Eine der Möglichkeiten, sich als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt selbstständig zu machen, ist die Kanzleinachfolge. Im Kern geht es bei der Kanzleinachfolge darum, direkt oder in der Zukunft eine gesamte Kanzlei oder einen Anteil an einer Sozietät zu übernehmen. Die Gestaltung dieser Übernahme kann auf verschiedene Arten erfolgen: Kauf der Kanzlei von „außen“, Einstieg in die Kanzlei mit dem klaren Ziel der Übernahme oder durch ein „plötzliches“ Angebot der Übernahme an den bisher in der der Kanzlei angestellten Anwalt, bzw. die angestellte Anwältin.
Damit die Übernahme gut funktioniert, sind einige Dinge zu beachten. Die folgenden Ausführungen basieren auf der Annahme, dass man gezielt auf der Suche nach einer Kanzlei ist, die übernommen werden soll.
Vorteile der Kanzleinachfolge
Der wichtigste Punkt, der für eine Kanzleinachfolge und damit den Kauf einer bestehenden Organisation spricht, ist der Zeitgewinn. Einige Beispiele:
- Während man bei dem kompletten Neustart einer Kanzleigründung viele Ausgaben tätigen und viel Zeit investieren muss, bis man mit der Kanzlei überhaupt arbeitsfähig ist, kann man bei der Übernahme direkt auf eine Infrastruktur zugreifen.
- Mandate sind bereits vorhanden oder entstehen aufgrund der Bekanntheit der Kanzlei.
- Es ist bereits etwas da, das ausgebaut werden kann – so lassen sich Optimierungen der Abläufe, die Digitalisierung etc. als Wachstumshebel leicht nutzen.
Gerade weil schon einiges vorhanden ist, fällt es Banken leichter, einen größeren Kredit zur Verfügung zu stellen. Bei der Neugründung wäre die Basis für eine solche Entscheidung der Kreditnehmer und seine Idee. Bei einer Übernahme kann sich die Bank auf reale Zahlen und Erfahrungen bei der Einschätzung stützen.
Ein weiterer Vorteil ist der kollegiale Austausch. Vor allem jüngere Anwältinnen und Anwälte profitieren häufig vom fachlichen und unternehmerischen Wissen der erfahrenen Kolleg:innen.
Auch das Sekretariat, also das bestehende Personal, kann gut und sinnvoll für eine erfolgreiche Übernahme eingebunden werden. Diese Mitarbeitenden kennen die Akten, die bisherigen Abläufe und die Mandantschaft. Dieses Wissen kann für einen schnelleren Einstieg in laufende Mandate genutzt werden und bietet zudem einen weiteren, wirklich wichtigen Beitrag: Die Mandantschaft hat häufig ein Vertrauensverhältnis zum Kanzleiteam aufgebaut. Ein vorhandenes Sekretariat schützt vor der aktuell schwierigen Suche nach Fachangestellten und bietet – bei Anpassungen im Kanzleibetrieb und Modernisierungen – zusätzliche Kapazitäten für weitere Umsätze.
Ein weiterer Grund, warum eine Kanzleinachfolge eine gute Idee sein kann, ist, dass viele Kanzleien die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Optimierung der Abläufe sowie der Marketingmöglichkeiten noch überhaupt nicht nutzen. Dies schafft dem Übernehmer oder der Unternehmerin weitere Wachstumshebel.
Auch aus den Blickwinkeln anderer ist eine Kanzleiübernahme eine willkommene Alternative:
- Für die Mandantschaft ist sie gut, weil sie weniger Veränderungen erleiden muss. Der Standort der Kanzlei, die Ansprechpartner im Sekretariat und das Vertrauen bleiben.
- Für den Markt der Anwaltschaft ist sie aus verschiedenen Gründen zu begrüßen:
- Arbeitsplätze, vor allem für Rechtsanwaltsfachangestellte bleiben erhalten.
- Lizenzen für Kanzleisoftware etc. bleiben aktiv.
- Die Übernahme führt häufig zu größeren Investitionen in Technik, Mobiliar, Marketing etc., als wenn es sich um eine neu gegründete Einzelkanzlei handeln würde.
Zehn Tipps für eine erfolgreiche Kanzleinachfolge
Bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten der Kanzleiübernahme, gilt es, einige Dinge richtig einzuschätzen und bei der Übernahme behutsam umzusetzen.
1. Fachliche Richtung
Die Positionierung und auch der Mandantenstamm einer Kanzlei lassen sich nur über einen langen Zeitraum verändern. Es gilt daher zu klären, ob man sich vor allem kurzfristig und häufig auch dauerhaft primär mit der Mandantenstruktur und den Rechtsgebieten beschäftigen möchte oder welche Entwicklungsmöglichkeiten man sieht.
2. Fachliche Voraussetzung
Um ein Unternehmen, – also eine Organisation mit einem Team, einem festen Kostenblock und der Übernahme der Verantwortung für Fristen, Akten, bürokratische Anforderungen und Zahlungsverpflichtungen – erfolgreich in die Zukunft zu führen und gleichzeitig die Schulden abzahlen und das eigene Einkommen erwirtschaften zu können, erfordert es verschiedene „Skills“, z. B.:
- Selbstmanagement,
- Personalführung,
- Marketing,
- Controlling,
- die Fähigkeit der Abstraktion, um eine optimierte und zunehmend digitale Aktenbearbeitung einzuführen.
3. Dauerhafte Attraktivität des Kanzleistandortes
Mit der Möglichkeit, eine Kanzlei zu übernehmen, folgt häufig die Verpflichtung, an diesem Ort sesshaft zu werden. Eine solche Entscheidung muss für sich selbst und ggf. mit der Familie genau überlegt werden.
4. Vertrauen übertragen
Die Beziehung zwischen einem Anwalt/einer Anwältin und der Mandantschaft ist ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis. Dies lässt sich nicht mit einem förmlichen Informationsschreiben an die Mandantschaft einfach so auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin übertragen. Dieser Prozess kostet Zeit und bedarf einer Klärung im Vorfeld. Die Mandate eine Zeit lang gemeinsam zu bearbeiten, ist ein bewährter Weg zum Vertrauensübergang. Zusätzlich helfen frühzeitige Bindungsmaßnahmen.
5. Mandantenstruktur
Besonders schwer wird der Vertrauensübergang, wenn z. B. zwischen einem Überlasser und einer Übernehmerin ein besonders großer Altersunterschied besteht. Dieser hat häufig zur Folge, dass auch ein großer Teil der Mandantschaft mit „ihrem Anwalt“ älter geworden ist und nicht so schnell und einfach zu einer viel jüngeren Anwältin wechselt. Zeigt die Auswertung der Mandantenstruktur, dass immer wieder jüngere Mandanten/Mandantinnen den Weg in die Kanzlei finden, ist dies ein positives Zeichen.
6. Ruf und Bewertungen der Kanzlei
Eine der wichtigsten „Währungen“ eines Unternehmens sind sein Ruf und seine bei Google oder in anderen Portalen abrufbaren Bewertungen. Sind diese gut, ist dies positiv. Sind sie durchschnittlich oder schlecht, ist dies zwar als negativ zu werten, doch lassen sich die Bewertungen mit der Zeit verbessern.
7. Ausstattung der Kanzlei
In den meisten Fällen wird die Kanzlei hinsichtlich des Mobiliars und der technischen Ausstattung nicht direkt den Vorstellungen des Nachfolgers oder der Nachfolgerin entsprechen. Doch dies ist kein Grund, sich gegen eine Kanzlei zu entscheiden. Beides kann geändert werden – idealerweise aber nicht sofort. Zum einen nicht, um in den Augen der Mitarbeitenden und der bisherigen Mandantschaft nicht zu viel zu verändern. Zum anderen nicht, um solche Investitionen steuerlich für sich zu nutzen und zugleich die Liquidität zu schonen.
8. Kostenquote
Auch wenn es verschiedene Kennzahlen gibt, ist die bekannteste sicherlich die „Kostenquote“. Sie bezeichnet den Anteil der Kosten am Umsatz. Die Entwicklung dieser Quote kann durch zwei Dinge beeinflusst werden: Steigerung des Umsatzes, Senkung der Kosten. Bei der Betrachtung der Kanzlei sind nicht die jeweiligen Zahlen selbst das interessante, sondern ihr Potenzial für Verbesserungen, ggf. auch hinsichtlich Produktivitätssteigerungen bzw. Cross- oder Up-Selling-Potenzial. Dass ein Übernehmer vom Überschuss einige Jahre nach der Übernahme ein Leben nach seinen Vorstellungen leben können sollte, ist selbstverständlich. Ist dies auch mit einem professionellen Blick und der Suche nach Möglichkeiten einer weiteren Umsatzsteigerung nicht gegeben, sollte eine andere Kanzlei als Übernahmekandidat gewählt werden.
9. Vertragliche Verpflichtungen
Ein Kanzleiumzug ist nicht nur teuer, sondern meistens auch mit einem Mandantenschwund verbunden. Dieser Umzug kann freiwillig erfolgen oder weil die bisherigen Kanzleiräume nicht mehr länger genutzt werden können. Sei es, dass der Mietvertrag nur noch eine kurze Zeit läuft oder die bisherigen Räume im Eigentum des Überlassers/der Überlasserin waren. Dieser Aspekt ist zu beachten und individuell zu bewerten.
Die gleiche Abwägung hinsichtlich Chance oder Risiko gilt auch für die Verträge mit Mitarbeitenden und anderen laufenden Verträgen.
10. Berufsrechtliche Anforderungen und Besonderheiten
Vor der Übernahme sollte in entsprechender Fachliteratur oder durch Anfragen bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer ermittelt werden, wie sich Vertraulichkeit und Verschwiegenheit ohne Verstöße auf den Nachfolger oder die Nachfolgerin übertragen lassen bzw. wie bereits die nötige Einschätzung des Mandantenstamms und Kanzleiwertes berufsrechtlich „sauber“ erfolgen kann. Ebenso gilt es, sich bei den Haftpflichtversicherungen zu erkundigen, wie mit später entdeckten und durch den Überlasser verursachten Haftungsfällen umgegangen werden soll. Die Inanspruchnahme einer entsprechend orientierten Beratung empfiehlt sich für beide Parteien – ebenfalls hinsichtlich steuerlicher und vertragsgestalterischer Aspekte.
Dipl. Kauffrau Jasmin Isphording ist Referentin und seit über 15 Jahren Inhaberin der Kanzleiberatung Jasis Consulting. Mit einem betriebswirtschaftlichen Blick unterstützt sie kleine bis mittelgroße Anwaltskanzleien dabei, die hohen Erwartungen zu erfüllen, den Umsatz zu steigern, die Freude an der Arbeit zurückzubringen und gleichzeitig den Gewinn zu steigern. Ihr Wissen hat sie in der im FFI-Verlag erschienenen Fachinfo-Broschüre „Unternehmerisches Know-how für Anwältinnen und Anwälte“ zusammengefasst.
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