Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz

Von Detlef Burhoff

Die Justiz ist in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Erfordernisse der Praxis umfassend „digitalisiert“ worden. Insbesondere der elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten ist ausgebaut worden. Nun hat die Bundesregierung am 6.3.2024 einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der durch weitere Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung die bereits fortgeschrittene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter fördern soll. Wir stellen Ihnen in einem Überblick die wesentlichen geplanten Änderungen vor.

I. Allgemeine Änderungen

Hybridaktenführung

Allgemein ist vorgesehen, dass Papierakten, die vor dem 1.1.2026 angelegt wurden, als Hybridakte derart weitergeführt werden dürfen, dass in Papier angelegte Aktenteile weiterhin in Papier geführt werden, die Weiterführung der Akte elektronisch jedoch möglich ist (vgl. dazu z. B. § 32 Abs. 1a StPO-E).

Übermittlung eines Scans

Bestimmten Verfahrensbeteiligten soll es in allen Verfahrensordnungen ermöglicht werden, die prozessuale Schriftform für von Naturalbeteiligten oder Dritten in Papierform unterzeichnete Anträge oder Erklärungen, z. B. Insolvenzanträge, durch elektronische Übermittlung als Scan zu wahren. Die Regelung im Straf- und Bußgeldverfahren soll auf professionelle Verfahrensbeteiligte, die Verteidigung sowie Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, beschränkt werden.

II. Änderungen in der StPO

Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 32d Satz 2 StPO

Die Nutzungspflicht des § 32d Satz 2 StPO soll auf die Rücknahme der Berufung und der Revision sowie den Einspruch gegen den Strafbefehl und dessen Rücknahme erstreckt werden. Die Nutzungspflicht wird jedoch nicht auf den Verzicht auf Berufung oder Revision (in der Hauptverhandlung) erstreckt.

Ersetzung von Schriftformerfordernissen

Für die Stellung eines Strafantrages/einer Strafanzeige soll in Zukunft gelten:

  • Entsprechend der bisherigen Praxis soll die einfache Strafanzeige i. S. des § 158 Abs. 1 StPO auch elektronisch formlos gestellt werden können; sie ist lediglich durch die die Anzeige aufnehmende Person entsprechend zu protokollieren oder in sonstiger Weise zu dokumentieren. Bei schriftlich oder elektronisch eingereichten Strafanzeigen oder -anträgen erfolgt dies dadurch, dass sie zum Ermittlungsvorgang oder zur Akte genommen werden.
  • Ist ein förmlicher Strafantrag für die Strafverfolgung erforderlich (bisheriger Fall des § 158 Abs. 2 StPO), soll entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zum nicht digitalen Strafantrag die Schriftform und ihr elektronisches Äquivalent nach § 32a StPO künftig nicht mehr erforderlich sein, sofern die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich sind.

Wegfall weiterer Schriftformerfordernisse

Die derzeit u. a. noch für die Einwilligungen in Maßnahmen nach den §§ 81f, 81g und 81h StPO, die Bestätigung des Erhalts der Belehrung nach § 114b Abs. 1 StPO oder der Verzicht auf Einwendungen gegen die Einziehung nach § 424 Abs. 2 StPO geltenden Schriftformerfordernisse sollen in der StPO entfallen. Künftig soll die Möglichkeit bestehen, dass die Dokumentation der Abgabe der Erklärung durch die Strafverfolgungsbehörden eine Unterschrift entbehrlich macht. Durch die zu dokumentierende Anwesenheit der erklärenden Person kann sichergestellt werden, dass die Identität der Person verlässlich festgestellt wird.

Audiovisuelle Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung

An der Revisionshauptverhandlung (§ 350 StPO) sollen künftig Angeklagte, ihre gesetzlichen Vertreter, Verteidiger sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft auf ihren jeweiligen Antrag hin durch die Nutzung von Videokonferenztechnik auch von einem anderen Ort aus teilnehmen können. Das gleiche soll gelten für Nebenkläger, Nebenklageberechtigte sowie die Personen, die nach § 397 Abs. 2 Satz 3, § 404 Abs. 3 und § 406h Abs. 2 Satz 2 sowie § 429 Abs. 1 und § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO von dem Termin zu benachrichtigen sind.

III. Änderungen im OWiG

Erweiterung des § 110c OWiG

In der Praxis hatte es um den Anwendungsbereich des § 110c OWiG Streit gegeben. Dabei ist es insbesondere um die Frage gegangen, ob § 32d Satz 2 StPO, auf den § 110c OWiG verweist, auch für den durch einen Rechtsanwalt eingelegten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gilt.

Diese Rechtsunsicherheit soll dadurch beseitigt werden, dass die Regelung in § 110c OWiG besser an die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens angepasst wird. Künftig soll ausdrücklich geregelt werden, dass auch der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid unter die Nutzungspflicht fällt. Entsprechendes soll für die Rücknahme und den Verzicht auf den Einspruch gelten.

IV. Änderung im RVG

Berechnung der Vergütung

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG kann der Rechtsanwalt seine Vergütung bisher nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Diese Form des „Einforderns“ ist in der Praxis unter Hinweis darauf, dass seitens der Anwalt- und auch der Mandantschaft ein Bedürfnis nach einer möglichst einfachen und barrierefreien elektronischen Übermittlung der Berechnung besteht und nicht der Einsatz einer qualifizierten elektronischen Signatur erforderlich sein soll, kritisiert worden.

Vor diesem Hintergrund soll für die Vergütungsberechnung künftig die Textform genügen. Die zivil-, straf- und standesrechtliche Verantwortung der Anwaltschaft für die Richtigkeit der Vergütungsberechnung bleibt von der vorgeschlagenen Änderung unberührt. Dies soll in der Formulierung in § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG-E zum Ausdruck kommen, wonach (nur) der Rechtsanwalt die Vergütung fordern kann und er die Mitteilung der Berechnung an den Auftraggeber veranlassen muss, sofern er sie nicht selbst vornimmt. Einer eigenhändigen Unterschrift des Rechtsanwalts auf der Berechnung bedarf es jedoch zur Dokumentation der Verantwortungsübernahme nicht mehr.

V. Änderungen in der ZPO und im ArbGG

Formfiktion bei in elektronischen Schriftsätzen enthaltenen Willenserklärungen

Durch einen neuen § 130e ZPO-E bzw. § 46h ArbGG-E sollen die wirksame Abgabe und der wirksame Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen erleichtert werden, die in bei Gericht elektronisch eingereichten Schriftsätzen enthalten sind.

Eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmten materiell-rechtlichen Schriftform (§§ 126, 127 Abs. 1 und 2 BGB) oder elektronischen Form (§§ 126a, 127 Abs. 1 u. 3 BGB) bedarf, soll als in dieser Form zugegangen gelten, wenn sie in einem Schriftsatz nach Maßgabe der prozessualen Vorgaben des § 130a ZPO als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder formlos mitgeteilt (vergleiche § 270 ZPO) wird.

Die Regelung ist tatbestandlich auf vorbereitende Schriftsätze i. S. der §§ 129, 130 ZPO bezogen. Über die Verweise insbesondere in §§ 70 Abs. 2, 253 Abs. 4, 519 Abs. 4, 520 Abs.5, 549 Abs. 2 § 551 Abs. 4 und § 575 Abs. 4 ZPO ist sie aber auch auf bestimmende Schriftsätze anwendbar.

Vergleichbare Regelungen finden sich im ArbGG.

VI. Ausblick

Stand der Gesetzgebung

Der Entwurf befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren.

Weitere Beiträge

Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.

Foto:Adobe.Stock/katatonia

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