Von Pia Nicklas
Für Außenstehende und Erstsemester ist die Notenskala im Jurastudium eine Wissenschaft für sich. Begriffe wie „vier gewinnt“, „Prädikatsexamen“ oder auch „VB“ sind im Studienalltag eines angehenden Juristen oder einer angehenden Juristin meist schon nach einigen Semestern Alltag geworden.
Für alle, die vielleicht gerade erst mit dem Studium begonnen haben und sich über die vier Punkte in der ersten Klausur den Kopf zerbrechen, soll dieser Artikel einen Überblick über die Notenskala im Jurastudium geben. Er soll außerdem Studierenden, die sich zu sehr unter Druck setzen, davon überzeugen, dass sie auch mit weniger Punkten im Staatsexamen nicht unter der Brücke landen.
Die Notenskala im Jurastudium im Überblick
Einzelnote | Punkte (Einzel-bewertungen) | Punkte (Gesamt-bewertung Examen) | Bedeutung |
---|---|---|---|
Sehr gut | 16 - 18 | 14,00-18,00 | Eine besonders hervorragende Leistung |
Gut | 13 - 15 | 11,50-13,99 | Eine erheblich über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Leistung |
Vollbefriedigend (VB) | 10-12 | 9,00-11,49 | Eine über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Leistung |
Befriedigend | 7-9 | 6,50-8,99 | Eine Leistung, die in jeder Hinsicht durchschnittlichen Anforderungen entspricht |
Ausreichend | 4-6 | 4,00-6,49 | Eine Leistung, die trotz ihrer Mängel durchschnittlichen Anforderungen noch entspricht |
Mangelhaft | 1-3 | 1,50-3,99 | Eine an erheblichen Mängeln leidende, im ganzen nicht mehr brauchbare Leistung |
Ungenügend | 0 | 0 -1,49 | Eine völlig unbrauchbare Leistung |
Wie realistisch ist ein „sehr gut“ wirklich?
Hat man in den ersten Semestern die ersten Klausuren und Hausarbeiten bestanden und erzählt Freunden und Familie euphorisch, dass man 9 Punkte erreicht hat, bekommt man immer wieder die Frage gestellt, wie viele Punkte es denn insgesamt gäbe. Spricht man anschließend von 18 Punkten, erntet man meist nur ungläubige Blicke. Daraufhin folgt unweigerlich die Aussage, dass das ja gerade einmal die Hälfte der Punkte sei. Erzählt man dagegen den Kommilitonen und Kommilitoninnen von solch einem Ergebnis, wird man wohl eher als Überflieger bezeichnet. Doch wie kommen diese unterschiedlichen Reaktionen zustande?
Betrachtet man 9 von 18 möglichen Punkten einmal ganz nüchtern auf der Notenskala im Jurastudium, ist dies natürlich nicht sonderlich viel. Sieht man sich dagegen Examensstatistiken an, wird schon viel deutlicher, warum 9 Punkte mehr als akzeptabel sind. So erreichten im Ersten Staatsexamen im Jahr 2018 bundesweit 27,9 Prozent nicht einmal die Vier-Punkte-Grenze und fielen somit durch, 25,9 Prozent erreichten ein „ausreichend“, 29,3 Prozent ein „befriedigend“, 14,1 Prozent ein „voll befriedigend“, lediglich 2,6 Prozent ein „gut“ und gerade einmal 0,1 Prozent ein „sehr gut“. Es wird also deutlich, wie gering die Chance ist, tatsächlich ein „sehr gut“ oder sogar bereits ein „gut“ zu erreichen.
Freie Berufswahl mit Prädikatsexamen?
Viele reden immer von dem berühmt-berüchtigten Prädikatsexamen. Doch was bedeutet das eigentlich? Von einem Prädikatsexamen spricht man dann, wenn man im Staatsexamen in der Gesamtwertung mindestens 9 Punkte erreicht. Erreicht man in beiden Examina mindestens 9 Punkte spricht man von einem Doppelprädikat. In der Tat ist es so, dass einem mit solch einer Leistung grundsätzlich alle Berufe offen stehen. Selbst das so begehrte Richteramt oder eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst in der 4. Qualifikationsebene (früher: höherer Dienst) kann angetreten werden. Doch auch Großkanzleien, die mit sechsstelligen Einstiegsgehältern locken, fordern in den meisten Fällen die 9 Punkte.
Das bedeutet aber natürlich nicht, dass nicht auch andere Faktoren im Bewerbungsgespräch stimmen müssen. Hat man beispielsweise keinerlei Sozialkompetenz oder Teamfähigkeit vorzuweisen, wird man auf Dauer auch mit einem 9-Punkte-Examen keine großen Chancen haben. Weniger bekannt, aber durchaus erstrebenswert ist auch das sogenannte kleine Prädikat, das man dann erreicht hat, wenn man im Staatsexamen in der Gesamtwertung mindestens 6,5 Punkte erzielt. Zwar kann man mit solch einer Punktzahl nicht mehr Richter:in werden, jedoch wird in einigen Stellenausschreibungen zumindest das kleine Prädikat gefordert, wahrscheinlich um einen gewissen Qualitätsstandard zu suggerieren.
„Vier gewinnt“? Wie sind die Berufschancen wirklich?
Man sieht also, dass die Chancen, ein Prädikatsexamen zu erreichen, nicht gerade hoch sind. Das hat nichts damit zu tun, dass man nicht intelligent oder fleißig genug ist. Die Ansprüche sind schlichtweg sehr hoch. Es stellt sich also die Frage, ob all diejenigen Absolventen, die unterhalb der 6,5-Punktegrenze liegen (2018 waren es 26 Prozent), keinerlei Berufschancen auf dem Markt haben. Solche oder ähnliche Aussagen werden leider in zahlreichen Artikeln oder Studienratgebern geradezu propagiert. Nicht verwunderlich ist es deshalb, dass der Druck auf die Studierenden seit Jahren unverändert hoch ist.
Selbst ohne das kleine Prädikat gibt es aber zahlreiche Berufe, die man ausüben kann. Möchte man nicht unbedingt sein Leben damit verbringen, jeden Tag bis 22 Uhr in der Kanzlei zu sitzen, und lautet der Traumberuf nicht Richter:in, gibt es jede Menge Möglichkeiten in weniger namhaften Kanzleien, sowie in anderen Organisationen und Branchen. Auch im öffentlichen Dienst kann man in der 3. Qualifikationsebene (früher: gehobener Dienst) mit Glück sogar direkt in Führungspositionen einsteigen und hebt sich durch die zwei Staatsexamina deutlich von anderen Bewerbern und Bewerberinnen ab. Man sieht also, dass das Klischee des taxifahrenden Juristen bzw. der taxifahrenden Juristin wohl eher weniger zutreffend ist.
Notenskala im Jurastudium: Jeder kocht nur mit Wasser!
Gehört man bereits im Studium eher zu den Studierenden, die immer gerade an der Vier-Punktegrenze vorbeischlittern, während Kommilitonen und Kommilitoninnen mit 7 oder sogar 9 Punkten nach Hause gehen, sollte man nicht gleich verzweifeln. Manchmal versteht man gewisse Zusammenhänge erst so richtig in der Examensvorbereitung. Wichtig ist es in jedem Fall, sich nicht unter Druck setzen zu lassen. Sicher ist dies leichter gesagt als getan. Jedoch sollte man diesen Ratschlag ernst nehmen und sich wirklich nicht mit den Kommilitonen und Kommilitoninnen vergleichen. Besser ist es dagegen, sich mit seinem gestrigen Selbst zu vergleichen, sowie einen Ausgleich und eine Zone außerhalb der Juristerei zu schaffen.
Pia Nicklas hat Rechtswissenschaften in Bayreuth und Wirtschaftsrecht an der Fernuniversität Hagen studiert. Sie arbeitete erst als Werkstudentin und nach Ihrem Abschluss als Wirtschaftsjuristin im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen. Nach einem kurzen Ausflug in die Kanzleiwelt und in ein großes Wirtschaftsunternehmen, ist sie seit Anfang 2020 als freiberufliche Fachtexterin im juristischen Bereich tätig.