Von Hülya Dalkilic
Die Gründung einer eigenen Kanzlei wird häufig mit Freiheit und Flexibilität assoziiert: Denn während angestellte Anwältinnen und Anwälte zum Teil vom Management und der Arbeitsweise ihrer Vorgesetzten abhängig sind, arbeiten Selbstständige komplett eigenverantwortlich – und ein wirtschaftlicher Erfolg der Kanzlei macht sich in den Einkünften direkt bemerkbar. Doch sie gehen mit der Gründung auch Risiken ein und müssen sich häufiger mit nicht-juristischen Themen beschäftigen. Das kann spannend – aber gleichzeitig auch herausfordernd sein.
Hülya Dalkilic ist Kanzleiinhaberin und berät zudem in ihrer anwaltlichen Praxis Selbstständige. Im Interview zieht sie nach vier Jahren Selbstständigkeit Bilanz: Wie viel Freiheit hat man wirklich? Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen? Außerdem verrät sie, ob die Herausforderungen die Vorteile in der Selbstständigkeit aufwiegen.
Frau Dalkilic, was sind aus Ihrer Sicht die größten Vorteile der Selbstständigkeit?
Vorab muss man sagen, dass sowohl ein Angestelltenverhältnis als auch die Selbstständigkeit unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Ich denke, bei der Entscheidung kommt es sehr auf die eigene Persönlichkeit und auf die derzeitige Lebenssituation an.
Üblicherweise kommt bei der Selbstständigkeit den Meisten die Flexibilität in den Sinn. Aber das ist eher eine Wunschvorstellung – denn nach einer gewissen Zeit ist man nicht mehr so flexibel wie erholt. Wenn es gut läuft, mehrt sich das Arbeitsaufkommen, der Terminkalender ist gefüllt und die To-do-Listen sind voll und gut getaktet.
Ein Urlaub muss vorher gut geplant werden; man muss sich die Zeit quasi freischaufeln.
Simples Beispiel: Wenn ich mir einen Vormittag freinehme, muss ich die Arbeit am Abend oder Wochenende nachholen. Ich finde aber die Unabhängigkeit, die Entscheidungsfreiheit und die Möglichkeit der Selbstverwirklichung sind die Faktoren, die das rechtfertigen.
Die Unabhängigkeit war und ist der ausschlaggebende Grund für mich gewesen, in die Selbstständigkeit zu wechseln. Ich kann derzeit mein Kanzleimodell selbst gestalten und optimieren. Meinen Arbeitsalltag kann ich nach meinen Vorstellungen und nach dem tatsächlichen Arbeitsaufkommen gestalten. Man kann sich selbst verwirklichen. Ich hatte eine Vorstellung von meiner eigenen Kanzlei und von meiner Arbeitsqualität als Anwältin – und konnte mir aufgrund der Entscheidungsfreiheit überlegen, wie ich das umsetze. Überraschenderweise musste ich das auch erst lernen, denn zuvor war ich im Angestelltenverhältnis.
Ein wichtiger Ratschlag an alle, die ihre eigene Kanzlei gründen wollen: Gerade zu Beginn kommen Angebote von Kanzleien oder Anwältinnen und Anwälten zu einer Zusammenarbeit. Hier sollte man sich das Angebot und das Modell ganz genau anschauen. Hat man wirklich die Vorteile der Selbstständigkeit, bin ich unabhängig oder gerate ich dadurch in eine Abhängigkeit?
Welche Voraussetzungen sollten Juristinnen und Juristen Ihrer Meinung nach mitbringen, die damit liebäugeln, sich selbstständig zu machen?
Man muss ein gewisses Maß an Unternehmergeist haben. Denn es sollte nicht vergessen werden, dass man unternehmerisch tätig wird. Die eigentliche Anwaltstätigkeit tritt zeitweise in den Hintergrund. Dann heißt es: Buchhaltung, Ausstattung kaufen, Finanzen, Marketing, Weiterbildung – all das und noch viel mehr.
Das wirtschaftliche Handeln und die Optimierung der eigenen Kanzleiprozesse lernt man nicht im Jurastudium. Zur Beruhigung: Das lernt man im Laufe der Zeit, und man lernt nie aus.
Eine Affinität für diese Themen sollte man jedoch mitbringen. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, muss da sein. Die Verantwortung für den Bestand der Kanzlei, die Mandanten und Mandantinnen, die Finanzen und das Kanzleiteam.
Schließlich braucht man ein gutes Stressmanagement und einen guten Ausgleich zu dem Ganzen.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen in der Kanzlei aus?
Einen typischen Alltag gibt es nicht. Der Arbeitsalltag als selbstständige Rechtsanwältin ist abwechslungsreich und spannend. Ich arbeite zum Teil im Homeoffice sowie auch im Büro in der Innenstadt. Meine Mitarbeiter und ich arbeiten komplett digital, so dass sich das meiste am Rechner abspielt – es gibt also keine Akten, die herumgetragen werden. Da ich auch Unternehmen betreue, bin ich für meine Mandantschaft flexibel erreichbar. Das heißt in dringenden Fällen übernehmen wir die Angelegenheit sofort und reagieren umgehend. Auch das Arbeitsrecht ist sehr dynamisch, weshalb man schnell reagieren muss. Zwischendurch habe ich dann Gerichtstermine, die bundesweit stattfinden. Es kann in manchen Wochen also sehr abwechslungsreich sein, aber auch durchaus stressig.
Social Media und das Verfassen juristischer Beiträge gehören ebenso zu meinem Arbeitsalltag.
Das Netzwerken mit Kolleginnen und Kollegen ist für mich auch ein wichtiger Bestandteil meiner Selbstständigkeit, da ich noch Einzelkämpferin bin. Es gibt bundesweit Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Zusätzlich bin ich im Vorstand des Anwaltsvereins Herford und man trifft sich einmal die Woche zum Mittagstisch.
MKG Magazin-Spezial: Kanzleigründung, Anstellung oder Rechtsabteilung?
Junge Juristinnen und Juristen stehen heute vor einer Vielzahl attraktiver Berufsmöglichkeiten. Das Magazin gibt Einblicke in die Vor- und Nachteile, Herausforderungen und Chancen der jeweiligen Karrieremöglichkeit.
Gibt es Herausforderungen, mit denen Sie derzeit in Ihrer noch jungen Kanzlei konfrontiert werden, die Ihre angestellten Kolleginnen und Kollegen nicht haben?
Digitalisierung, Social Media, Marketing. Ich würde sagen, dass das derzeit die Themen sind, mit denen sich junge Kanzleien auseinandersetzen müssen, da das beispielsweise für die Mandantenakquise wichtig ist. Ende 2021 fiel die Entscheidung, dass meine Kanzlei nur noch digital arbeiten sollte. Also stürzte ich mich Anfang 2022 in das Thema Digitalisierung. Ich bin jetzt zu einer anderen Kanzleisoftware gewechselt, aber es war ein Kampf. Die Recherche, die Entscheidung, der Wechsel und die Einarbeitung haben sehr viel Zeit in Anspruch genommen.
Mit Social Media muss man sich auseinandersetzen. Auch wenn manche Kolleginnen und Kollegen die Bedeutung von Social Media und einem professionellen Internetauftritt unterschätzen, sollte man sich zumindest bewusst dafür oder dagegen entscheiden. Der Außenauftritt der Kanzlei muss gemanagt werden und diese Entscheidungen sind schwierig.
Man hat immer Sorge was die Mandate angeht: Kommen genug Mandate rein oder habe ich sogar gerade zu viele Mandate angenommen?
Denn auch die Überlastung, kann ein außerordentliches Problem darstellen. Das zu managen ist eine wahre Herausforderung.
Viele selbstständige Juristinnen und Juristen meinen, dass keine andere Tätigkeit so viel Flexibilität und Vereinbarkeit mit der Familie zulässt. Wie steht es bei Ihnen um das Thema Work-Life-Balance?
Ich persönlich kann das bestätigen, denn ich habe zwei Kinder (vier und sechs Jahre alt). Arbeit und Familienleben sind gut vereinbar, da man individueller planen kann. Notfälle mit Kindern sind leichter zu organisieren. Aber um auch mal mit dieser Illusion der selbstständigen Frau mit Kindern aufzuräumen, die in Magazinen für Frauen oder auf Social Media propagiert wird: Es gibt keine perfekte Morgenroutine, keinen perfekt aufgeräumten Haushalt, sondern kleine Krisen, viel Lärm und Wäsche im Keller. Anfangs war es bei mir eine Katastrophe, da die Kinder noch kleiner waren, aber nun – mit viel Planung, Resilienz und Hilfe, bekomme ich den Ausgleich hin.
Ob es bei einer Anstellung schwieriger ist, hängt mit dem Arbeitgeber zusammen. Meine persönliche Meinung ist, dass auch die Kanzleien sich mehr anpassen müssen, mehr Flexibilität für Angestellte mit Kindern – Frauen wie Männer – ermöglichen sollten. Die Verantwortung sollte man den Kolleginnen und Kollegen zutrauen: Gleitzeit, Homeoffice, Vertretungsmöglichkeiten und vieles mehr sollte kein Thema mehr sein.
Frau Dalkilic, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Antworten!
Hülya Dalkilic ist seit 2015 zugelassene Rechtsanwältin. Nach ihrer Arbeit als Volljuristin in der Türkei in einer international tätigen Kanzlei und dem Ministerium für europäische Angelegenheiten war sie angestellte Rechtsanwältin in einer bundesweit tätigen Kanzlei für Bank- und Kapitalmarktrecht mit Sitz in Düsseldorf/Bielefeld. 2019 hat sie ihre eigene Kanzlei mit Sitz in Herford gegründet. Ihre Schwerpunkte liegen in der Betreuung von Unternehmen und Selbstständigen, vorwiegend im Vertrags-/AGB Recht sowie Arbeitsrecht.