Anspruchsschreiben

Von Hülya Dalkilic

Anwaltliche Anspruchsschreiben sollten mehr enthalten als nur den zu zahlenden Betrag, Rechnungsnummer und ein Datum, aus dem hervorgeht, bis wann gezahlt werden muss. Gute und durchdachte Anspruchsschreiben sind nicht nur Ausdruck der Wertschätzung der Mandantschaft, sie bieten in der Praxis viele Vorteile und sind am Ende effektiver und zeitsparender.

Jeder Jurist, der einen Zivilrechtsfalls in der Praxis zu bearbeiten hat – so der Richter, Rechtsanwalt, Notar, Wirtschaftsjurist, Rechtsreferendar – muss sich mit dem Sachverhalt, der rechtlichen Lösung und gegebenenfalls mit dem weiteren taktischen Vorgehen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beschäftigen.“  (aus der Einleitung Anders – Gehle: Das Assessorexamen im Zivilrecht)

Wenn ich als Anwältin die Gegenseite zur Zahlung auffordere, dann mit Sachverhalt und rechtlicher Wertung in einer übersichtlichen und prägnanten Form. Dies mag daran liegen, dass ich in meiner Ausbildung sowie als angestellte Anwältin Vorgesetzte hatte, die sehr großen Wert auf ordentliche Schriftsätze gelegt haben. Zum einen, weil man den Anwaltsberuf und seine Pflichten genau so weitergeben wollte und zum anderen, um das Niveau der Schriftsätze in der Kanzlei gleich hochzuhalten.

Was mit fachlich guten Anspruchsschreiben gemeint ist

Nun sind mit guten Forderungsschreiben nicht lange ausschweifende Ausführungen, sondern vielmehr Schreiben in gebotener Kürze und Prägnanz gemeint. Die Länge des Schreibens ist nicht relevant, ein präzises und gutes Forderungsschreiben kann knappe zwei bis sechs Seiten haben. Relevant ist die Qualität des Inhalts.

Checkliste anwaltliche Anspruchsschreiben:

  • Kurz, bündig und prägnant
  • Keine Schachtelsätze (Hierzu meine Empfehlung: Stilfibel: Der sichere Weg zum guten Deutsch von Ludwig Reiners)
  • Verständlich auch für Nicht-Juristen und Nicht-Juristinnen
  • Übersichtlich
  • Vollständig

Zugegebenermaßen ist es verlockend, schnell ein Forderungsschreiben á la Inkasso zu erstellen: Wenig Zeitaufwand, Gegenseite kommt in Verzug, Anwaltsgebühr ist fällig.

Aber in Wahrheit ist das gerade nicht zeitsparend, sondern nervenzehrend.

Was oft verkannt wird, ist, dass das Mandantenbegehren nicht darin besteht, „nur“ eine Aufforderung zur Zahlung in Auftrag zu geben. Die Mandantschaft entscheidet sich gerade bewusst für eine Anwaltskanzlei – und oft haben die Mandanten und Mandantinnen bereits selbst die Gegenseite durch einfache Schreiben in Verzug gesetzt. Vielmehr möchten sie eine fachlich gute Einschätzung des Falles mit anschließendem Anwaltsschreiben, je nach Ergebnis der Prüfung des Sachverhalts.

Besonderheit: Ein gutes Anspruchsschreiben lohnt sich auch bei ähnlich gelagerten Fällen

Auch bei ähnlich gelagerten Fällen verbietet es sich, den Sachverhalt schemenhaft bis gar nicht darzustellen. Denn der Grundsatz des Einzelfalles gilt auch hier. Jede Nuance im Sachverhalt kann die rechtliche Wertung gänzlich anders verlagern.

Aber auch bei den sog. Massenklagen entscheidet die einzelne Klage (beispielhaft Dieselskandalfälle), denn trotz ähnlich gelagerter Fälle sind der Sachverhalt und die dazu passende rechtliche Wertung ausschlaggebend. Somit bringen nur schemenhafte Anspruchsschreiben nicht den Erfolg, sondern die gute Darstellung des Sachverhaltes mit entsprechender Subsumtion und passendem Beweisantritt.

Es spricht im Übrigen nichts gegen vorgefertigte Textpassagen, wenn sie denn wirklich passend eingebaut werden und man den Bezug zum vorliegenden Fall herstellt.

Tipp: Soweit Urteile zitiert werden, sollte darunter immer subsumiert werden. Die zitierten Textpassagen aus dem Urteil müssen in den Schriftsatz eingebunden werden.

Vorteile eines ordentlichen anwaltlichen Forderungsschreibens:

  • Zeitersparnis
  • Höhere Erfolgschancen
  • Effektives Kanzleimanagement
  • Akquise und Mandantenzufriedenheit

Schlechte Anspruchsschreiben können Verfahren in die Länge ziehen

Es erübrigt sich ein über Monate laufender außergerichtlicher Schlagabtausch mit der Gegenseite, wenn gleich zu Anfang ein fachlich gutes Anspruchsschreiben verfasst wird. Denn nach einem einfachen Aufforderungsschreiben kommt es am Ende doch wieder dazu, dass spätestens mit dem dritten Schriftsatz der Sachverhalt zusammengefasst werden muss, den man eigentlich schon im ersten Aufforderungsschreiben hätte abhandeln können.

Wenn man ein Anspruchsschreiben bei Verkehrsunfällen nimmt, in dem man schon vorab der Versicherung schreibt, dass diese den Anspruch dem Grunde nach anerkennen soll, obwohl eigentlich der Anspruch beziffert und der Sachverhalt dargestellt werden kann, ist das in vielerlei Hinsicht ein Grauen. Die Akte ist möglicherweise nicht kompliziert, aber sie zieht sich nun durch die Kanzlei, durch Wiedervorlagen und Fristen.

Es lohnt sich, anstelle der unpräzisen Aufforderung zur Anerkennung dem Grunde nach den Sachverhalt in gebotener Kürze und mit einer kurzen rechtlichen Wertung vorzutragen. Denn gerade zu Anfang, frisch nach der Mandatsannahme, ist der Sachverhalt noch am besten in Erinnerung. Die Bearbeitungsfristen sollten nicht unterschätzt werden und summieren sich oft zu mehreren Monaten bei einfachen Sachverhalten. So bleibt eine Mandantin nicht selten im Unklaren, was sie nun reparieren oder verkaufen darf.

Die Einführung des Arbeitsschrittes, „gleich das Anspruchsschreiben durchdacht und fachlich gut zu schreiben“, erspart also Mehraufwand, Mitarbeiterbelastung und Langzeitakten.

Falls die Gegenseite dann alles abstreiten sollte und die Argumente sowohl rechtlich als auch tatsächlich nicht überzeugen, kann man die Gegenseite kurz und knapp an die Zahlung erinnern und gegebenenfalls schon die Klage vorbereiten.   

Schnellere Umwandlung in eine Klage möglich

Man antwortet lieber auf fachlich gute Schriftsätze als auf Schriftsätze von Kolleginnen und Kollegen, bei denen man nicht versteht, was eigentlich gemeint ist und die Argumentation unverständlich ist. Es ist auch frustrierend, wenn sich die Gegenseite keine Mühe macht, fachlich zu arbeiten, und man selbst aus anwaltlicher Vorsicht die Argumente prüfen muss, um fachlich dazu Stellung zu nehmen. Übrigens kann das Gericht später schnell verärgert sein, wenn die Sachverhaltsaufarbeitung schleifen gelassen wird.

Hat man sich zu Anfang einmal die Mühe gemacht, den Sachverhalt zu erfassen und rechtlich zu bewerten, kann das Anspruchsschreiben dann schnell in eine Klage umgewandelt werden. Sogar Copy & Paste ist möglich, man ersetzt die Begriffe der Parteien entsprechend der Klageform und tritt an entsprechender Stelle Beweis an.

Wir wissen, wie mühselig es ist, eine Klageschrift zu erstellen, insbesondere bei bruchstückhaften Schriftsätzen und Mitschriften. Den Sachverhalt und die Anlagen aus der Akte zu fischen, weil er komplett verstreut dokumentiert wurde, ist nervenaufreibend und frustrierend. Solche Akten werden gerne mal vor sich hergeschoben oder den jüngeren Kolleginnen und Kollegen vorgelegt. Wobei beides keine gute Lösung ist.

Schließlich bringt gute Argumentation gute Ergebnisse, denn die Gegenseite kann besser überzeugt werden – oder erklärt sich schneller zu einem Vergleich bereit.

Wenn man Mandanten und Mandantinnen an sich binden möchte, empfiehlt es sich, Wertschätzung durch fachlich gute Arbeit auszudrücken. Denn so kommen sie auf Dauer wieder, man wird empfohlen und bleibt im Gedächtnis. Die beste Mandantenakquise ist immer noch die Weiterempfehlung.

Schließlich beeinflusst es auch das Mandatsverhältnis: Mandanten und Mandantinnen entwickeln Vertrauen und fühlen sich ernstgenommen – und Vertrauen ist die Grundlage für eine hervorragende Mandatsbeziehung.

Der ideale Ablauf der Mandatsbearbeitung für zivilrechtliche Forderungen im Überblick:

Bei Mandatsannahme sollte der Sachverhalt besprochen und erforderliche Unterlagen mit Fristsetzung von der Mandantschaft eingefordert werden. Anschließend wird die Akte angelegt und der Schriftsatz erfolgt sofort:

 

Aufbau eines anwaltlichen Anspruchsschreibens (Vorschlag):

Wie schon erwähnt, ist dies der Vorläufer einer möglichen Klage, also sollte es der Klage ähneln. In der Praxis ist es wichtig, nicht schon mögliche Gegenargumente der Gegenseite abzuhandeln, es reicht, die eigenen Ansprüche zu begründen.

 

Kostenloser Download des Musters

Weitere Beiträge

Hülya Dalkilic ist seit 2015 zugelassene Rechtsanwältin. Nach ihrer Arbeit als Volljuristin in der Türkei in einer international tätigen Kanzlei und dem Ministerium für europäische Angelegenheiten war sie angestellte Rechtsanwältin in einer bundesweit tätigen Kanzlei für Bank- und Kapitalmarktrecht mit Sitz in Düsseldorf/Bielefeld. 2019 hat sie ihre eigene Kanzlei mit Sitz in Herford gegründet. Ihre Schwerpunkte liegen in der Betreuung von Unternehmen und Selbstständigen, vorwiegend im Vertrags-/AGB Recht sowie Arbeitsrecht.

Foto: Adobe Stock/©madedee

Mit dem MkG-Newsletter erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr
pünktlich zur Veröffentlichung per Mail – zu Themen, die Sie weiterbringen:

  • Aktuelle Gesetzesänderungen,
  • Tipps zur optimalen Abrechnung,
  • Karrierechancen, Kanzleiführung u. v. m.