen führt dazu, dass das Gehörte noch einmal in eigenen Worten wiederholt wird. Dadurch können einerseits Intentionen und Gedanken des Gesprächspartners besser nachvollzogen werden. Andererseits hat die Gegenseite so die Möglichkeit, fehlende Punkte zu ergänzen und Missverständnisse auszuräumen. Man fühlt sich automatisch besser verstanden. Auf diese Weise erhalten beide Parteien ein besseres Bild von der gesamten Verhandlungssituation. Es ergeben sich oft ganz neue Optionen. Beispielsweise kann der Fokus wieder auf die eigentlichen Themen gelenkt werden, wenn dieser abhandengekommen ist.
Fragetechniken: interessiert statt inquisitorisch
Zusätzlich zum „Aktiven Zuhören“ können gezielte Fragen als Mediationstechnik eingebaut werden. Gemeint sind hier nicht provozierende oder gar drängende Fragen, die den Eindruck erwecken, den anderen in Widersprüche verwickeln zu wollen, sondern freundliche und nicht inquisitorische Fragen auf Augenhöhe, die zeigen, dass ein echtes Interesse an der Antwort besteht.
Fazit: Mediationswissen bietet auch außerhalb eines Mediationsverfahrens echten Mehrwert
Anhand der genannten Beispiele erkennt man, dass nicht zwingend eine Mediationsausbildung absolviert werden muss, um Mediationsmethoden sowie Mediationstechniken im laufenden Mandat anwenden zu können – und damit womöglich sogar einen langwierigen teuren Prozess zu verhindern. Verfügt man über ausreichend Empathie, ist dies häufig schon die halbe Miete. Denn empathische Menschen nutzen oft Mediationstechniken, ohne dies bewusst beabsichtigt zu haben. Eine Mediationsausbildung hilft, beispielsweise durch Rollenspiele, bestimmte Techniken zu üben oder durch das Miterleben von echten Mediationen in der Praxis ein Gefühl für die Anwendung zu bekommen. Jedoch nützt die beste Ausbildung nichts, wenn das Gelernte nicht in Verhandlungen mit der Gegenseite oder im Gespräch mit den eigenen Mandantinnen und Mandanten immer wieder geübt und angewendet wird. Eine gewisse Authentizität ist an dieser Stelle nicht zu unterschätzen.
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Pia Nicklas hat Rechtswissenschaften in Bayreuth und Wirtschaftsrecht an der Fernuniversität Hagen studiert. Sie arbeitete erst als Werkstudentin und nach Ihrem Abschluss als Wirtschaftsjuristin im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen. Nach einem kurzen Ausflug in die Kanzleiwelt und in ein großes Wirtschaftsunternehmen, ist sie seit Anfang 2020 als freiberufliche Fachtexterin im juristischen Bereich tätig.