Dateibenennung beA BGH

Von Prof. Dr. Henning Müller

Es ist wohl die Kehrseite der eigentlich lang ersehnten Digitalisierung der Justizkommunikation, dass auch die Rechtsprechung zu Anwendungsfehlern zunimmt. Gerade wenn es um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geht, gerät zudem die sorgfältige Kanzleiorganisation in den Blick. Hier zeigen sich vor allem dann Friktionen, wenn die Digitalisierung nicht zum Anlass genommen wurde, die Arbeitsweisen in einer Kanzlei in ihrer Gesamtheit zu betrachten, sondern, wenn der elektronische Rechtsverkehr mit der Justiz einfach nur als weiterer Kommunikationskanal einer bestehenden Arbeitsorganisation hinzugefügt wurde. Dann besteht die Gefahr, dass der elektronische Rechtsverkehr ausschließlich lästig ist, seine Vorteile nicht genutzt werden – und Ausweichstrategien gesucht (und gefunden) werden.

I. Vorsicht bei Dateibenennung und Umgang mit beA-Karte: Die Entscheidung des BGH v. 31.8.2023 – Via ZB 24/22

In sozialen Medien leidenschaftlich diskutiert und als lebensfremd kritisiert wurde insoweit vor allem eine Entscheidung des BGH ausgerechnet in einem „Diesel“-Massenverfahren. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Hiergegen hatte der Kläger durch seinen Rechtsanwalt noch fristgerecht Berufung eingelegt, aber noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nur eine Datei mit dem Dateinamen „Berufungsschriftsatz.pdf“ eingereicht, die nicht nur ein anderes Gericht, sondern auch andere Beteiligte betraf. Nun beantragte dessen Bevollmächtigter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt. Der Rechtsanwalt könne sich nicht exkulpieren. Offenbar sei der Versand an Mitarbeitende delegiert worden. Entgegen § 23 Abs. 2, 3 RAVPV wurde dort aber dem Anschein nach nicht ein Mitarbeiterzugang genutzt, der nur die Übersendung von qualifiziert elektronisch signierten Dokumenten erlaube, sondern der Mitarbeitende hatte offensichtlich den anwaltlichen Zugang genutzt. Dies widerspricht jedoch § 26 Abs. 1 RAVPV.

Zu den „sprechenden Dateinamen“ hatte sich der BGH schon in der Vergangenheit – viel kritisiert – positioniert. An seinen strengen Anforderungen hält er fest. In dem Verfahren vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 kam außerdem ein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 RAVPV hinzu; in der einreichenden Kanzlei hatte der Berufsträger die beA-Karte und die PIN an seine Mitarbeitenden weitergegeben. Erwartbar wenig Milde ließ der Senat erkennen: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gab es hier entsprechend nicht.

Die Einräumung der Zugangsmöglichkeit des Berufsträgers/der Berufsträgerin an Mitarbeitende ist ein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 RAVPV. Im vorliegenden Fall führt dieser Verstoß dazu, dass sich der Rechtsanwalt so behandeln lassen muss, als habe er selbst den Schriftsatz versandt. Er kann sich also nicht exkulpieren und erhält mangels fehlenden Verschuldens schon deshalb keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Ferner kritisiert der BGH hier erneut die Dateibezeichnung ohne konkreten Bezug auf den Fall. Obwohl weder im Gesetz noch in ERVV oder ERVB vorgesehen, verlangt der BGH, dass der Dateiname des übermittelten Schriftsatzes „sprechend“ zu sein hat. Ein solchermaßen „aussagekräftiger“ Dateiname soll es ermöglichen, dass nur bei Kenntnis des Dateinamens bei der Kontrolle der automatisierten Eingangsbestätigung erkennbar ist, dass der richtige Schriftsatz in diesem Verfahren versandt wurde. Entsprechend sollte der Dateiname nach der Rechtsprechung einen Inhalt haben, der die Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren erlaubt, z. B.

  • das eigene Aktenzeichen der Kanzlei,
  • das gerichtliche Aktenzeichen oder
  • den Namen des/der Verfahrensbeteiligten (wobei insoweit unter Datenschutzgesichtspunkten zu beachten ist, dass der Dateiname nicht von der Inhaltsverschlüsselung des OSCI-Protokolls umfasst ist.

II. Prüfung des Postausgangs auf Formmängel

Die Entscheidung vom 31.8.2023 ist letztlich nur die Spitze des Eisbergs. Die Rechtsprechung gerade des BGH wird für die Absenderseite zusehends strenger. Die Prüfpflichten beim Versenden bezieht der BGH (v. BGH v. 19.01.2023 – V ZB 28/22) mittlerweile nicht mehr nur wie anfangs auf die automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO, sondern sieht eine umfassende Prüfung des Postausgangs auf Formmängel vor, bspw. auch dahingehend, ob die richtige Datei qualifiziert elektronisch signiert worden ist. Diese Ausweitung ist zu kritisieren, weil sie die Anforderungen an eine arbeitsteilige Kanzleiorganisation deutlich überspannt, zumal der BGH in der zitierten Entscheidung auch nicht die Gerichte in der Pflicht sieht, derartige Mängel schnell zu erkennen und (noch innerhalb laufender Fristen) im Rahmen der gerichtlichen Fürsorge zu rügen.

III. Keine Automatisierung der Fristen- und Ausgangskontrolle

Eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle darf schließlich nach der Rechtsprechung (OLG Schleswig-Holstein v. 13.10.2022 – 7 U 160/22) auch nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware erfolgen, sondern erfordert zusätzlich einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte. Das Büropersonal sei bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift anzuweisen, in der entsprechenden Anwaltssoftware das zuständige Berufungsgericht einzupflegen. Das Fristenmanagement einer Anwaltskanzlei müsse sicherstellen, dass dem Rechtsanwalt/der Rechtsanwältin die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittelfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden, und darüber hinaus eine Ausgangskontrolle schaffen, die zuverlässig gewährleiste, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig an das zuständige Gericht versendet werden. Dabei sei die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst dann als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Schließlich gehöre zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Weisung, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders nochmals und abschließend selbstständig überprüft wird. Das Erfordernis der allabendlichen Fristenkontrolle dient gerade dazu, durch eine doppelte Prüfung möglichst alle Fehlerquellen bei der Fristwahrung auszuschließen.

Auch diese Rechtsprechung ist zu kritisieren. Gerade die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, die Kontrollen nicht nur zu rationalisieren, sondern durch automatische Plausibilitätskontrollen wesentlich sicherer zu gestalten, als dies durch eine abendliche manuelle Prüfung möglich wäre. Im Übrigen nimmt man konsequent digitalisierten Kanzleien die Option, die moderne Kanzleiorganisation „neu zu erfinden“. Ganz im Gegenteil zwingt diese Rechtsprechung letztlich zum Medienbruch und „zur Digitalisierung der Postkutsche“.

IV. Weitergabe von beA-Karte und/oder PIN

In den sozialen Medien wird die Entscheidung des BGH andererseits zu Unrecht als „lebensfremd“ kritisiert. Wenn behauptet wird, „viele (die meisten?) Rechtsanwaltskanzleien arbeiteten genau so“, dass der elektronische Rechtsverkehr vollständig von den Kanzleimitarbeitenden bedient werde, nicht von den Berufsträger:innen, dann ist dies aktuell in den Gerichten oder im Rahmen von Fortbildungen weder zu beobachten, noch ist dies zu hoffen. Die Regelung des § 26 Abs. 1 RAVPV ist nicht nur geltendes Recht und sehr eindeutig, sie hat auch einen wichtigen Sinn: Bei den sicheren Übermittlungswegen ist die Identifizierung in die Einrichtung des Postfachs ausgelagert; nur deshalb können die Postfachinhaber:innen auf die qualifizierte elektronische Signatur verzichten. Diese Konstruktion ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn der Zugriff auf das Postfach entsprechend abgesichert ist.

Kritisieren mag man, dass die gesamte Konstruktion des § 130a ZPO anachronistisch sei. Solange sie aber geltendes Recht ist, haben sich die Verfahrensbeteiligten hieran zu halten. Die vom BGH gezogene Konsequenz, jedenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen, ist daher mindestens die richtige Rechtsfolge für ein eindeutig rechtswidriges Verhalten.

Notwendig ist eine dermaßen rechtswidrige Kanzleiorganisation im Übrigen nicht. Durch Mitarbeiterzertifikate – die im Übrigen auch kostengünstig als Softwarezertifikate erhältlich sind – lässt sich günstig und zweckmäßig eine Arbeitsteilung in der digital arbeitenden Kanzlei organisieren. Falls dann die Berufsträger:innen noch durch häufige qualifizierte elektronische Signaturen genervt sind, hilft ggf. eine moderne Kanzleisoftware, ggf. mit Stapelsignaturmöglichkeit. Jedenfalls ist hier nicht das gerne und vorschnell kritisierte beA „schuld“.

V. Umgang mit Dateinamen

Verständlicher ist die Kritik der Fachöffentlichkeit an den Anforderungen, die der BGH an die Dateinamenvergabe stellt. Immerhin begründet der BGH (diesmal) seine Auffassung durch eine Analogie zu den Sorgfaltspflichten beim Telefax; während beim Fax eine schnelle, einfache Sichtprüfung ohne Weiteres zu bewerkstelligen sei, sei dies bei elektronischen Dokumenten schwierig.

Weshalb der BGH gerade auf Dateinamen abstellt, ist dagegen nicht verständlich. Vor allem, wenn eine Kanzleisoftware verwendet wird, sind Dateinamen möglicherweise gar nicht sichtbar oder sie werden erst im Moment des Versands vergeben. So oder so, ergeben sich hieraus keine weiterführenden Kontrolloptionen. Im Übrigen sollte der BGH „technikoffen“ auch andere – gleichermaßen sichere – Organisationsalternativen zulassen, bspw. die Anweisung, unmittelbar vor dem Versand das Dokument selbst noch einmal zu öffnen und zu kontrollieren. Oder eine Kanzleisoftware, die in einer Art Vorschaufenster das Dokument im Versandvorgang anzeigt bzw. die Anweisung, das Dokument unmittelbar nach dem Versand in den gesendeten Objekten nochmals zu öffnen und zu kontrollieren. Ob dies alles – gerade bei der Analogie zum Telefax – wirklich erforderlich ist, wenn in einer vollständig digital arbeitenden Kanzlei direkt „aus der E-Akte“ versandt wird, ist allerdings ohnehin fraglich. Die organisatorischen Anforderungen sollten nicht über die Maßen überspannt werden.

Dies gilt umso mehr mit Blick darauf, als gerade die Gerichte teilweise schon lange nicht mehr auf Dateinamen als Ordnungskriterium setzen. Insofern gehört die Zukunft ganz eindeutig den außerhalb des Dateinamens liegenden Metadaten, die z. B. mit der XJustiz-Nachricht dem übermittelten Dokument mitgegeben werden. Dies erleichtert zum einen die automatisierte Weiterverarbeitung erheblich, zum anderen verhindert die Verwendung eindeutiger Dateinamen (UUID) das versehentliche Überschreiben gleichnamiger Dokumente beim Speichern in einer Dateistruktur.

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Prof. Dr. Henning Müller ist Direktor des Sozialgerichts Darmstadt, Lehrbeauftragter der Philipps-Universität Marburg und der Hochschule Ludwigshafen. Zudem ist er Mitherausgeber des „jurisPK-ERV“, des „beckOKG-SGG“ und der Zeitschrift „Recht Digital“ (RDi), sowie Herausgeber des Blogs ervjustiz.de zum elektronischen Rechtsverkehr und Autor des Fachbuchs „e-Justice-Praxishandbuch“.

Bild: Adobe Stock/©WEDPHOTO

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