Von Romy Graske
Die Tätigkeit in einem Unternehmen dürfte in Zukunft stärker in den Fokus junger Juristinnen und Juristen rücken – denn immer mehr Unternehmen stellen Nachwuchstalente mit juristischem Hintergrund in ihren Rechtsabteilungen ein. Doch was zeichnet die Arbeit in einer Rechtsabteilung überhaupt aus und wie kann man sich den Arbeitsalltag konkret vorstellen?
Frau Graske, was sind aus Ihrer Sicht die größten Vorteile der Arbeit im Unternehmen gegenüber der Arbeit in einer Kanzlei?
In der Rechtsabteilung eines Unternehmens können Juristinnen und Juristen wesentlich generalistischer arbeiten als in einer Kanzlei. Juristen in Kanzleien sind nach meiner Erfahrung gezwungen, sich sehr stark zu spezialisieren, um ein Mandat wirtschaftlich abbilden zu können. In einem Unternehmen ist das anders: Hier muss man fachlich viel breiter aufgestellt sein, weil man Anfragen aus allen Abteilungen bekommt: Marketing, Produktmanagement, Customer Support oder der Geschäftsleitung. Genau darin liegt der Reiz!
Dadurch lernt man, wie ein Unternehmen als Ganzes funktioniert und wie alles ineinandergreift. Eine scheinbar kleine Entscheidung kann sich in den verschiedenen Abteilungen ganz unterschiedlich auswirken und das muss man mitdenken. Man lernt ganzheitlicher und vor allem wirtschaftlich zu denken.
Als externer Anwalt (in einer Kanzlei) hat man meistens nur einen sehr kleinen Einblick in ein Unternehmen, weil es sich mit einem konkreten Anliegen an einen wendet. Ob und wie das Unternehmen den eigenen Rat schließlich umsetzt, erfährt man nicht unbedingt oder hat darauf kaum Einfluss. Das ist aber kein Vor- oder Nachteil, sondern einfach eine Geschmackssache, was einem besser gefällt. Ich halte beide Perspektiven für sehr wichtig, weshalb ich sowohl inhouse arbeite als auch als selbstständige Rechtsanwältin andere Unternehmen berate.
Spannend ist auch: Als sog. Legal Counsel/Syndikusrechtsanwalt hat man fast überwiegend mit „Nichtjuristen“ zu tun. Sie arbeiten also viel mit Menschen zusammen, die einen ganz anderen (eben nicht juristischen) Blick auf die Dinge haben (z. B. Marketingexperten, Softwareentwickler, die Unternehmensgründer). Für die Lösung von Problemen, die Einschätzung von wirtschaftlichen Risiken und die eigene Lernkurve ist das außerordentlich wertvoll und erfrischend.
Vimcar beispielsweise ist zwar kein Start-up mehr, hat aber noch immer den Spirit eines Start-ups. So lernt man auch viele digitale Tools und Managementmethoden (wie die OKR-Methode) kennen, die in klassischen Kanzleien vermutlich noch eher stiefmütterlich behandelt werden. Hier ist „New Work“ gelebte Wirklichkeit.
Welche Voraussetzungen sollten Juristinnen und Juristen in Unternehmen mitbringen, die man in der Kanzlei eher weniger benötigt?
Unternehmen brauchen vor allem schnelle Problemlöser, das heißt Sie müssen als Unternehmensjurist in der Lage sein, pragmatische Lösungen für auftretende Probleme zu finden, diese gegenüber anderen Abteilungen verständlich zu kommunizieren und eine Risikoeinschätzung abzugeben. Wer überall Probleme sieht und diese rechtlich ausführlich diskutieren möchte (wie es im Studium antrainiert wurde) wird in einem Unternehmen eher nicht glücklich werden – für den wäre der Weg in die Wissenschaft sicher der passendere. Als Unternehmensjurist wird man auch eher selten einen Schriftsatz oder ein langes Gutachten – verbunden mit einer tiefgreifenden Rechtsrecherche – schreiben. Sehr wichtig ist auch eine gute Kommunikationsfähigkeit, soll heißen eine klare, verständliche Sprache:
„Nicht immer werden rechtliche Vorgaben mit der allergrößten Freude umgesetzt, weil sie (teils zu Recht) als unnötige Bürokratie empfunden werden. Hier gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten, diplomatisch, aber auch kompromissbereit zu sein“.
Gerade das ist ein sehr spannender Aspekt: Man lernt, wie Kollegen in der Produktabteilung arbeiten oder vor welchen täglichen Herausforderungen die Mitarbeiter im Marketing oder im Kundensupport stehen. Man bekommt Einblicke, die man als externer Anwalt nie in dieser Tiefe bekommen würde. Dadurch versteht man die Abläufe und Bedürfnisse besser und findet gemeinsam mit der jeweiligen Abteilung eine praktikable Lösung. Dieser Prozess ist immer wieder herausfordernd und außerordentlich spannend!
MKG Magazin-Spezial: Kanzleigründung, Anstellung oder Rechtsabteilung?
Junge Juristinnen und Juristen stehen heute vor einer Vielzahl attraktiver Berufsmöglichkeiten. Das Magazin gibt Einblicke in die Vor- und Nachteile, Herausforderungen und Chancen der jeweiligen Karrieremöglichkeit.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen im Unternehmen aus?
Als erstes checke ich meine Mails bzw. Anfragen der anderen Abteilungen. Es finden auch Meetings statt, in denen zunächst der Sachverhalt ermittelt wird, also wo genau das Problem liegt, das es aktuell zu lösen gilt. Anschließend muss je nach Rechtsgebiet eine Rechtsrecherche durchgeführt werden, die ermittelt, wie der rechtliche Rahmen ist. Ich erarbeite den Sachverhalt dann entweder allein oder wir entwickeln gemeinsam im Team Lösungsmöglichkeiten. Das können nur ganz kleine Anfragen von Kunden sein, aber auch große Projekte der Marketing- oder Produktabteilung (z. B. die Überarbeitung unserer AGB, die Prüfung umfangreicher Dienstleisterverträge, bestimmte Werbemaßnahmen). Natürlich haben wir auch regelmäßige Team- und Unternehmensmeetings, damit jeder im Unternehmen immer auf dem aktuellen Stand ist.
Wie steht es um das Thema Work-Life-Balance?
Ich kann aus voller Überzeugung sagen, dass Vimcar für mich Vorreiter ist, wenn es um eine ausgeglichene Work-Life-Balance geht! Es wird sehr darauf geachtet, dass Überstunden nicht permanent entstehen – und wenn es doch einmal vorkommt, dann ist das ein absoluter Ausnahmefall. Voll- und Teilzeitmodelle stehen nicht nur auf dem Papier, sondern werden tatsächlich gelebt. Ich selbst arbeite in Teilzeit, weil ich eine Doppelzulassung und auch eine eigene Kanzlei habe, und das war von Anfang an immer problemlos möglich. Bei Vimcar erlebe ich, dass ich meinen Alltag mit sehr viel Eigenverantwortung und Flexibilität gestalten kann (z. B. auch durch eine sehr großzügige Homeoffice-Regelung). Benötige ich Unterstützung, gibt es immer ein offenes Ohr.
Frau Graske, vielen Dank für das Interview!
Romy Graske ist als Syndikusrechtsanwältin für die Vimcar GmbH, einem der erfolgreichsten Software-as-a-Service-Unternehmen Berlins tätig. Zudem berät sie als selbstständige Rechtsanwältin Expats, Freiberufler, Künstler aber auch Digitalunternehmen zum grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten. In Ihren Blogs berichtet sie über aktuelle Themen u.a. zu Rechtsfragen beim grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten unter romygraske.de