beA Haftungsfallen

Von Prof. Dr. Henning Müller

Am 1. Januar 2022 wurde der elektronische Rechtsverkehr zur Pflicht. Wer bisher den Kopf in den Sand gesteckt hatte, muss sich nun schnellstmöglich orientieren, denn bei Fehlern droht die Haftung. Panik ist indes auch nicht angezeigt, denn der Gesetzgeber hat für den Übergang in das digitale Zeitalter gleich an mehreren Stellen Sicherheitsnetze aufgespannt. Kennen sollte diese aber jeder Einreicher/jede Einreicherin. Zudem sollte hieran auch die Kanzleiorganisation angepasst werden. Hierbei hilft der folgende Beitrag.

Ersatzeinreichung bei Störungen

Kommt es zu Störungen des elektronischen Rechtsverkehrs, sieht das Gesetz eine Ersatzeinreichung vor, § 130d S. 2-3 ZPO. Die Einreichung kann also auf einem beliebigen anderen prozessrechtlich vorgesehenen Wege erfolgen – per Post, Fax oder Bote. Die Störung darf nach dem Wortlaut der Norm und ihrem Sinn und Zweck bloß vorübergehend sein. Professionelle Einreicher:innen können sich daher nicht auf § 130d ZPO berufen, wenn ein zugelassener Übermittlungsweg noch gar nicht in Betrieb genommen oder eingerichtet worden ist, selbst wenn dies kurz vor Eintritt der aktiven Nutzungspflicht noch in Angriff genommen wurde, aber nicht abgeschlossen ist. Hierzu zählt bspw. auch die (fehlende) Erstregistrierung des beA, die Beantragung der entsprechenden beA-Karten oder die Beschaffung der notwendigen Hard- und Software.

Die Ursache der Störung muss technischer Natur sein. Nicht zwingend ist dagegen, dass sie nicht aus der Sphäre des Einreichers/der Einreicherin stammt. Grundsätzlich soll gelten, dass jede Form eines technischen Ausfalls nicht zum Nachteil des Einreichers/der Einreicherin gereicht. So können etwa auch Fehlbedienungen und vergessene Passwörter das Merkmal der technischen Störung erfüllen. Fehlendes Verschulden des Einreichers/der Einreicherin ist ebenfalls keine Voraussetzung.

Allerdings ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Das ArbG Lübeck (ArbG Lübeck, Urteil v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20) hat hierzu in einer vielbeachteten Entscheidung gefordert, dass die Glaubhaftmachung der Störung stets erforderlich sei, selbst, wenn das Gericht Kenntnis von der Störung habe. Zur Feststellung von Störungen empfiehlt es sich, den EGVP-Newsletter zu abonnieren, um per E-Mail über Störungen informiert zu werden. Auch ein Screenshot oder Log-Dateien der eingesetzten Anwaltssoftware kommen zur Glaubhaftmachung in Betracht (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 8.4.2021 – 1 Sa 358/20). Auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.

Anpassung der Kanzleiorganisation

Mit der Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs an sich sind keine besonderen Haftungsrisiken verbunden. Haftungsrisiken ergeben sich daher zunächst nicht aus dem System selbst, wohl aber durch den oder die Anwender/in:

1. beA und die qualifizierte elektronische Signatur

Das beA wurde unter der These erdacht, dass dem elektronischen Rechtsverkehr bislang unter anderem der Durchbruch verwehrt geblieben ist, weil dessen Bedienung zu schwierig gewesen sei. Als Hürde wurde insoweit vor allem die qeS ausgemacht. Ein Vorteil des beA ist deshalb, dass für Dokumente, die hierüber übermittelt werden, auf die Anbringung der qualifizierten elektronischen Signatur verzichtet werden kann (nicht muss). Die Schriftform wird bereits gewahrt, wenn der Schriftsatz eine einfache Signatur (d. h. die – auch maschinenschriftliche – Wiedergabe des Namens) trägt und er über das beA übertragen wird. Ob ein Rechtsanwalt aber gut beraten ist, nur wegen dieser wenigen Sekunden Zeitvorteil auf die qeS zu verzichten, muss er selbst entscheiden, denn gleichzeitig verschenkt er die weiteren Vorteile der Signatur: die eindeutige Identifikation und den Manipulationsschutz.

Im Übrigen ist diese Schriftformerleichterung auch in der Kanzleiorganisation abzubilden. Sie gilt nämlich nur dann, wenn die verantwortliche Person – der Rechtsanwalt bzw. die Rechtsanwältin – selbst, d. h. höchstpersönlich, den Versendeprozess vornimmt. Er/Sie darf ihn nicht dem Sekretariat überlassen – andernfalls ist auch weiterhin die qualifizierte elektronische Signatur erforderlich.

Die bisherige Unterschriftenkontrolle, d. h. die durch das Sekretariat vorgenommene Kontrolle, ob der Schriftsatz unterzeichnet ist, wandelt sich damit in eine Signaturkontrolle. Diese kann auch weiterhin zuverlässigen Bürokräften überlassen werden (BGH, Beschluss vom 23.11.1988 – VIII ZB 31/88; Brosch/Sandkühler, NJW-Beilage 2016, 94). Im Wiedereinsetzungsfall wird nun aber nicht nur nachzuweisen sein, dass der konkrete Mitarbeiter zuverlässig war, sondern auch, dass er hinreichend in Kenntnis gesetzt war, wie das Vorliegen der ja nicht ohne Weiteres sichtbaren Signatur zu überprüfen war, und dass er/sie die hierfür notwendige Software zu bedienen in der Lage war. Die Prüfung erfolgt anhand der automatisierten Eingangsbestätigung (siehe sogleich unter 3.).

2. Versand unzulässiger Dateiformate / Eingangsfiktion gem. § 130a Abs. 6 ZPO

Gem. § 2 Abs. 1 ERVV („Muss-Vorschrift“) und § 2 Abs. 2 ERVV („Soll-Vorschrift“) in Verbindung mit der gem. § 5 ERVV erlassenen ERVB (siehe justiz.de) müssen bzw. sollen im elektronischen Rechtsverkehr bestimmte Dateiformate eingehalten werden. Dies betrifft insbesondere die Verwendung von PDF als Dateiformat. Hinsichtlich der Details hat der Gesetzgeber bereits vorab eine wesentliche Hilfestellung geboten, in dem pünktlich zum 1.1.2021 die Dateiformatvorgaben durch eine Neufassung des § 2 ERVV deutlich entschärft worden sind. Viele Problemfälle in der jüngsten Rechtsprechung („Durchsuchbarkeit“, eingebettete Schriftarten) sind ab dem Jahreswechsel nur noch „Soll-Vorgaben“ und damit nicht mehr zwingend.

Fehler können dennoch schlimmstenfalls die Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs nach sich ziehen. Es gilt sie daher selbstredend zu vermeiden. Viele Probleme lassen sich bereits dadurch mühelos umschiffen, dass stets PDF/A (ein Unterformat von PDF, das aus dem Archivwesen stammt) als Format verwendet wird. Dies lässt sich als Speicheroption in allen gängigen Textverarbeitungsprogrammen einstellen.

Wesentlich bleibt aber: Gem. § 130a Abs. 2 ZPO muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Diese Voraussetzung ist bei PDF-Dateien grundsätzlich gegeben. Jedoch könnte die so übersandte Datei aus anderen Gründen (Virenbefall, Kennwortschutz ohne bekanntgegebenes Kennwort, technische Defekte etc.) nicht zu öffnen sein.

Selbst für diesen Fall trifft aber § 130a Abs. 6 ZPO eine Regelung, die großzügig – nämlich insbesondere verschuldensunabhängig – den allgemeinen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgeht; die sog. Eingangsfiktion:

Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

Aus der Vorschrift folgt, dass die unverzügliche Möglichkeit der nochmaligen Einreichung regelmäßig erst dann erforderlich ist, wenn das Gericht einen Hinweis gegeben hat, dass das Dokument nicht zur Bearbeitung geeignet ist. Im Zweifel kann daher zugewartet werden: Zunächst ist ein Tätigwerden des Gerichts gefragt.

3. Nachweis der erfolgreichen Versendung

Zentral zur Vermeidung anwaltlicher Haftung ist die Dokumentation des rechtzeitigen Versands eines elektronischen Dokuments.

Für die elektronische Postausgangskontrolle zeichnet sich ab, dass die Rechtsprechung vor allem verlangt, dass der Erhalt der Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO kontrolliert wird (bspw. LAG Schleswig-Holstein v. 19.9.2019 – 5 Ta 94/19 mit zust. Anm. Müller, NZA-RR 2019, 659 f.). Die über das beA versandte Nachricht lässt sich – einzeln – aus dem beA-Webclient exportieren. Die dadurch erzeugte .zip-Datei dient dem Nachweis des erfolgreichen Versands, einschließlich Nachweisen über den versandten Inhalt (die übersandte Datei ist enthalten) und den Versandzeitpunkt (die Eingangsbestätigung des Gerichts befindet sich in der Datei „x_export.html“).

Die Kontrolle und Aufbewahrung dieser automatisierten Eingangsbestätigung ist nach der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 11.5.2021 – VIII ZB 9/20; BGH v. 14.5.2020 – X ZR 119/18) Teil der anwaltlichen Sorgfaltspflicht beim elektronischen Nachrichtenversand und entsprechend in der Kanzleiorganisation zu berücksichtigen (siehe weiterführend: ervjustiz.de: BGH zur Sorgfaltspflicht bei der Postausgangskontrolle).

Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt bzw. die Rechtsanwältin eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen.

Zur Kanzleiorganisation macht der BGH folgende Vorgaben: Ein Rechtsanwalt müsse, wenn er fristwahrende Schriftsätze über das beA an das Gericht versendet, in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anweisen, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren sei. Er habe zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen.

130a Abs. 5 Satz 1 ZPO bestimmt zur Feststellung der Fristwahrung, dass das elektronische Dokument beim Gericht eingegangen ist, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Die Empfangseinrichtung des Gerichtsist für alle auf EGVP basierenden Übermittlungswege (EGVP, beA, beN und beBPo) der EGVP-Intermediär. Hierbei handelt es sich um einen nicht im jeweiligen Gericht befindlichen Server der EGVP-Infrastruktur, der sowohl Ablagepunkt für die Nachricht des Absenders als auch Abholpunkt für den Empfänger ist.

Die aus dem beA speicherbare „export.html“ enthält genau dieses für die Frist maßgebliche Datum als Zeitpunkt des „Eingangs auf dem Server“. Zudem enthält die „x_export.html“ die OSCI-Nachrichten-ID – die eindeutig ist – und mit der sich die korrespondierende Nachricht durch das Gericht regelmäßig „aufspüren“ lässt (nach einem gewissen Zeitpunkt löschen die Gerichte zwar die Nachricht, aber für die üblichen Verfahrenslaufzeiten dürften die Sicherungszyklen ausreichen).

Die „x_export.html“ ist – obwohl sie selbst derzeit nicht gegen eine Manipulation geschützt ist, weshalb sie durchaus in der Kritik steht – nicht nur ein gutes Indiz für die rechtzeitige Übersendung eines elektronischen Dokuments an ein Gericht, sondern sie dient nach der Rechtsprechung, bspw. des VGH Kassel (VGH Kassel v. 26.9.2017 – 5 A 1193/17; ervjustiz.de: VGH Kassel: EGVP-Eingangsbestätigung ist Anscheinsbeweis für Fristwahrung), als Beweis des ersten Anscheins des Zugangs bei Gericht.

Fazit – Kanzleiorganisation auf den Prüfstand stellen

Die aktive Nutzungspflicht ist zum 1.1.2022 in Kraft getreten. Höchste Zeit die Kanzleiorganisation zu betrachten – und wo nötig anzupassen. Hierzu gehört insbesondere die Überprüfung, ob Schriftsätze in einem sicheren Dateiformat – idealerweise als PDF/A – erstellt und versandt werden, vor allem aber die Etablierung moderner Postausgangsprozesse. Um eine Haftung zu vermeiden, ist insbesondere die automatisierte Eingangsbestätigung zu exportieren und sicher aufzubewahren. Im Notfall helfen § 130a Abs. 6 ZPO und § 130d S. 2-3 ZPO.

Weitere Beiträge

Prof. Dr. Henning Müller ist Direktor des Sozialgerichts Darmstadt, Lehrbeauftragter der Philipps-Universität Marburg und der Hochschule Ludwigshafen. Zudem ist er Mitherausgeber des „jurisPK-ERV“, des „beckOKG-SGG“ und der Zeitschrift „Recht Digital“ (RDi), sowie Herausgeber des Blogs ervjustiz.de zum elektronischen Rechtsverkehr und Autor des Fachbuchs „e-Justice-Praxishandbuch“.

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Foto: Adobe Stock/©Sergey Nivens

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