Verbindung von Strafverfahren

Von Detlef Burhoff

In der Praxis macht die Abrechnung der Tätigkeit eines Strafverteidigers oder einer Strafverteidigerin in mehreren Verfahren, wenn diese verbunden werden, erhebliche Schwierigkeiten. Wir geben deshalb einen Überblick zu den allgemeinen Fragen zur Verbindung von Strafverfahren und stellen Ihnen einige Beispielsfälle vor.

Überblick: Verbindung von Strafverfahren

In der StPO ist die Verbindung von Strafverfahren in den §§ 2, 4 ff. StPO bzw. in § 237 StPO geregelt. Die §§ 2 ff. StPO regeln die sog. Verschmelzungsverbindung. § 237 StPO sieht eine sog. Verhandlungsverbindung vor. Eine Verschmelzungsverbindung setzt „zusammenhängende Strafsachen“ voraus (vgl. dazu § 3 StPO). Folge einer solchen Verbindung ist, dass die vorher getrennten/eigenständigen Verfahren zu einem neuen Verfahren „verschmolzen“ werden. Eine Verhandlungsverbindung erfolgt lediglich zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung. Folge ist eine lediglich für die Dauer der Hauptverhandlung lose Verfahrensverbindung, durch die die Selbständigkeit der verbundenen Sachen nicht berührt wird; jede Sache folgt weiterhin ihren eigenen Gesetzen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64 Aufl., 2021, § 237 Rn. 8).

Die beiden Verbindungsarten haben unterschiedliche gebührenrechtliche Auswirkungen und zwar:

  • Bei einer Verschmelzungsverbindung liegt nach der Verbindung nur noch eine gebührenrechtliche Angelegenheit vor, mit der Folge, dass nur noch in dieser einen Angelegenheit Gebühren entstehen können (Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2313).
  • Bei den lediglich zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung verbundenen Sachen (§ 237 StPO) behalten die Verfahren hingegen ihre gebührenrechtliche Selbständigkeit mit der Folge, dass in jedem Verfahren weiterhin gesonderte Gebühren entstehen können (s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn.2314; Enders JurBüro 2007, 393, 395).

Auf bereits entstandene Gebühren hat die Verbindung nach dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 RVG keine Auswirkungen. Gebühren, die in den verbundenen Verfahren entstanden sind, bleiben dem Rechtsanwalt bzw. der Rechtsanwältin erhalten.

Hinsichtlich neu entstehender Gebühren ist zu unterscheiden:

  • Bei der Verschmelzungsverbindung liegt nach der Verbindung  nur noch eine gebührenrechtliche Angelegenheit vor. Daher können Gebühren, die erst nach der Verbindung anfallen gem. § 15 Abs. 2 1 RVG nur noch einmal und nicht mehr in jedem verbundenen Verfahren gesondert entstehen.
  • Bei der Verhandlungsverbindung behalten die Verfahren hingegen ihre gebührenrechtliche Eigenständigkeit. Das hat zur Folge, dass neue Gebühren ggf. in jedem Verfahren entstehen können.

Diese Grundsätze gelten für die Auslagen (Nrn. 7000 ff. VV RVG) entsprechend. Die Ausführungen gelten sinngemäß auch für das Bußgeldverfahren (Teil 5 VV RVG).

Grds. gelten für den Pflichtverteidiger bzw. die Pflichtverteidigerin dieselben Regeln wie für den Wahlanwalt. Allerdings muss der Pflichtverteidiger bzw. die Pflichtverteidigerin die Regelung in § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG beachten (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 Abs. 6 Rn 1 ff.).

Beispielsfall 1: Grundfall – Verbindung vor Anklageerhebung

Dem Beschuldigten B wird im Verfahren 1 ein Diebstahl und im Verfahren 2 ein Betrug zur Last gelegt. B wird in beiden Verfahren von RA R verteidigt. Die Verfahren werden von der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung verbunden, Verfahren 1 führt. Es kommt dann zur Anklage beim AG. Beim AG findet eine eintägige Hauptverhandlung statt.

Lösung/Abrechnungshinweise:

Bis zur Verbindung gilt: Die Verfahren 1 und 2 bilden eigenständige Angelegenheiten. Die in diesen entstandenen Gebühren gehen RA R durch die Verbindung nicht verloren. Entstanden sind sowohl im Verfahren 1 als auch im Verfahren 2 die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV RVG.

Nach der Verbindung gilt: In dem nach der Verbindung führenden einheitlichen Verfahren 1 entstehen nur noch die Gebühren, deren Tatbestand erst nach der Verbindung verwirklicht wird. Das ist die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG, die aber nur einmal entsteht und auch die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG.

Im verbundenen führenden Verfahren entsteht nicht noch einmal eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. In die jeweiligen Rechtsfälle hat sich RA R bereits eingearbeitet (s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4100 VV Rn. 42 f.).

Hinsichtlich der Gebührenhöhe gilt: Auszugehen ist grds. von der Mittelgebühr. Für die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich der Verfahrensgegenstand nach der Verbindung erweitert hat, was zu einer angemessenen Erhöhung der Gebühr führen dürfte. Das gilt vor allem dann, wenn nach der Verbindung in dem verbundenen Verfahren noch erhebliche Tätigkeiten erbracht worden sind (vgl. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn. 2319). Auch die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG dürfte sich oberhalb der Mittelgebühr bewegen, da das Verfahren nach der Verbindung mehrere Vorwürfe zum Gegenstand hat.

Beispielsfall 2: Geplante Verbindung/Grundgebühr

Gegen den Beschuldigten sind 27 Ermittlungsverfahren anhängig, in denen sein Verteidiger jeweils Akteneinsicht genommen hat. Diese Verfahren sind im Js-Register einzeln eingetragen, die Staatsanwaltschaft plante aber von vornherein eine Verbindung. Später sind die 27 Verfahren dann auch zu sieben Verfahren verbunden worden. Wie viele Grundgebühren sind entstanden?

Lösung/Abrechnungshinweise:

Mehrere (Ermittlungs)Verfahren sind so lange ein eigener Rechtsfall bzw. eine eigenständige Angelegenheit, wie die Verfahren nicht miteinander verbunden sind (u. a. KG StRR 2011, 359 = RVGreport 2012, 456). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Verfahren hier zwar einzeln eingetragen worden sind, bei der sachbearbeitenden Staatsanwaltschaft aber von Anfang an die Absicht vorgelegen hat, die Verfahren später zu verbinden. Es sind also 27 Grundgebühren entstanden.

Es gilt der Grundsatz: Bis zur Verbindung der Verfahren können in jedem der später verbundenen Verfahren eigenständig alle Gebühren entstehen.

Beispielsfall 3: Verbindung von Strafverfahren durch das Gericht vor der Hauptverhandlung

Im Beispielfall 1 werden die Verfahren nicht durch die Staatsanwaltschaft verbunden, sondern erst nach Anklageerhebung vor der Hauptverhandlung durch das Gericht. Das Verfahren 1 führt. Es findet dann eine eintägige Hauptverhandlung statt.

Lösung/Abrechnungshinweise:

Bis zur Verbindung:

Die Verfahren 1 und 2 bilden bis zur Verbindung eigenständige Angelegenheiten. Die in diesen entstandenen Gebühren gehen RA R durch die Verbindung nicht verloren. Entstanden sind jeweils die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV RVG und die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG (vgl. die Anm. zu Nr. 4104 VV RVG).

Nach der Verbindung: In dem nach der Verbindung führenden einheitlichen Verfahren 1 entstehen noch die Gebühren, deren Tatbestand erst nach der Verbindung verwirklicht wird. Das ist nur die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG.

Im verbundenen führenden Verfahren entsteht auch in diesem Fall nicht noch einmal eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. RA R hat sich nämlich in die „Rechtsfälle“, die diesem führenden Verfahren nunmehr zugrunde liegen, bereits vor der Verbindung eingearbeitet.

Beispielsfall 4: Verbindung von Strafverfahren in der Hauptverhandlung

Im Fall 1 werden die Verfahren 1 und 2 nicht vor, sondern erst in der Hauptverhandlung vom AG verbunden, Verfahren 1 führt. Es findet dann die eintägige Hauptverhandlung statt.

Lösung/Abrechnungshinweise:

Die Ausführungen zu Fall 1 gelten hinsichtlich der in den Verfahren 1 und 2 bis zur Verbindung entstehenden Gebühren entsprechend. Für die nach der Verbindung im führenden Verfahren 1 entstehenden Gebühren gilt ebenfalls wie in Fall 1, dass nicht noch eine weitere (dritte) Verfahrensgebühr und/oder Grundgebühr entsteht.

Fraglich ist allerdings, wie viele Terminsgebühren entstehen. Die Antwort ist davon abhängig, ob in beiden Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Unerheblich ist es insoweit, ob in beiden Sachen eine Hauptverhandlung anberaumt war (vgl. OLG Dresden AGS 2009, 223; LG Düsseldorf RVGreport 2007, 108; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn. 91). Hat in jedem Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden, entsteht in jeder – zunächst noch nicht verbundenen – Angelegenheit gesondert eine Terminsgebühr. Es kommt also darauf an, ob die Verbindung erst nach Aufruf aller Sachen erfolgt ist, da dann auch in den hinzuverbundenen Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden hat (Burhoff/Burhoff, a.a.O. m. Hinweis zur Vorgehensweise). Die in den Verfahren ggf. entstandenen Terminsgebühren gehen durch die nachfolgende Verbindung der Verfahren nicht verloren.

Die gleichzeitige Terminierung von Verfahren bedeutet im Übrigen nicht deren stillschweigende Verbindung (OLG Köln JurBüro 2002, 303; LG Hanau RVGreport 2005, 382).

Beispielsfall 5: Alle bereits entstandenen Gebühren bleiben erhalten

Dem Beschuldigten B wird im Verfahren 1 Fahren ohne Fahrerlaubnis und im Verfahren 2 ein Kfz-Diebstahl zur Last gelegt. B wird in beiden Verfahren von RA R verteidigt. Im vorbereitenden Verfahren des Verfahren 1 hat sich der B in Untersuchungshaft befunden. Es hat ein Haftprüfungstermin stattgefunden, bei dem der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt und B frei gelassen worden ist. Es kommt jeweils zur Anklage beim AG. Im Verfahren 1 findet dann eine Hauptverhandlung statt, die ausgesetzt wird. Der Amtsrichter verbindet dann die Verfahren vor der (neuen) Hauptverhandlung, Verfahren 1 führt. Es findet dann im verbundenen Verfahren eine eintägige Hauptverhandlung statt.

Lösung/Abrechnungshinweise:

Bis zur Verbindung gilt:

Die Verfahren 1 und 2 bilden bis zur Verbindung eigenständige Angelegenheiten. Die in diesen entstandenen Gebühren gehen RA R durch die Verbindung nicht verloren. Entstanden sind jeweils die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104, 4105 VV RVG, und die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG (vgl. die Anm. zu Nr. 4100 VV RVG).

Im Verfahren 1 ist zusätzlich noch eine Gebühr Nr. 4102 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG für die Teilnahme von RA R am Haftprüfungstermin entstanden. Entstanden ist im Verfahren 1 außerdem die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG für die erste Hauptverhandlung in diesem Verfahren.

In beiden Verfahren sind die Verfahrensgebühren Nr. 4104 VV RVG mit Zuschlag nach Nr. 4105 VV RVG entstanden. Es kommt nicht darauf an, dass B „nur“ im Verfahren 1 inhaftiert war. Die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG für die erste Hauptverhandlung im Verfahren 1 ist allerdings ohne Zuschlag entstanden, da B zur Zeit des Hauptverhandlungstermins nicht mehr inhaftiert war.

Nach der Verbindung gilt: In dem nach der Verbindung führenden Verfahren 1 entstehen nur noch die Gebühren, deren Tatbestand erst nach der Verbindung verwirklicht wird. Das ist noch einmal die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG. Im Übrigen gelten die Ausführungen zu Fall 3.

Beispielsfall 6: Verhandlungsverbindung

Dem Beschuldigten B wird im Verfahren 1 Fahren ohne Fahrerlaubnis und im Verfahren 2 ein Kfz-Diebstahl zur Last gelegt. B wird in beiden Verfahren von RA R verteidigt. Es kommt jeweils zur Anklage beim AG. Der Amtsrichter beschließt nun, die beiden Verfahren zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung gem. § 237 StPO zu verbinden und bestimmt in beiden Verfahren für den gleichen Termin die Hauptverhandlung.

Lösung/Abrechnungshinweise:

Bis zur Verbindung gilt: Es gelten für die Verfahren vor der Verbindung die Ausführungen zu Fall 3.

Nach der Verbindung gilt: Da es sich nur um eine Verbindung nach § 237 StPO handelt, bleiben die beiden Verfahren gebührenrechtlich gesonderte Angelegenheiten. Es entsteht also in jedem Verfahren die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG.

Weitere Beiträge

Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.

Lesen Sie hier auf mkg-online.de von Abrechungsexperte Norbert Schneider, wie bei Verbindungen von Zivilverfahren abgerechnet wird. 

Foto: Adobe Stock/doucefleur

Mit dem MkG-Newsletter erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr
pünktlich zur Veröffentlichung per Mail – zu Themen, die Sie weiterbringen:

  • Aktuelle Gesetzesänderungen,
  • Tipps zur optimalen Abrechnung,
  • Karrierechancen, Kanzleiführung u. v. m.