arbeitsunfaehigkeitsbescheinigung

Von Natalia Reschetnikow

Fallen Beschäftigte wegen einer Erkrankung aus, so ist dies ärgerlich, stellt jedoch einen wirtschaftlich und personell kalkulierbaren Vorfall im Unternehmen dar. Vorgesetzte können infolge einer arbeitnehmerseitigen ordentlich erfüllten Mitteilungsverpflichtung die anfallende Arbeit umorganisieren. Es ist sogar erwünscht, dass Erkrankte fernab des Arbeitsplatzes genesen, um weitere Krankheitsfälle in den Reihen des Personals zu verhindern. Doch nicht selten treten arbeitgeberseitig Zweifel im Zusammenhang mit den Hintergründen der Arbeitsunfähigkeit auf – in einigen Fällen nachweislich zu Recht.

Von einer Arbeitsunfähigkeit ist gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz zu sprechen, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer wegen einer Krankheit unverschuldet an der Arbeitsleistung verhindert ist. In den Fällen, in denen die Erkrankung nicht offensichtlich ist, ist es für Vorgesetzte allerdings oftmals schwer zu beurteilen, ob eine Erkrankung tatsächlich vorliegt. Denn die von einer Erkrankung betroffene beschäftigte Person ist zum Schutz ihrer Privats- bzw. Intimsphäre zu keinem Zeitpunkt verpflichtet, die konkrete Erkrankung gegenüber Dritten zu offenbaren.

Aus diesem Grund ist die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich geeignet, Vorgesetzten die Gewissheit über das tatsächliche Vorliegen einer Erkrankung zu verschaffen. Ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erstmal vorgelegt, tritt die Ausnahme von dem arbeitsrechtlichen, synallagmatischen Grundsatz „ohne Arbeit, kein Lohn“ ein und die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer erhält eine Lohnersatzleistung: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz.

Die der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugrundeliegende schützende Funktion der Privats- bzw. der Intimsphäre kann jedoch gleichzeitig das Einfallstor für den Missbrauch sein, der darin besteht, eine zu einer Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit in unangenehmen bzw. kritischen Situationen am Arbeitsplatz vorzutäuschen. Solche vorstellbaren Situationen können durch Ärger mit Kolleginnen oder Kollegen, Stress mit Vorgesetzten, Arbeitsüberlastung, unliebsame Arbeitsaufgaben oder auch arbeitgeber- oder arbeitnehmerseitige Kündigungen ausgelöst werden. Insoweit sind Unternehmen der Gefahr ausgesetzt, durch die missbräuchliche Handhabung von Krankmeldungen einen wirtschaftlichen Schaden sowie einen arbeitsrechtlichen Vertrauensbruch zu erleiden.

BAG-Urteil zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Doch wie stellen Vorgesetzte sicher, dass Beschäftigte tatsächlich arbeitsunfähig infolge einer Erkrankung sind und somit berechtigterweise der Arbeit fernbleiben – mit der Konsequenz, Entgeltfortzahlung zu erhalten? In der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Thema Arbeitsunfähigkeit hatten die Richterinnen und Richter darüber zu entscheiden, wie weit der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht (BAG, Urt. vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23).

Der zugrundeliegende Fall gestaltete sich wie folgt:

Der Kläger, der seit März 2021 bei der Beklagten als Helfer beschäftigt war, wurde bereits seit dem 21.04.2022 bei der Beklagten, die ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung betreibt, nicht mehr eingesetzt. Am 02.05.2022 meldete er sich unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die bis zum 06.05.2022 datiert war, krank.

Zeitgleich, also ebenfalls am 02.05.2022, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Wirkung zum 31.05.2022. Die Kündigung ging dem Kläger am 03.05.2022 zu. Am 06.05.2022 reichte der Kläger eine Folgebescheinigung bis zum 20.05.2022 und am 20.05.2022 eine weitere Folgebescheinigung bis zum 31.05.2022 ein. Nachdem am 31.05.2022 die Kündigungsfrist ablief, wurde die Arbeitsunfähigkeit beendet und der Kläger trat am 01.06.2022 ein neues Arbeitsverhältnis an.

Die Beklagte brachte mit Schreiben vom 23.05.2022 Zweifel an der bestehenden Arbeitsunfähigkeit zum Ausdruck und verweigerte die Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 02.05.2022 bis zum 31.05.2022. Insbesondere sei der zeitliche Zusammenhang zwischen der Kündigung vom 02.05.2022 und dem Antritt des neuen Arbeitsverhältnisses am 01.06.2022 ausschlaggebend für die Verweigerung der Zahlung, da die Genesung und damit das Ende der Arbeitsunfähigkeit taggenau mit dem Auslaufen der Kündigungsfrist zusammenfielen.

Der Kläger trug demgegenüber vor, die Arbeitsunfähigkeit habe bereits vor dem Zugang der Kündigung, also auch bevor der Kläger von der Kündigung erfahren habe, bestanden und verlangte Zahlung des Entgeltes für den Zeitraum vom 02.05.2022 bis 31.05.2022.

Bis zur Revision am Bundesarbeitsgericht sollte der Kläger in den Vorinstanzen Recht behalten. Das Gericht korrigierte jedoch die vorinstanzlichen Entscheidungen dahingehend, dass es zwischen den einzelnen Zeiträumen der Arbeitsunfähigkeit differenzierte. Hinsichtlich des Zeitraumes vom 02.05.2022 bis zum 06.05.2022 stellten die Richterinnen und Richter fest, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen korrekt seien. Jedoch sah das Bundesarbeitsgericht die Verweigerung der Beklagten zur Fortzahlung des Entgelts hinsichtlich des Zeitraumes vom 07.05.2022 bis zum 31.05.2022 als berechtigt an.

Diesem Ergebnis folgend ist es wohl nicht immer ausreichend, die ärztliche Arbeitsunfähigkeit „einfach nur“ vorzulegen. Es lohnt sich daher, sich anhand der Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts mit dem Thema „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ näher auseinanderzusetzen.

Die Beweisführungsregeln bei einem Täuschungsverdacht

Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt ein gesetzlich niedergeschriebenes und damit zugelassenes Beweismittel über eine Erkrankung dar, § 5 Abs. 1 S. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geht in der Regel eine ärztliche Untersuchung voraus, der zufolge eine Diagnose gestellt wird, die die Krankheit und somit die angezeigte Arbeitsunfähigkeit begründet.

Nach § 1 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie erfordern die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und die Bescheinigung über ihre voraussichtliche Dauer wegen ihrer Tragweite für Versicherte bzw. Beschäftigte und ihrer arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen sowie wirtschaftlichen Bedeutung besondere Sorgfalt. Nach § 4 Abs. 1 derselben Richtlinie sind bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheitszustand der oder des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen. Insoweit sind normativ hohe Anforderungen vor der Ausstellung einer Bescheinigung gestellt, so dass das Vertrauen in eine solche Bescheinigung grundsätzlich gerechtfertigt ist. Durch das bloße Vorlegen wird grundsätzlich der Beweis über eine Erkrankung erbracht, womit der einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer auferlegten Darlegungs- und Beweislast nach den allgemeinen Grundsätzen Genüge getan ist (vgl. BAG, Urt. v. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18).

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Besteht seitens der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers Anlass zur Annahme, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ordnungsgemäß erstellt wurde oder die Erkrankung vorgetäuscht ist, muss diese Bescheinigung arbeitgeberseitig angegriffen werden, unter anderem durch das Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Entgeltfortzahlungsgesetz. Schließlich bildet nach § 4 Abs. 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit die Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

In einem gerichtlichen Verfahren stellt eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Beweismittel wie jedes andere dar, so dass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden könne (vgl. BSG, Urt. v. 8.11.2005 – B 1 KR 18/04 R). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist jedoch nicht verlangt, den Gegenbeweis für das Nichtvorliegen einer Erkrankung zu führen. Dies wird einem Vorgesetzten auch selten gelingen, da der Grund für die Arbeitsunfähigkeit, also die tatsächliche Erkrankung in der Regel nicht bekannt ist.

Gleichwohl ist es nicht ausreichend, die Arbeitsunfähigkeit lediglich mit Nichtwissen zu bestreiten. Im ersten Schritt muss also das von der mutmaßlichen Täuschung betroffene Unternehmen den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Dieser „Mittelweg“ gelingt, wenn tatsächliche Umstände, die Zweifel an der Erkrankung ergeben, dargelegt und ggf. bewiesen werden können.

Wann Zweifel angebracht sind, kann richtungsweisend den Indizien des § 275 Abs. 1a SGB V entnommen werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn

  • die Arbeitsunfähigkeit auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer besteht,
  • der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder
  • die Arbeitsunfähigkeit von einer Ärztin oder einem Arzt festgestellt worden ist, die oder der durch die Häufigkeit der ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.

Diese Indizien sind nicht abschließend, da es andernfalls nahezu unmöglich wäre, gegen einen Missbrauch der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorzugehen, wenn die aufgeführten Fälle nicht greifen. Ergänzend können auch die Schilderungen der oder des Erkrankten (vgl. BAG, Urt. v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21) oder auch Verstöße der ausstellenden Ärztin bzw. des ausstellenden Arztes gegen die Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (vgl. BAG, Urt. v. 28.06.2023 – 5 AZR 335/22) maßgeblich für Zweifel sein.

Die BAG-Bewertung der Gesamtumstände

In dem zu entscheidenden Fall ergaben sich die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aus den Gesamtumständen. Das Bundesarbeitsgericht sah den Vortrag des Klägers als zutreffend an, wenn es um den Zeitraum zwischen dem 02.05.2022 und dem 06.05.2022 ging. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass der Kläger bereits vor dem Zugang der Kündigung über die Absicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Kenntnis hatte. Allein die Tatsache, dass der Kläger seit dem 21.04.2022 bei der Beklagten nicht mehr eingesetzt wurde, führe nicht automatisch zur Annahme, das Arbeitsverhältnis solle demnächst beendet werden.

Demgegenüber stellte das Bundesarbeitsgericht allerdings einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist her. Die Folgebescheinigungen wurden exakt und nahtlos nacheinander für die Dauer der Kündigungsfrist, also insgesamt bis zum 31.05.2022 ausgestellt. Am 01.06.2022 wurde die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt und gleichzeitig ein neues Arbeitsverhältnis begonnen. Diese Verkettung von zeitlichen Ereignissen stellte für die Richterinnen und Richter in der Gesamtbetrachtung entgegen den vorinstanzlichen Entscheidungen einen Grund für ernsthafte und berechtigte Zweifel hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit dar und führte zur Erschütterung des Beweiswertes der vorliegenden Folgebescheinigungen. Bereits in der Vergangenheit wurden zeitliche Zusammenhänge wie dieser ebengleich bewertet (vgl. BAG, Urt. v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).

Im Ergebnis schaffte die Beklagte somit, den Beweiswert der vorgelegten (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern mit der Konsequenz, dass die Darlegungs- und Beweislast erneut auf den Kläger übergegangen ist. Dieser muss – so wie in der Ausgangssituation – vor dem Landesarbeitsgericht nachweisen, dass seiner Arbeitsunfähigkeit tatsächlich eine Erkrankung zugrunde lag. Dies könnte unter anderem durch die Darlegung und den Beweis der Erkrankung sowie deren Auswirkungen, z. B. Nachweise über Therapien, Medikation oder Verhaltensmaßregeln gelingen.

Fazit: Einzelfallbetrachtung ist maßgeblich

Das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts trägt ein weiteres Mal dazu bei, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei der Bekämpfung von strategisch terminierten Krankmeldungen von Beschäftigten zu stärken und gegen den Missbrauch der Entgeltfortzahlungen vorzugehen. Es zeigt allerdings auch deutlich, dass die Beurteilung über das Vorliegen eines Missbrauchsfalls nicht pauschalisiert werden kann, sondern von einer Einzelfallbetrachtung abhängig ist und die Gesamtumstände eines jeden Falls jedes Mal neu zu berücksichtigen sind.

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Natalia Reschetnikow ist Rechtsanwältin mit Tätigkeitsschwerpunkt Arbeitsrecht. Sie berät und vertritt kleine und mittlere Unternehmen in allen Fragen des Arbeitsrechts. Darüber hinaus beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Digitalisierung und Arbeitsrecht, insbesondere an der Schnittstelle zum Personalmanagement. Zu ihrer fachlichen Expertise zählt außerdem Beschäftigtendatenschutzrecht, was aufgrund ihrer Ausbildung und Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte einen weiteren arbeitsrechtlichen Tätigkeitsschwerpunkt darstellt.

Bild: Adobe Stock/©maho

 

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