Arbeitszeiterfassung

Von Natalia Reschetnikow

Arbeitszeit ist Lebenszeit und man möchte sich um seine Lebenszeit gut gekümmert wissen. Genau das hat das Bundesarbeitsgericht nun getan und versetzte am 13.9.2022 mit seiner spannenden und juristisch eindrucksvollen Entscheidung (BAG, Beschluss v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21) nicht nur Arbeitsrechtler:innen, sondern auch Unternehmen aller Größen in Aufregung.

Das Bundesarbeitsgericht hat am ersten Dezemberwochenende die vollständigen Entscheidungsgründe zu seinem wegweisenden Urteil vom 13.9.2022 veröffentlicht. Im MkG-Magazin 6/22 behandelt Natalia Reschetnikow das Thema unter Berücksichtigung der Urteilsbegründung.

Hier kostenlos MkG-Ausgabe 6/22 downloaden

Ausgangspunkt war ein Rechtsstreit in einer vollstationären Wohneinrichtung im Rahmen der Eingliederungshilfe mit rund 100 Beschäftigten zwischen der Arbeitgeberseite und der Arbeitnehmervertretung über die Einführung einer digitalen Arbeitszeiterfassung.

Zu prüfen war, ob ein Betriebsrat ein Initiativrecht für die Einführung der Arbeitszeiterfassung in einem Unternehmen hat. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat bezüglich der Einführung und der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, „das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“ mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Eine gesetzliche Regelung zur vollständigen Arbeitszeiterfassung kennt das deutsche Arbeitsrecht nur an wenigen Stellen. Darüber hinaus besteht in Unternehmen eine Aufzeichnungsverpflichtung nur dann, wenn die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 ArbZG überschritten wird (§ 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG).

In Anlehnung an das sog. „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH-Urteil v. 14.5.2019 – C-55/18) benennt das BAG in seiner Entscheidung überraschend eine weitere Norm, und zwar § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), wonach aufgrund einer unionsrechtskonformen Auslegung eine Verpflichtung zur vollständigen Arbeitszeiterfassung bereits seit 2019 existieren soll. Im Ergebnis verlor der Betriebsrat also den Rechtsstreit gegen den Arbeitgeber, ist jedoch seinem Willen, der Arbeitnehmerschaft mehr Schutz durch Arbeitszeitkontrolle zu gewähren, mit der BAG-Entscheidung nähergekommen. 

Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die Unternehmen in Deutschland hat und wie die daraus resultierende Verpflichtung zur Bereitstellung eines Arbeitszeiterfassungssystems bzw. zur Arbeitszeitdokumentation umgesetzt werden kann.

A. Bedeutung der BAG-Entscheidung

Ein zentraler Aspekt der Entscheidung ist, dass die Unternehmen nicht mehr die Souveränität darüber haben, ob ein System zur Arbeitszeiterfassung eingeführt wird. Laut BAG besteht eine Verpflichtung bereits durch das Gesetz. Nach § 3 Abs. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Unbestreitbar beeinflusst die Arbeitszeit eines jeden Beschäftigten regelmäßig dessen Sicherheit und Gesundheit und muss daher bei der Wahl der Maßnahmen des Arbeitsschutzes berücksichtigt werden. Die Dokumentation der Arbeitszeit spiegelt den Umgang mit der Arbeitszeit im Unternehmen wider und erlaubt Rückschlüsse darauf, inwieweit die Arbeitszeit die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten beeinflusst. Konkret geht es um die Identifikation von Belastungs- oder gar Überlastungssituationen, die physische und psychische Erkrankungen oder Gefahren in Bezug auf die Sicherheit mit sich bringen können. Darüber hinaus werden Arbeitgeber:innen in die Lage versetzt, Gesundheitsprävention zu betreiben, da dieser einen klaren Überblick über die arbeitszeitliche Auslastung seiner Arbeitnehmer:innen erhält. Betroffen sind alle Angestellten, so auch die leitenden, eines Unternehmens.

Auf der anderen Seite ist mit dieser Entscheidung die Konsequenz verbunden, dass Arbeitnehmer:innen einer stärkeren Kontrolle durch Arbeitgeber:innen ausgesetzt sind. Auch kann die Dokumentation möglicherweise arbeitsrechtliche Verstöße offenbaren, die über Abmahnungen oder Kündigungen sanktioniert werden könnten.

Bislang liegt die Entscheidungsbegründung nicht vor, was die konkrete Einordnung der ausgesprochenen Verpflichtung, insbesondere die Auswirkungen und die Umsetzung im Einzelnen, schwermacht. Auch fehlt eine gesetzliche Grundlage im Arbeitszeitgesetz. Die Verpflichtung, eine solche gesetzliche Grundlage in den Mitgliedstaaten zu schaffen, ergibt sich aus dem EuGH-Urteil vom 14.05.2019.

B. Praxisrelevante Aspekte

Soweit ein Erfassungssystem im Unternehmen bereits eingeführt wurde, kann es sinnvoll sein, das System anhand der bislang bekannten Vorgaben zu überprüfen. Andernfalls wäre es sicherlich übereilt, ein bestimmtes System einzuführen, solange die Einzelheiten nicht bekannt sind. Gleichwohl sind Unternehmen gut beraten, spätestens jetzt auf Grundlage des § 3 Abs. 1 ArbSchG mit der Arbeitszeitdokumentation zu beginnen. Richtungsweisende Aussagen bezüglich der Umsetzung für die Praxis sind bereits jetzt möglich.

1. Wahl des Arbeitszeiterfassungssystems

Die Wahl für ein bestimmtes Arbeitszeiterfassungssystem wird von vielen Faktoren getrieben, wie z.B. Anschaffungs- und Wartungskosten, Verwaltungs- und Personalaufwand oder unternehmensinterne Prozessabläufe. Folgt man dem EuGH-Urteil vom 14.05.2019 ist ein – nicht zwangsläufig elektronisches oder digitales – System einzuführen, dass objektiv, verlässlich und zugänglich ist.

Objektiv ist das System dann, wenn die tatsächlich erbrachte Arbeit durch die zeitliche Erfassung wiedergegeben wird. Das setzt insbesondere voraus, dass im Unternehmen klar definiert und kommuniziert ist, was Arbeitszeit überhaupt ist.

Verlässlich ist ein System dann, wenn die Aufzeichnungen unmittelbar erfolgen. Eine nachträgliche Erfassung kann zu Ungenauigkeiten oder Schätzungen führen und gibt somit die tatsächlich gearbeitete Zeit nicht mehr wieder.

Zugänglich ist ein System, wenn sowohl Arbeitgeber:innen als auch Arbeitnehmer:innen auf das System gleichermaßen zugreifen können.

Bei der Ausgestaltung des Erfassungssystems wird man auf die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zurückgreifen müssen. Das bedeutet, dass die Dokumentation mindestens folgende Informationen enthalten muss:

  • Datum der Arbeitserbringung
  • Beginn
  • Pause
  • Ende
  • Überschreitung der zulässigen werktäglichen Arbeitszeit mit Angabe der Überschreitungsdauer.

Darüber hinaus sind weitere Angaben möglich, wie z.B. eine Begründung für die Überschreitung der werktäglichen Arbeitszeit.

Bei der Wahl eines entsprechenden Tools sind Arbeitgeber:innen mangels konkreter Vorgaben durch die Rechtsprechung und einer gesetzlichen Grundlage nicht an ein spezielles System gebunden. Arbeitgeber:innen können sich je nach Größe des Unternehmens und der Anzahl der Beschäftigten für ein einfaches oder ein komplexes Dokumentationssystem entscheiden, das als Software oder App implementiert oder als ein Excel-Tabellen-Modell oder gar ein Blatt Papier zur Erfassung geführt wird.

2. Kommunikation

Es ist seitens der Arbeitgeber:innen zu kommunizieren, was Arbeitszeit ist und welche Tätigkeiten in die Arbeitszeit fallen. Beispiele wie Fahrten zu Terminen, Wegezeiten, Fortbildungen, Flurgespräche oder Kaffeetrinken müssen im Sinne der Objektivität unmissverständlich abgegrenzt werden. Auch darf die Arbeitszeiterfassung nicht dazu führen, dass Beschäftigte wegen misslungener Kommunikation oder jahrelangen eingeschlichenen Gewohnheiten Fehler bei der Erfassung machen, die zu arbeitsrechtlichen Sanktionen führen können.

3. Ausführung der Arbeitszeitdokumentation

Die Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems trifft Arbeitgeber:innen. Eine Verlagerung der Verpflichtung auf den Beschäftigte ist nicht möglich, jedoch können der Arbeitgeber:innen den Arbeitnehmer:innen die Ausführung, sprich die Dokumentation der Arbeitszeiten, überlassen. Da der bisher bekannte Hintergrund, der zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet, Sicherheit und Gesundheitsschutz ist, müssen sich Arbeitgeber:innen jederzeit in die Lage versetzt sehen, Risiken und Gefahren zu identifizieren und diese durch entsprechende Maßnahmen – auch präventiv – zu beseitigen. Dies gelingt durch regelmäßige Kontrollen unter anderem darüber, ob Arbeitnehmer:innen das Arbeitszeitgesetz richtig umsetzen.

4. Flexible Arbeitsmodelle

Auch bei flexiblen Arbeitsmodellen ist die Arbeitszeit zu erfassen. Im Sinne der Vorgaben des EuGH müssen das System und der Zugang dazu so gestaltet sein, dass Arbeitnehmer:innen an jedem Ort und zu jeder Zeit Arbeitszeiten unmittelbar notieren können. Dies gilt auch für die sog. „Vertrauensarbeitszeit“, bei der Arbeitnehmer:innen selbst die Entscheidung darüber haben, wann Beginn und Ende seiner täglichen Arbeit sind und wann Ruhepausen und Ruhezeit stattfinden. Auch vor der BAG-Entscheidung waren Arbeitnehmer:innen in Vertrauensarbeitszeit an die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes gebunden. Nun tritt hinzu, dass dokumentiert werden muss, wie das Arbeitsgesetz umgesetzt wird.

5. Schutz der Beschäftigtendaten

Die Arbeitszeit gehört zu den personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer:innen mit der Folge, dass die Verarbeitung dieser Daten dem datenschutzrechtlichen Schutz untersteht. Diese Daten bieten unter anderem nicht nur Aufschluss über die Anwesenheiten, sondern auch über Urlaubs- und Krankheitszeiten oder sonstige Abwesenheiten. Es besteht zudem die Gefahr einer umfangreichen Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Folglich sind die Dokumentation und die Überwachung der Arbeitszeit in das Datenschutzmanagementsystem einzubinden. Insbesondere sind technische und organisatorische Maßnahmen einzuführen, die den Schutz dieser Daten datenschutzrechtskonform gewährleisten. Beispiel hierfür ist, dass der Prozess so gestaltet sein muss, dass der Zugang zu den Aufzeichnungen nur durch berechtigte Personen stattfindet. Möglich ist auch, dass die Durchführung einer Datenschutzfolgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO vor der Einführung eines Zeiterfassungssystems verpflichtend sein kann. Verstöße gegen die DSGVO können durch Bußgelder sanktioniert werden.

6. Folgen der Nichtbeachtung der Dokumentationsverpflichtung

Für Arbeitgeber:innen gilt zu beachten, dass die Nichteinhaltung der Dokumentationsverpflichtung zu einer Ordnungswidrigkeit nach § 25 Abs. 1 Nr. 2a) ArbSchG führen kann. In solchen Fällen sind Bußgelder in Höhe von bis zu 25.000 EUR möglich.

C. Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die BAG-Entscheidung das Arbeitsverhältnis durch die Arbeitszeiterfassung um eine Maßnahme, die den Gesundheitsschutz und die Sicherheit in Unternehmen begünstigen kann, ergänzt hat. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG seine Entscheidung begründet und welche gesetzlichen Änderungen im Arbeitszeitgesetz infolge der Entscheidung vorgenommen werden. Möglicherweise gibt diese Entscheidung auch den Anstoß, das renovierungsbedürftige Arbeitszeitrecht an einigen Stellen an die neuen Bedürfnisse der immer flexibler und digital werdenden Arbeitswelt anzupassen.

Weitere Beiträge

Natalia Reschetnikow ist Rechtsanwältin mit Tätigkeitsschwerpunkt Arbeitsrecht. Sie berät und vertritt kleine und mittlere Unternehmen in allen Fragen des Arbeitsrechts. Darüber hinaus beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Digitalisierung und Arbeitsrecht, insbesondere an der Schnittstelle zum Personalmanagement. Zu ihrer fachlichen Expertise zählt außerdem Beschäftigtendatenschutzrecht, was aufgrund ihrer Ausbildung und Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte einen weiteren arbeitsrechtlichen Tätigkeitsschwerpunkt darstellt.

Bild: Adobe Stock/©Feodora

Mit dem MkG-Newsletter erhalten Sie alle sechs Ausgaben pro Jahr
pünktlich zur Veröffentlichung per Mail – zu Themen, die Sie weiterbringen:

  • Aktuelle Gesetzesänderungen,
  • Tipps zur optimalen Abrechnung,
  • Karrierechancen, Kanzleiführung u. v. m.