Dokumentation Hauptverhandlung

Von Detlef Burhoff

Bislang wird bei den LG und OLG über die dort stattfindenden strafgerichtlichen Hauptverhandlungen nach § 273 StPO ein Protokoll geführt, das sich darin erschöpft, den formellen Gang der Hauptverhandlung wiederzugeben und die Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich zu machen. In diesem Protokoll wird der Inhalt der Beweisaufnahme, also insbesondere die Einlassung des Angeklagten und die Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen i. d. R. nicht wiedergegeben.

Vielmehr werden von den Gerichtsmitgliedern, meist vom Berichterstatter, und den anderen Verfahrensbeteiligten eigene Mitschriften erstellt. Die Mitschriften des Berichterstatters werden dann später bei der Beratung als Gedächtnisstütze über das, was vom Angeklagten und/oder von Zeugen in der Hauptverhandlung gesagt worden ist, verwendet. Dieses Verfahren ist nicht nur fehlerbehaftet, sondern führt häufig auch zu unvollständiger Wiedergabe der Äußerungen in der Hauptverhandlung.

Deshalb gibt es schon seit längerem Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung für eine zeitgemäße Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung durch eine audio-visuelle Aufzeichnung. In der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hat es dazu den „Entwurf eines Gesetzes zur Nutzung audio-visueller Aufzeichnungen in Strafprozessen“ gegeben (BT-Drucks 19/11090). Dieser von der damaligen FDP-Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf hat sich aber nicht durchgesetzt und ist im Mai 2019 abgelehnt worden.

Die Ampelkoalition hatte sodann in ihrem Koalitionsvertrag eine gesetzliche (Neu)Regelung der Problematik vereinbart. Im Mai 2023 hat die Bundesregierung dazu den „Entwurf für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“ (im Folgenden kurz: DokHVG-E) vorgelegt. Dieser befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BR-Drucks. 227/239). Der erste Durchgang im Bundesrat wurde am 7.7.2023 abgeschlossen (vgl. Beschlussempfehlung BR-Druck. 227/1/23). Es ist daher Zeit, die geplanten Änderungen in einem Überblick vorzustellen.

Inhaltlicher Überblick der geplanten Änderungen und Neuerungen

1. Für welche Hauptverhandlungen ist die Dokumentation vorgesehen?

Vorgesehen ist die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung zunächst nur für die erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den LG und OLG. Ausgenommen sind damit Hauptverhandlungen vor dem AG, da diese i. d. R. deutlich kürzer sind als jene vor den LG und OLG, so dass eine Aufzeichnung und ein Transkript zur Unterstützung der Verfahrensbeteiligten nicht in gleichem Maße erforderlich sein soll. Auch wird in Hauptverhandlungen vor den AG bereits nach geltendem Recht ein Inhaltsprotokoll erstellt, welches zumindest die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen beinhaltet (§ 273 Abs. 2 Satz 1 StPO). Ebenso ausgenommen sind Berufungs- und die Revisionshauptverhandlungen.

2. Wird das Formalprotokoll ersetzt (§ 271 Abs. 1 DokHVG-E)?

Gegenwärtig erfolgt die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung gem. § 271 Abs. 1 Satz 1 StPO durch die Aufnahme eines Protokolls. Diese Verpflichtung, jede Hauptverhandlung durch die Aufnahme eines Protokolls – des sog. Formalprotokolls – zu dokumentieren, bleibt bestehen. Ein solches Hauptverhandlungsprotokoll ist demgemäß auch dann aufzunehmen, wenn eine Dokumentation der Hauptverhandlung zusätzlich durch Aufzeichnung und Transkript erfolgt. Aufzeichnung und Transkript sollen (nur) als Hilfsmittel für die Verfahrensbeteiligten neben das Hauptverhandlungsprotokoll treten, dieses aber nicht ersetzen. Es behält seine Funktion für das Revisionsverfahren auch in den Fällen, in denen eine Aufzeichnung erfolgt (siehe 10). Aufzeichnung und Transkript kommt insoweit keine Protokollfunktion zu.

3. Was ist die Grundlage für die digitale Dokumentation (§ 271 Abs. 2 DokHVG-E)?

Rechtsgrundlage für die Einführung der digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung wird der neue § 271 Abs. 2 DokHVG-E. Er enthält die Grundnorm zur Dokumentation. Aufgrund der Neuregelung in § 271 Abs. 2 Satz 2 DokHVG-E erfolgt die Dokumentation von Hauptverhandlungen, die erstinstanzlich vor dem LG oder dem OLG stattfinden, durch eine Tonaufzeichnung, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) zu übertragen ist.

Sie sind digital auch mit einer Bildaufzeichnung nur dann zu dokumentieren, wenn eine nach § 19 Abs. 1 StPOEG-E erlassene Rechtsverordnung dies vorsieht. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 StPOEG-E erhalten nämlich die Landesregierungen die Regelungskompetenz, abweichend von § 271 Abs. 2 Satz 2 StPO die Hauptverhandlung zusätzlich durch eine Bildaufzeichnung zu dokumentieren. Vorgesehen als Grundlage für die Transkription ist also nicht zwingend eine audio visuelle Dokumentation der Hauptverhandlung.

Aufzuzeichnen ist die gesamte Hauptverhandlung vom Aufruf der Sache bis zur Verkündung des Urteils. Die Tonaufzeichnung ist Voraussetzung für die Transkription. Durch sie werden die wesentlichen prozessual bedeutsamen Informationen festgehalten. Sie muss bei jeder digitalen Dokumentation der Hauptverhandlung erfolgen. Die Tonaufzeichnung ist automatisiert in ein Textdokument zu übertragen. Durch die Verschriftung mittels Transkriptionssoftware soll den Verfahrensbeteiligten ein Arbeitsmittel an die Hand gegeben werden, das der Aufzeichnung in seiner Praktikabilität erheblich überlegen ist.

4. Was geschieht bei einer vorübergehenden technischen Störung (§ 273 Abs. 1 DokHVG-E)?

In § 273 Abs. 1 DokHVG-E ist vorgesehen, dass eine vorübergehende technische Störung der Aufzeichnung oder der Transkription den Fortgang der Hauptverhandlung nicht hindert. Die Hauptverhandlung kann in diesem Fall fortgesetzt werden.

MKG Magazin: Die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung

Lesen Sie in dieser MkG-Ausgabe über den Regierungsentwurf vom Mai 2023 zur audiovisuellen Dokumentation von Strafverhandlungen und die neuen berufsrechtlichen Maßnahmen ab dem 1.10.2023 gemäß § 31 BORA. Detlef Burhoff und Tim Günther geben einen Überblick über die Themen.

Hier gratis downloaden

5. Ausschluss der Öffentlichkeit: Wann kann von einer Transkription abgesehen werden (§ 273 Abs. 2 DokHVG-E)?

In § 273 Abs. 2 DokHVG-E ist vorgesehen, dass in Fällen, in denen „die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit wegen der Gefährdung der Staatssicherheit nach § 172 Nr. 1 GVG oder einer Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person nach § 172 Nr. 1a GVG vorliegen“, das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss von Aufzeichnung und deren Transkription absehen können soll. Wieso gerade in diesen Fällen eine Aufzeichnung, die nur Grundlage eines Transkripts sein soll, der verlässlichen Dokumentation des Inhalts der Hauptverhandlung entgegenstehen soll, erschließt sich nicht.

6. In welcher Sprache erfolgt die Aufzeichnung (§ 273 Abs. 3 DokHVG-E)?

Maßgeblich für die Tonaufzeichnung und ihre Transkription sollen nur Äußerungen in deutscher Sprache sein. Die Vorschrift knüpft an § 184 Satz 1 GVG an, wonach die Gerichtssprache deutsch ist. Damit wird klargestellt, dass insbesondere im Fall der Teilnahme eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung nur die Übersetzung in die deutsche Sprache aufgezeichnet und transkribiert werden muss. Wird aber nur die deutsche Sprache aufgezeichnet, sind Fragen der „richtigen“ Übersetzung weiterhin in der Hauptverhandlung zu klären und können nicht im Nachgang mit Hilfe der Dokumentation aufgeworfen werden. Zum anderen folgt daraus, dass die zum Einsatz kommenden Transkriptionsprogramme keine Transkription anderer Sprachen leisten müssen, was die Anforderungen an die Software erheblich reduziert.

7. Wie werden Aufzeichnungen und Transkripte verwendet (§ 273a DokHVG-E)?

Nach § 273a Abs. 1 Satz 1 DokHVG-E sind die Aufzeichnungen und die Transkripte als Dokumente zu den Akten zu nehmen. Aufzeichnung und Transkripte unterfallen als Aktenbestandteil – unter dem Vorbehalt des § 273b StPO-E – also dem Akteneinsichtsrecht der Verfahrensbeteiligten (§§ 32f, 147, 406e StPO). Ferner findet § 499 StPO auf die Aufzeichnung und das Transkript Anwendung, weshalb Kopien der Dateien, die die Aufzeichnung und das Transkript enthalten und im Rahmen der Akteneinsicht überlassen worden sind, unverzüglich gelöscht werden müssen, wenn sie nicht mehr erforderlich sind.

Die Verwendung der Aufzeichnung und des Transkripts sind nach § 273a Abs. 2 Satz 1 DokHVG-E grundsätzlich nur für Zwecke des Strafverfahrens zulässig.

8. Wer hat Zugang zu Aufzeichnungen und Transkripten (§ 273b DokHVG-E)?

§ 273b DokHVG-E regelt den Zugang zu Aufzeichnungen und Transkripten einschließlich der Einsichtnahme und Überlassung an Dritte. Aufzeichnung und Transkript sollen den Verfahrensbeteiligten möglichst schnell, soweit technischen machbar, zur Verfügung gestellt werden, um den Verfahrensbeteiligten als Grundlage für präzise Vorhalte und zur Vorbereitung des Plädoyers und des Urteils zu dienen. Sie sind „unverzüglich“, also ohne schuldhaftes Zögern, zur Verfügung zu stellen. Kommt es zu Verzögerungen, soll aber aus der Regelung kein subjektiver Anspruch der Verfahrensbeteiligten folgen, der das Gericht zwingen könnte, Unterbrechungsanträgen stattzugeben.

Die Form der Zurverfügungstellung von Aufzeichnung und Transkript richtet sich nach der Form der Gewährung von Akteneinsicht in elektronische Akten (§ 273b Abs. 1 Satz 2 DokHVG-E). Verletzte und andere in § 403 Satz 2 genannte Personen können, wenn sie nicht durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin vertreten werden, Aufzeichnung und Transkript nach jedem Verhandlungstag in Diensträumen unter Aufsicht einsehen (§ 273b Abs. 2 DokHVG-E). Nach § 273b Abs. 3 DokHVG-E dürfen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen Aufzeichnung und Transkript nicht den Mandanten überlassen. Zulässig ist es allerdings, dass der Rechtsanwalt dem Mandanten die Aufzeichnung vorführt und Einsicht in die Transkripte gewährt. Auch die Weitergabe an Dritte zu Verfahrenszwecken ist möglich.

9. Können Verfahrensbeteiligte anhand des Protokolls die Revision betreiben (§ 352 Abs. 3 DokHVG-E)?

Ein Argument der Befürworter einer Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung war in der Vergangenheit, dass durch die verlässliche Dokumentation dessen, was Zeugen und Sachverständige in der Hauptverhandlung gesagt haben, die Revision durch das dann vorhandene Wortprotokoll einfacher geführt werden könnte. Dieses Argument ist von den Kritikern u. a. immer gegen eine Änderung angeführt worden.

Die Problematik löst in Zukunft § 352 Abs. 3 DokHVG, der ein Rekonstruktionsverbot ausspricht. Die Vorschrift enthält nämlich eine „Klarstellung“, dass das bloße objektive Vorhandensein eines Beweismittels für den Erweis der behaupteten Tatsachen nicht genügt. Vielmehr muss der Verfahrensmangel ohne Weiteres, also „auf einen Blick“, erkennbar sein, ohne dass in tatrichterliche Auslegungs- und Beurteilungsspielräume eingegriffen wird. Umfangreiche Beweismittel,
die einer wertenden Zusammenfassung und Auslegung bedürfen, eben etwa stundenlange Mitschnitte von Aussageinhalten, scheiden damit zum Nachweis des Verfahrensfehlers aus. Klargestellt wird außerdem, dass ein ohne weiteres erkennbarer Verfahrensmangel auch dann nicht vorliegt, wenn der Beweiswert des benannten Beweismittels durch den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, also andere in die Gesamtwürdigung des Tatgerichts einzustellende Beweisumstände, seine Beweisbedeutung verloren haben kann. Nur wenn ein nachträglicher Bedeutungsverlust des Beweismittels offensichtlich auszuschließen ist, kann von einem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO) ausgegangen werden.

10. Was sind die zeitlichen Vorgaben?

Die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung wird zunächst bei den erstinstanzlichen Strafsenaten der OLG pilotiert werden. Mit Ablauf dieser Pilotierungsphase zum 1.1.2030 sind dann alle erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Land- und Oberlandesgerichten verpflichtend zu dokumentieren. Bis dahin ist also noch ein wenig Zeit.

Detlef Burhoff
Weitere Beiträge

Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.

Bild: DALL·E

Mit dem MkG-Newsletter erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr
pünktlich zur Veröffentlichung per Mail – zu Themen, die Sie weiterbringen:

  • Aktuelle Gesetzesänderungen,
  • Tipps zur optimalen Abrechnung,
  • Karrierechancen, Kanzleiführung u. v. m.