Familienrichter

Von Gregor Dehmer

Viele Richterinnen und Richter beschäftigen sich mit Sachverhalten, die in der Vergangenheit liegen. Nicht so im Familienrecht – denn hier werden Entscheidungen getroffen, die Auswirkungen auf die Zukunft von Familien und Kindern haben.

Familiengerichte kümmern sich aber nicht nur um Scheidungen und Kindschaftssachen. Im Interview verrät Familienrichter Gregor Dehmer vom Amtsgericht Köln, wie vielfältig die Arbeit im Familiengericht ist – und welche Fähigkeiten Studierende mitbringen sollten, die sich für das Familienrecht interessieren.

Herr Dehmer, für viele Jurastudierende ist Richter oder Richterin das Karriereziel schlechthin. Als Familienrichter führen Sie aber bestimmt zum Teil hochemotionale Verfahren durch und kommen mit zerrütteten Familien oder mit traumatisierten Kindern in Kontakt. Warum haben Sie sich trotz dieser Umstände für das Berufsbild begeistern können?

Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte vielleicht zunächst klargestellt werden, dass „der Familienrichter“ nicht ein eigenständiges Berufsbild neben „dem Richter“ darstellt. Gem. § 23b Abs.1 GVG werden bei den Amtsgerichten Abteilungen für Familiensachen (Familiengerichte) gebildet. Diese sind zuständig für Familiensachen. Damit sind wir zunächst einmal (nur) Amtsrichter, die (auch) eine Abteilung für Familiensachen bearbeiten.

Es trifft zu, dass man als Familienrichter mitunter deutlich „näher an der Front“ ist, insofern, als dass man teils sehr tiefe Einblicke in die Lebensverhältnisse verschiedenster Familien bekommt. Dabei kommt es natürlich auch vor, dass man sehr schlimme Verhältnisse oder sehr tragische Schicksale mitbekommt. Allerdings sind es auch gerade diese Umstände, die den Reiz an der Tätigkeit ausmachen – man hat zumindest in einigen Fällen die Chance, etwas zu bewegen und zum Positiven zu wenden.

Überhaupt liegt hier der große Unterschied in der Tätigkeit zu den „klassischen“ Richtertätigkeiten im Zivil- oder Strafrecht. Normalerweise ist der Blick des Richters bzw. der Richterin in die Vergangenheit gerichtet.

Dem Zivilrichter wird ein in der Vergangenheit liegender Sachverhalt präsentiert und er soll entscheiden, wer Recht hat. Genau genommen fragt der Zivilrichter auch nicht, wer Recht hat, sondern lediglich, welcher Partei unter den gegebenen prozessualen Umständen Recht zu geben ist. Es kann ja durchaus vorkommen, dass eine Partei lediglich deshalb unterliegt, weil sie bestimmte Umstände nicht beweisen kann. Auch der Strafrichterin liegt ein Geschehen in der Vergangenheit vor und sie fragt, ob sich der oder die Angeklagte strafbar gemacht hat. Wiederum genau genommen, fragt sie, ob der oder dem Angeklagten unter den gegebenen prozessualen Bedingungen eine Straftat nachzuweisen ist.

Bei den Kindschaftssachen – also Verfahren, die elterliche Sorge, Umgang mit dem Kind, Kindeswohlgefährdung usw. betreffen – schaut sich der Familienrichter oder die Familienrichterin die aktuelle Situation an. Dabei stellen sich dann die Fragen, was nicht gut läuft und was sich wie ändern muss, damit es wieder besser läuft. Die Tätigkeit ist insoweit in die Zukunft gerichtet und bringt eine sehr hohe Verantwortung mit sich. Denn man trifft mitunter Entscheidungen, die das ganze weitere Leben eines Kindes beeinflussen können – etwa die Frage, ob ein Kind in seiner Familie verbleiben kann oder dort herausgenommen werden muss.

Aber die Tätigkeit bringt auch das Gefühl mit sich, dass das, was man macht, einen tiefergehenden Sinn hat, als lediglich Verfahren zu bearbeiten.

Einen weiteren Reiz, den die Tätigkeit als Familienrichter oder Familienrichterin mit sich bringt, stellt die Breite des Bereichs dar. Wenn man den Bereich nicht kennt, verbindet man mit dem Familiengericht meistens lediglich Scheidungen und Kindschaftssachen. Aber zur Arbeit am Familiengericht gehören auch der komplette Bereich des Gewaltschutzes – unabhängig von der Frage, ob es sich um Gewalt innerhalb der Familie handelt – Abstammungssachen, Adoptionen, Ehewohnungs- und Hausratssachen und noch vieles mehr. Dabei ist man dann in mehreren Verfahrensordnungen tätig.

Hinzu kommt, dass das soziale Leben als solches sehr vielfältig ist und diese Vielfalt auch eine Vielfalt an Fallgestaltungen bedeutet, die schließlich zu den Familiengerichten kommen. So kenne ich Kollegen, die bereits seit über 20 Jahren am Familiengericht tätig sind und dennoch immer wieder von Fallgestaltungen berichten, die völlig neu für sie sind. Man denke aus jüngster Zeit nur an die Anregungen an die Familiengerichte, den Schulen zu untersagen, den Schülern und Schülerinnen eine Maskenpflicht aufzuerlegen, da dies dem Kindeswohl schade. Auch weist das Familienrecht häufig internationale Bezüge auf. Etwa wenn Unterhalt im Ausland geltend gemacht werden muss oder im Bereich der internationalen Kindesentführung. Insgesamt handelt es sich damit bei der Tätigkeit als Familienrichter um eine, die alles mit sich bringt. Sowohl interessante rechtliche Fragen als auch spannende Sachverhalte.

Im Studium und in der Examensvorbereitung wird das Familienrecht eher als Nebengebiet behandelt – wann haben Sie Ihr Interesse für das Rechtsgebiet entdeckt?

Ich habe beide Staatsexamina in Bayern gemacht. Dort zählen für das Zweite Staatsexamen die Grundzüge des Familien- und Familienverfahrensrechts zum Pflichtstoff. Dadurch war dies auch Gegenstand der Arbeitsgemeinschaften im Referendariat. Hier bin ich zum ersten Mal mit dem Rechtsgebiet in Kontakt gekommen und fand es recht interessant. Allerdings habe ich das zu dieser Zeit nicht weiterverfolgt. Mit der Vorbereitung für das Examen und anschließend dem Berufsstart als Richter war genug zu tun. Als sich dann in meiner Zeit als Proberichter am Amtsgericht Köln abzeichnete, dass ich dort bleiben möchte (ich bearbeitete zu diesem Zeitpunkt Zivilsachen), fragte mich der damalige Personaldezernent, in welchen Rechtsgebieten bzw. Abteilungen ich denn arbeiten würde. Ich antwortete aus reinem Interesse heraus, dass ich mir sehr gut eine Tätigkeit als Familienrichter oder als Haft- und Ermittlungsrichter vorstellen könnte.

Beide Tätigkeiten hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgeübt, fand aber beides spannend. So kam es, dass ich damals nach eineinhalb Jahren im Richterdienst eine Familienabteilung übernahm – ohne wirklich zu wissen, was auf mich zukommen würde. Allerdings habe ich mich dann sehr schnell in diesem Rechtsgebiet heimisch gefühlt. Ich war auch eine Zeit lang Ermittlungs- und Haftrichter und danach als Dezernent in der Gerichtsverwaltung tätig. Allerdings habe ich für mich festgestellt, dass es keinen anderen Bereich gibt, der mir so sehr gefallen hat wie das Familienrecht, sodass ich inzwischen wieder dorthin zurückgekehrt bin.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Der typische Arbeitsalltag unterscheidet sich nicht grundlegend von dem typischen Alltag eines jeden Richters und einer jeden Richterin. So bearbeite ich in der Regel zunächst alle Akten, die mir vorgelegt werden (sog. Dezernatsarbeit). Bei der Bearbeitung dieser Akten stellt sich dann immer die Frage, welche Schritte als nächstes zu unternehmen sind, um das jeweilige Verfahren einer Entscheidung zuzuführen. Diese werden dann veranlasst. Je nach Art des Verfahrens kann es durchaus vorkommen, dass viele Telefonate zu führen sind, zum Beispiel mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes, Verfahrensbeiständen oder auch geschlossenen Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Ist das tägliche Dezernat erledigt, bereite ich entweder die anstehenden Sitzungstermine, Anhörungen usw. vor, oder ich setze Entscheidungen ab. Dazu kommen in der Regel ein bis zwei Sitzungstage in der Woche, an denen ich die entsprechenden Termine durchführe. Je nach Verfahren kann es auch vorkommen, dass ich Termine außerhalb des Gerichts wahrnehme. So ermöglicht es mir die Verfahrensordnung des FamFG zum Beispiel, Kindesanhörungen auch im häuslichen Umfeld der Kinder durchzuführen. Ein anderes Beispiel wären Fälle, in denen Minderjährige akut in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden müssen. Hier findet die Anhörung normalerweise in der psychiatrischen Einrichtung statt.

Was schätzen Sie besonders an Ihrem Beruf – und welche Aufgaben oder Bereiche mögen Sie weniger?

Zunächst einmal schätze ich an meinem Beruf die Besonderheiten, die das Richteramt mit sich bringt. So empfinde ich es als riesigen Vorteil, selbst einteilen zu können, wann und wo ich arbeiten möchte, in welcher Reihenfolge ich die Verfahren bearbeite usw.

Wenn es speziell darum geht, was ich an meiner Tätigkeit als Familienrichter gegenüber der Tätigkeit als Richter in anderen Bereichen besonders schätze, dann ist das zum einen die besondere Vielfalt des Rechtsgebiets. Zum anderen ist es der Umstand, dass man in den Verfahren nach FamFG als Familienrichter deutlich mehr „Herr des Verfahrens“ ist als in Verfahren nach StPO oder ZPO. Die Verfahren nach FamFG sind beherrscht vom Amtsermittlungsgrundsatz und erlauben den Freibeweis. Es gibt daher viele Varianten, wie man an bestimmte Verfahren herangehen kann und nicht bloß einen Weg. Dadurch ist die Tätigkeit flexibler.

Es gibt tatsächlich wenig, dass ich an meinem Beruf nicht mag. Meistens handelt es sich hierbei eher um bestimmte einzelne Verfahren als um bestimmte Bereiche. Die Familiengerichtsbarkeit ist so geregelt, dass Verfahren, die dieselbe Familie betreffen, immer bei der gleichen Abteilung landen. Dabei entwickeln sich mitunter bestimmte „Dauerkunden“. Es kann dann manchmal sehr frustrierend sein, alles zu versuchen, um die Beteiligten wieder „aufs Gleis“ zu führen, und dennoch absolut nichts zu erreichen. So habe ich Familien erlebt, die einen derart hoch eskalierten Konflikt ausgetragen haben, dass sie sich wirtschaftlich vollkommen ruiniert haben und die Kinder den Kontakt zu einem Elternteil vollkommen abbrachen.

Wie nehmen Sie die Work-Life-Balance in Ihrem Beruf wahr?

Ich nehme die Work-Life-Balance als gut wahr. Allerdings muss man hierzu einschränkend sagen, dass ich inzwischen fast zehn Jahre Berufserfahrung habe und in mein Dezernat eingearbeitet bin. Generell gilt für den Richterberuf, dass man als Berufsanfänger oder Berufsanfängerin in etwa so viel Arbeitszeit aufwenden wird, als hätte man in einer großen Kanzlei angefangen. Allerdings sinkt der Arbeitsaufwand, wenn man lange genug das gleiche Dezernat bearbeitet. Denn dann kennt man irgendwann alle seine Verfahren und hat sie von deren Eingang bei Gericht an begleitet.

Darüber hinaus steigen auch die berufliche Erfahrung und die Rechtskenntnis im bearbeiteten Bereich, sodass man einfach schneller in der Bearbeitung wird.

Allerdings gibt es immer Phasen, in denen mehr los ist. Zum Beispiel mehren sich in den Familiensachen immer vor den Ferien die Antragseingänge (Umgang, Probleme mit Auslandsreisen der Kinder usw.). Dafür gibt es dann Phasen, in denen weniger los ist.

Welchen Rat würden Sie Jurastudierenden geben: Welche Qualitäten sollte ein guter Familienrichter neben juristischem Fachwissen mitbringen?

Ein guter Familienrichter oder eine gute Familienrichterin sollte zum einen die Fähigkeit haben, sich in die Sorgen, Probleme und Lebensumstände der Verfahrensbeteiligten einfühlen zu können. Gerade in hochstreitigen Verhältnissen führt man oft über viele Jahre immer wieder Verfahren, die die gleiche Familie betreffen. Eine langfristige Stabilisierung der Verhältnisse oder gar eine Lösung der herrschenden Probleme lässt sich oft „besser“ erreichen, wenn man in den Anhörungsterminen zu den Verfahrensbeteiligten durchdringt. Hierfür ist es äußerst förderlich, wenn die Verfahrensbeteiligten sich verstanden fühlen.

Zum anderen sollte man das haben, was früher als „dickes Fell“ bezeichnet wurde und heutzutage oft unter dem Stichwort „Resilienz“ diskutiert wird. Die Tätigkeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass man es mit hoch konflikthaften Verfahren zu tun hat. Dementsprechend verhalten sich auch manche Verfahrensbeteiligten. Dies muss man aushalten können. Hinzu kommt, dass man mitunter selbst zur Zielscheibe des Unmuts der Beteiligten wird. Ich selbst wurde auch schon von Verfahrensbeteiligten bedroht, sodass Sicherungsmaßnahmen erforderlich waren. Nimmt man sich dies zu sehr zu Herzen, wird man es nicht lange als Familienrichter oder Familienrichterin aushalten.

Herr Dehmer, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

Das Interview führte Jasmin Kröner. 

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Gregor Dehmer ist  Referent beim Bundesministerium der Justiz. Er absolvierte beide Staatsexamina in Bayern und war danach als Richter auf Probe im OLG-Bezirk Köln tätig. Im Anschluss übernahm er am Amtsgericht Köln eine Familienabteilung. Nach einer Tätigkeit als Ermittlungs- und Haftrichter sowie Dezernent in der Gerichtsverwaltung war er inzwischen wieder zum Familienrecht zurückgekehrt.

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