Compliance § 31 BORA

Von Tim Günther

Die Satzungsversammlung hat mit Wirkung zum 01.10.2023 einen neuen § 31 BORA geschaffen, wonach alle zugelassenen Berufsausübungsgesellschaften berufsrechtlich verpflichtet werden, jeweils geeignete Maßnahmen zur Einhaltung des Berufsrechts zu schaffen. Der Maßnahmenkatalog reicht von der Bestellung eines bzw. einer (internen oder externen) Berufsrechtsbeauftragten über berufsrechtliche Schulungen bis hin zu elektronischen Überwachungssystemen – die konkreten Maßnahmen hängen von dem Ergebnis der zuvor erfolgten Risikoanalyse ab. Größere Kanzleien (ab regelmäßig elf Berufsträgern) müssen diese Maßnahmen zudem dokumentieren und regelmäßig aktualisieren.

Grundlage in der BRAO

Der neue § 31 BORA wurde im Anschluss an § 59e Abs. 2 BRAO geschaffen. Die Berufsausübungsgesellschaft hat insoweit seit August 2022 nach § 59e Abs. 2 BRAO ohnehin durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass berufsrechtliche Verstöße frühzeitig erkannt und abgestellt werden. Wenn an der Berufsausübungsgesellschaft Personen beteiligt sind, die Angehörige eines in § 59c Abs. 1 S. 1 BRAO genannten Berufs (also Angehörige anderer Berufe wie Steuerberater, Patentanwälte oder auch beratende Betriebswirte, Ärzte oder Architekten) sind, ist durch geeignete gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass die Berufsausübungsgesellschaft für die Einhaltung der Berufspflichten sorgen kann. Eine nähere Ausgestaltung dieser „Maßnahmen“ ist im Gesetz nicht vorgesehen und findet sich auch nicht in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/27670, 185).

Berufsrechts-Compliance: Wer ist betroffen?

Die Norm ist nunmehr durch die Satzungsversammlung dahingehend konkretisiert worden, dass der Anwaltschaft neben Vorschlägen zur Umsetzung von Compliance-Maßnahmen auch konkrete Berufspflichten an die Hand gegeben werden. Die Norm betrifft jede „zugelassene“ Berufsausübungsgesellschaft. Gemäß § 59f Abs. 1 S. 1 BRAO benötigen Berufsausübungsgesellschaften in der Regel die Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer, mit Ausnahmen für:

  • Reine Personengesellschaften (GbR und PartG) ohne Haftungsbeschränkung und bei denen als Gesellschafter bzw. Gesellschafterinnen und als Mitglieder der Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane ausschließlich:
    • Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte oder
    • Angehörige eines in § 59c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAO genannten Berufs (vor allem Steuerberater oder Patentanwälte) angehören.

Freiwillig zugelassene Berufsausübungsgesellschaften sind ebenfalls von den neuen Berufspflichten betroffen.

Risikoanalyse: Was muss bewertet werden?

Berufsausübungsgesellschaften haben nach § 31 Abs. 1 BORA laufend ihre konkreten Risiken für Berufsrechtsverstöße zu ermitteln und diese zu bewerten, insbesondere solche Risiken, die sich aus ihrer Zusammensetzung und Organisationsstruktur, ihren Tätigkeitsfeldern sowie ihren Mandaten ergeben.

Die Berufsausübungsgesellschaft wird demnach zu bewerten haben, welche Mandate sie üblicherweise annimmt (z. B. Verkehrsrecht oder Gesellschafterstreitigkeiten), welchen Mandantenkreis sie dabei bedient (z. B. Unternehmer oder Verbraucher) und unter welchen Rahmenbedingungen (z. B. Anzahl der Berufsträger bzw. Berufsträgerinnen und Standorte) diese Leistungen erbracht werden. Aus einer Gesamtschau dieser Parameter lassen sich sodann konkrete Risiken für einzelne Berufspflichten ableiten. Es gilt die Formel „Risiko = Schaden x Eintrittswahrscheinlichkeit“; die Berufsausübungsgesellschaft muss demnach für jede einzelne Berufspflicht bestimmen bzw. bewerten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes ist und welcher Schaden durch den möglichen Verstoß (berufs-, zivil- und strafrechtlich) entstehen könnte.

Beispielsweise besteht bei einer Berufsausübungsgesellschaft mit einem Inkassogeschäft ein höheres Risiko eines Verstoßes gegen die Fremdgeldregelungen (§ 4 BORA) oder das Umgehungsverbot (§ 12 BORA). Eine Kanzleiboutique müsste das Thema „Interessenkollision und Sozietätswechsler“ näher beleuchten und bewerten. Größere Einheiten stehen vor der Herausforderung, vor allem in der Mandatsannahme ein transparentes System zur Kollisionsprüfung nach § 43a Abs. 4 BRAO zu etablieren. Bei werbeaffinen Berufsausübungsgesellschaften kann sich unter Umständen das Risiko des Bruchs der Schweigepflicht durch Offenbarung der Mandatsnamen zu Werbezwecken (§ 43a Abs. 1 BRAO) oder eines Verstoßes gegen das Vermittlungsverbot, z. B. beim Ankauf von sog. „Leads“ (§ 49b Abs. 3 BRAO), eher realisieren.

Maßnahmenkatalog

Auf Basis der Risikoanalyse nach § 31 Abs. 1 BRAO stellen Berufsausübungsgesellschaften durch geeignete Maßnahmen sicher, dass berufsrechtliche Verstöße verhindert oder zumindest frühzeitig erkannt und abgestellt werden. Die Implementierung der konkreten Maßnahmen hängt dann von den jeweiligen Kanzleifaktoren und -rahmenbedingungen ab. Die Norm zählt hierzu ein paar Beispiele auf, welche weder zwingend noch abschließend sind. Geeignete Maßnahmen können insbesondere sein:

  • die Bestellung einer oder eines Berufsrechtsbeauftragten;
  • berufsrechtliche Schulungen;
  • elektronische Systeme zur Vermeidung von Interessenkollisionen;
  • die elektronische Überwachung von Anderkonten zur Sicherstellung der Verpflichtungen nach § 4 BORA;
  • eine interne Hinweismeldestelle für berufsrechtsbezogene Beschwerden.

Die Bestellung einer oder eines – internen oder externen – Berufsrechtsbeauftragten ist nach Überzeugung des Ausschusses 2 der Satzungsversammlung die wichtigste und zugleich sinnvollste Maßnahme im Rahmen des § 59e Abs. 2 BRAO. Allein die Tatsache, dass es innerhalb der Berufsausübungsgesellschaft eine berufsrechtlich verantwortliche Person gibt, an die man sich bei Fragen oder Zweifeln wenden kann, wird viele aus Unkenntnis begangene Berufsrechtsverstöße vorbeugen (dazu: Diller, Antrag Ausschuss 2 der Satzungsversammlung vom 05.04.2023; S. 3). Die Funktion des Berufsrechtsbeauftragten kann dabei auch noch mit anderen Ämtern (bspw. Datenschutzbeauftragter oder Geldwäschebeauftragter) kombiniert werden. Erforderlich dürften jedoch vertiefte Sachkenntnisse des anwaltlichen Berufsrechts sein. Dieses Fachwissen müsste der oder die Berufsrechtsbeauftragte dann regelmäßig auffrischen und idealerweise jährlich im Rahmen einer berufsrechtlichen Schulung an die Berufskollegen und Berufskolleginnen weitergeben.

Neben der Bestellung einer oder eines Berufsrechtsbeauftragten (ggf. kombiniert mit einer berufsrechtlichen Meldestelle) und der Schulung sind elektronische Systeme zur Kollisionsprüfung und der Überwachung des Fremdgeldes geeignete Maßnahmen. Der Grund liegt darin begründet, dass gerade im Mandatsgeschäft mit wechselseitigen Beziehungen und häufig örtlich bestimmten Parteien (wie z. B. im Familienrecht, dem Verkehrsrecht oder auch dem Gesellschaftsrecht) eine Interessenkollision nach § 43a Abs. 4 BRAO i. V. m. § 2 BORA übersehen wird. Im laufenden Mandatsgeschäft sollte die elektronische Kollisionsprüfung vor Mandatsannahme (durch Eingabe der Mandanten und Gegner) daher zur täglichen Routine gehören. Ein Mechanismus zur Vorbeugung von Verstößen gegen die unverzügliche Auszahlung von Fremdgeld (§ 4 BORA) soll die elektronische Überwachung von Anderkonten darstellen. Auch hier enthält die Norm keine Konkretisierung. Es empfiehlt sich daher (ohnehin), Fremdgelder gar nicht erst auf Anderkonten zu parken, sondern umgehend auszukehren oder aber – sofern möglich – mit offenen Vergütungsforderungen zu verrechnen. Eine elektronische Überwachung der Anderkonten könnte in der routinemäßigen Meldung an die zuständigen sachbearbeitenden Berufsträger liegen. 

Dokumentation

Nach § 31 Abs. 3 BORA haben Berufsausübungsgesellschaften, die regelmäßig mehr als zehn Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten oder andere Angehörige eines in § 59c Absatz 1 Satz 1 BRAO genannten Berufs beschäftigen, die Risikoanalyse nach Absatz 1 und die getroffenen Maßnahmen nach Absatz 2 zu dokumentieren und diese Dokumentation spätestens alle zwei Jahre zu aktualisieren. Nähere Anforderungen an die Dokumentationspflicht enthält die Norm nicht. Neben einer Darstellung der Risikoanalyse (vor allem zur Mandats-, Mandanten- und Kanzleistruktur) und der Zeichnung bzw. Beschreibung der Risikomatrix für jede einzelne Berufspflicht enthält die Dokumentation sodann die jeweiligen technischen und organisatorischen Maßnahmen und Arbeitsanweisungen in der Berufsausübungsgesellschaft. Abgestellt wird auf die Anzahl der „regelmäßig“ (d. h. im Jahresdurchschnitt) beschäftigten Berufsträger und Berufsträgerinnen.

Fazit: frühzeitige Prüfung ratsam

Die zugelassenen Berufsausübungsgesellschaften müssen daher jetzt ihre jeweiligen berufsrechtlichen Risiken bewerten, entsprechende Maßnahmen zur Verhinderung oder zumindest frühzeitigen Erkennung von Verstößen implementieren und diese sodann dokumentieren. Zu den wirksamsten Maßnahmen gehören die Bestellung eines (in- oder externen) Berufsrechtsbeauftragten, berufsrechtliche Schulungen und die elektronische Überwachung von Interessenkonflikten und Fremdgeldern.

Die Kanzlei Jähne Günther steht als externer Berufsrechtsbeauftragter zur Verfügung und bietet Pakete für Kanzleien unterschiedlicher Größen an.

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Rechtsanwalt Tim Günther ist seit über zehn Jahren als Rechtsanwalt tätig und Partner der Jähne Günther Rechtsanwälte PartGmbB mit einem Beratungsschwerpunkt im Wirtschafts- und Berufsrecht. Er ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Versicherungsrecht.

Bild: Canva/©Anastasiia Toryanik

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