
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG kann der Rechtsanwalt seine Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung fordern. Voraussetzung für die „Einforderbarkeit“ der Vergütung ist deren ordnungsgemäße Berechnung. § 10 RVG wurde erst im Sommer 2024 durch das am 17.7.2024 in Kraft getretene „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“ v. 16.7.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 234) geändert.
Wir stellen Ihnen die Neuregelung vor und zeigen Ihnen anhand der obergerichtlichen Rechtsprechung, was für eine ordnungsgemäße Berechnung der anwaltlichen Vergütung zu beachten ist.
Checkliste 1: Allgemeine Fragen
Frage 1: Was ist unter „Fordern“ zu verstehen?
Das RVG versteht unter „Fordern“ jede Form der Geltendmachung des Vergütungsanspruchs, also (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26 Aufl. 2023, § 10 Rn. 4) die Zahlungsaufforderung, die Mahnung, die Aufrechnung (BGH AnwBl. 1985, 257; OLG Frankfurt am Main, AnwBl. 1975, 163; OLG Koblenz MDR 2011, 576, die Zurückbehaltung, die gerichtliche Geltendmachung (OLG Düsseldorf AGS 2011, 366, 370; RVGreport 2012, 143; OLG Frankfurt am Main AnwBl. 2011, 300).
Zinsen, auch Prozesszinsen, fallen daher erst nach Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung an (OLG Düsseldorf AGS 11, 366, 370 = MDR 11, 760).
Hinweis:
Bis zu den Änderungen im Sommer 2024 war in § 10 Abs. 1 S. 1 RVG mit „einfordern“ formuliert. Mit der Änderung in „fordern“ war keine sachliche Änderung bezweckt (BT-Drucks. 20/10943, S. 37, 63).
Frage 2: Auf welche Vergütungen wird § 10 RVG angewendet?
Die Vorschrift gilt nur für nach dem RVG berechnete Vergütungen
Frage 3: Gilt die Vorschrift auch für Auslagen?
Ja. § 10 RVG gilt für „Gebühren und Auslagen“, die nach dem RVG abgerechnet werden. Das folgt aus der Verwendung des Begriffs „Vergütung“ im Zusammenhang mit der Legaldefinition dieses Begriffs in § 1 Abs. 1 S. 1 RVG (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 3).
Frage 4: Gilt die Vorschrift auch für Auslagen, die nicht nach dem RVG abgerechnet werden.
Nein, insoweit gilt § 670 BGB. Diese Auslagen können formlos abgerechnet werden (AnwKomm-RVG/N. Schneider, RVG, 9. Aufl., 2921, § 10 Rn. 8).
Frage 5: Wird § 10 RVG auch auf Vergütungsvereinbarungen angewendet?
Ja, § 10 RVG findet auch auf eine Vergütungsvereinbarung Anwendung (BGHZ 184, 209 = NJW 2010, 1384; inzidenter BGH NJW 2011, 63 = AGS 2011, 9; OLG Düsseldorf AGS 2011, 366, 370; OLG Frankfurt am Main AnwBl. 2011, 300; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 Rn. 6; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 3), es sei denn, aus dieser ergibt sich etwas anderes (zur Abdingbarkeit Mayer/Kroiß/Mayer, RVG, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 4).
Frage 6: Muss auch ein Vorschuss nach § 9 RVG gem. § 10 RVG berechnet werden?
Ein Vorschuss braucht nicht nach § 10 berechnet zu werden (a.A. AG München AGS 2006, 588 m. abl. Anm. N. Schneider). Es dürfte sich aber empfehlen, den vorschussweise angeforderten Betrag soweit aufzuschlüsseln, dass der Auftraggeber die Berechtigung der Anforderung erkennen bzw. nachprüfen kann.
Frage 7: Gilt § 10 für die Abrechnung gegenüber der Staatskasse bei der PKH oder bei der Beratungshilfe bzw. bei Geltendmachung der Pflichtverteidigervergütung?
Nein (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 Rn. 10).
Frage 8: Kann die Rechtsschutzversicherung eine Abrechnung auf der Grundlage von § 10 RVG verlangen?
Nein, denn sie ist nicht Auftraggeberin (OLG München AGS 2011, 46; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 Rn. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 3).
Frage 9: Welche Folgen ergeben sich aus der unrichtigen Angabe einer Gebührenvorschrift?
Die unrichtige Angabe einer Gebührenvorschrift beeinträchtigt nicht die formelle Gültigkeit der Berechnung (OLG Düsseldorf AGS 2008, 432; AGS 2008, 536; OLG Hamburg AnwBl. 1970, 233.
Frage 10: Welche Folgen ergeben sich aus einer zu hohen Berechnung?
Eine zu hohe Berechnung ist unschädlich (BGH NJW 2011, 63 AGS 2911, 9). Der Rechtsanwalt kann in Höhe der berechtigten Forderung seine Vergütung fordern (BGH NJW 2011, 63 = AGS 2011, 9 m.w.N.; NJW 2018, 1479 = AGS 2018, 165; OLG Bamberg NJW 2023, 3516; OLG Düsseldorf AGS 2008, 432; 2011, 366, 370).
Checkliste 2: Formelle Anforderungen an die Berechnung
Frage 1: Wem ist die Rechnung zu erteilen?
Die Rechnung muss gegenüber dem Auftraggeber erteilt werden. Das ist nicht unbedingt der Mandant, was z.B. bei Minderjährigen oder im Haftpflichtprozess (vgl. § 10 AKB) der Fall sein kann. Es reicht also nicht aus, wenn die Rechnung Dritten erteilt wird, die anstelle des Auftraggebers für diesen die Kosten ausgleichen (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O. § 10 Rn. 17).
Frage 2: Kann der Auftraggeber verlangen, dass die Rechnung nicht ihm, sondern einem Dritten erteilt wird?
Ja (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 6).
Frage 3: Kann ein Dritter, der verpflichtet ist, den Mandanten von Schadensersatzansprüchen freizustellen, verlangen, dass ihm eine Rechnung ausgestellt wird?
Nein, denn er ist nicht Auftraggeber und er hat vom Rechtsanwalt auch keine Leistung bezogen (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 Rn. 18).
Frage 4: Wie ist bei mehreren Auftraggebern zu verfahren?
Mehrere Auftraggeber müssen einzeln in der Rechnung aufgeführt werden. Etwas anderes kann ggf. gelten, wenn die Rechnung von mehreren Auftraggebern aus einem gemeinsamen Vermögen beglichen wird (wegen der Einzelh., Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 6; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 Rn. 19).
Frage 5: Wie ist die Rechnung zu erteilen?
Nach den Änderungen im Sommer 2024 bedarf die Rechnung nur noch der Textform (§ 126b BGB). Das bedeutet, dass eine vom Rechtsanwalt selbst, z. B. durch Email, versandte Rechnung (jetzt) den gesetzlichen Anforderungen genügt.
Frage 6: Kann die Berechnung allein durch einen Mitarbeiter vorgenommen werden?
Nein, das dürfte der Intention des Gesetzgebers widersprechen. Denn Sinn und Zweck der Neuregelung war/ist es, das Bedürfnis der Rechtsanwälte und ihrer Mandanten nach einer möglichst einfachen und barrierefreien elektronischen Übermittlung der (Be)Rechnung zu erfüllen. Deshalb soll nun die Textform genügen. Mit der Neuregelung sollten keine Abstriche bei der Verantwortung der Rechtsanwälte für ihre Rechnungen verbunden sein (vgl. BT-Drucks. 20/10943, S. 63). Das bedeutet, dass eine Abrechnung/Berechnung allein durch Personal ohne Prüfung/Durchsicht und Freigabe durch den Rechtsanwalt den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt.
Frage 7: Muss die Rechnung auf einem gesonderten Blatt erteilt werden?
Nein, sie kann auch in ein Schreiben an den Mandanten integriert oder an dessen Ende gesetzt werden (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 Rn. 14; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 7).
Frage 8: Kann die Berechnung ggf. auch erst noch im Vergütungsprozess erteilt werden?
Ja, das ist möglich (vgl. OLG Düsseldorf, AGS 2009, 14 für die hilfsweise Geltendmachung der gesetzlichen Vergütung anstelle eines vereinbarten Honorars).
Frage 9: Kann die Rechnung dem Mandanten per Email übersandt werden, der ein PDF anhängt?
Ja, dieser einfache ÜbermittIungsweg ist nach der Änderung des § 10 Abs. 1 S. 1 RVG jetzt zulässig (BT-Drs. 20/10943, 37).
Frage 10: Kann die Rechnung ggf. auch per beA an das Gericht übersandt werden?
Ja, das ist jetzt zulässig (Cremers NJW 2024, 3497, 3498).
Checkliste 3: Inhaltliche Anforderungen an die Berechnung
Frage 1: Bestehen für eine ordnungsgemäße Berechnung besondere inhaltliche Anforderungen?
Ja, inhaltlich muss die Rechnung bestimmte Pflichtangaben enthalten (wegen der Einzelheiten s. die nachstehenden Ziffern).
Frage 2: Welche Angaben sind allgemein erforderlich?
Aufzuführen sind: Die Beträge der einzelnen Gebühren, Auslagen und Vorschüsse, eine kurze Bezeichnung des jeweiligen Gebührentatbestandes, die Bezeichnungen der Auslagen und die angewandten Nummern des VV RVG.
Als kurze Bezeichnung des jeweiligen Gebührentatbestandes genügt die Angabe z. B. Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Geschäftsgebühr, Einigungsgebühr usw. (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 8).
Frage 3: Muss die Angelegenheit angegeben werden, in der abgerechnet wird?
Die Frage ist strittig ist. Sie wird bejaht von AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O. § 10 § 10 Rn. 20; wohl auch OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 2029). Hansens (RVGreport 2004, 65) hat sie verneint), Mayer/Kroiß/Mayer (a.a.O., § 10 Rn. 17) hat sie offen gelassen.
Die Frage dürfte sich in der Praxis dadurch erledigen, dass entweder das Computerprogramm die Angelegenheit, in der die Berechnung erstellt wird, angibt bzw. im Übrigen der Rechtsanwalt in seiner Mitteilung auf die Angelegenheit Bezug nehmen wird.
Frage 4: Müssen die Gebührenziffern, nach denen abgerechnet wird, angegeben werden?
Ja, die angewandten Nummern des Vergütungsverzeichnisses sind anzugeben, und zwar ggf. auch die Absätze, die Sätze und Nummern, weil sonst nicht erkennbar ist, von welcher Gebühr der Rechtsanwalt ausgeht.
Frage 5: Müssen Vorschüsse angegeben werden?
Vorschüsse (§ 9 RVG) müssen angegeben werden (vgl. auch Meyer JurBüro 2009, 634). Es empfiehlt sich, die Nettobeträge von der Nettovergütung abzuziehen und erst dann die USt auszuweisen (Hansens RVGreport 2004, 65).
Frage 6: Bestehen besondere Anforderungen, wenn nach dem Gegenstandswert abgerechnet wird?
Bei einer Abrechnung nach dem Gegenstandswert (z.B. Nr. 1003 VV RVG) muss die Abrechnung den Gegenstandswert enthalten. Die Paragraphen, aus denen sich dieser Wert ergibt, müssen nicht aufgeführt werden; es kann jedoch sinnvoll sein, dem Auftraggeber die Wertberechnung in der Rechnung oder in einem Anschreiben zu erläutern.
Frage 7: Bestehen bei einer Vergütungsvereinbarung Besonderheiten?
Handelt es sich um eine auf einer Vergütungsvereinbarung beruhende Berechnung, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O. § 10 Rn. 7).
Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt seiner Abrechnung/Berechnung eine Tätigkeitsliste beilegen muss, da anderenfalls für den Mandanten die Berechnung nicht nachvollziehbar ist (s. auch BGH NJW 2010, 1384 = AGS 2010, 267 unter B III 2a; NJW 2011, 63 = AGS 2011, 9; OLG Düsseldorf AGS 2010, 109).
Frage 8: Was muss bei einem Zeithonorar beachtet werden?
Es ist (zumindest) stichwortartig in einer auch im Nachhinein verständlichen Weise niederzulegen, welche konkreten Tätigkeiten vom Verteidiger innerhalb eines bestimmten Zeitraums erbracht worden sind (BGH NJW 2010, 1384 = AGS 10, 267).
Nicht ausreichend ist, wenn den einzelnen Tagen nicht die jeweilige Stundenzahl zugeordnet wird, sondern lediglich die Gesamtzahl aller Stunden vermerkt wird und die jeweiligen Tage ohne weitere Spezifizierung aufgeführt werden (BGH NJW 2011, 63 = AGS 2011, 9). Insgesamt muss die Berechnung für den Mandanten überprüfbar sein (BGH, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main AnwBl. 2011, 300).
Frage 9: Wie ist bei Post- und Telekommunikationsdienstleistungen zu verfahren?
Soweit die Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen einzeln abgerechnet werden (Nr. 7001 VV RVG), genügt die Angabe des Gesamtbetrags.
Frage 10: Welche steuerrechtlichen Anforderungen sind ggf. zu erfüllen?
Aus § 14 UStG können sich besondere Anforderungen an eine Rechnung ergeben, die einem vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger/Auftraggeber erteilt wird (wegen der Einzelh. AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 Rn. 112 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 9).
Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.
Bild: Adobe Stock/© N.W.