Von Julian Oehlenschläger

Frischgebackene Anwältinnen und Anwälte sind dazu verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Doch wie lerne ich, die Risiken der Haftung für Vermögensschäden gegenüber meinen Mandanten und Mandantinnen einzuschätzen – und auf der Grundlage die passende Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen? Julian Oehlenschläger ist seit 2007 Vorstand der hemmer finance AG und berät zahlreiche Anwältinnen und Anwälte zum Thema Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Im Interview mit MkG verrät er, worauf insbesondere Berufsanfänger:innen bei der Auswahl achten sollten.

Herr Oehlenschläger, Sie beraten Junganwälte und Junganwältinnen bezüglich möglicher Haftungsrisiken und empfehlen dann eine passende Absicherung. Sind diese sich ihres Haftungsrisikos beim Berufsstart in der Regel schon ausreichend bewusst?

Der Berufsstart ist für junge Anwälte und Anwältinnen eine wahnsinnig intensive Zeit, in der sie sich in viele neue Themen einarbeiten müssen. Die Risiken, die sich aus dem hohen Umfang der beruflichen Pflichten ergeben, stehen dann meist nicht im Vordergrund. Und dies obwohl gerade den Jüngeren ohne Spezialisierung und ohne eingespieltes Büroteam für die Fristenkontrolle oft Fehler passieren. Man sollte aber auch nicht ängstlich werden, sondern darauf achten, dass die gewählte Berufshaftpflichtversicherung der Haftungssituation und den bearbeiteten Mandaten entspricht. Dies ist aber nur möglich, wenn man weiß, wie die Berufshaftpflichtversicherung der Anwaltschaft funktioniert.

Deckungssumme gilt nur für Zeitpunkt des Pflichtverstoßes 

In Deutschland gilt für diese Versicherung das Verstoßprinzip, wodurch der Versicherer nur mit der Deckungssumme eintritt, die zum Zeitpunkt des anwaltlichen Pflichtverstoßes versichert war. Dies bedeutet, dass Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen sehr schnell die Deckungssumme der Haftpflichtversicherung erhöhen müssen, wenn sie ein großes Mandat annehmen. Und es bedeutet auch, dass sie sich frühzeitig Gedanken machen sollten, welcher Schaden beispielsweise aus einem Erbvertrag entstehen kann, wenn sich in einigen Jahren die Erbmasse vervielfacht hat. Im Schadenfall fällt der Blick zurück auf den Zeitpunkt, an dem der Erbvertrag aufgesetzt und ein möglicher beruflicher Fehler begangen wurde – nur die damals abgesicherte Deckungssumme ist relevant.

Auch über die Ausschlüsse im Bedingungswerk, beispielsweise zu Beratung im außereuropäischen Recht oder zur wissentlichen Pflichtverletzung, sollte man sich im Klaren sein. In manchen Fällen ist es möglich, den Versicherungsumfang über Sonderklauseln zu erweitern. Für junge Einzelanwälte und -anwältinnen ist eine angemessene Berufshaftpflichtversicherung auch deshalb unverzichtbar, weil sie für alle Fehler, bei denen die Deckungssumme nicht ausreichend ist oder die aufgrund von Ausschlüssen nicht greift, mit ihrem Privatvermögen haften.

Laut einer Studie des Soldan-Instituts zu Scheinsozien werden zwei Drittel der angestellten Junganwälte und -anwältinnen von ihren Arbeitsgebern potenziell existenzvernichtenden Haftungsrisiken ausgesetzt – indem sie z. B. auf der Kanzleiwebsite als Berufsträger:in aufgeführt werden. Sind angestellte Anwälte und Anwältinnen darüber schlicht nicht informiert, oder trauen sie sich vielleicht nicht, ihre Arbeitgeber:in auf das damit verbundene Risiko anzusprechen?

Das Wissen um die Gefahren der Scheinsozienhaftung ist meist nur bruchstückhaft vorhanden. Dies gilt für Berufsanfänger:innen, aber ebenso für Erfahrene. Und natürlich ist es schwierig, in der Probezeit Fehler im Risikomanagement der Kanzlei anzusprechen. Trotzdem sollte man es tun. Das hierfür notwendige Wissen versuchen wir unseren Kunden und Kundinnen zu vermitteln.

Man muss in diesem Zusammenhang die Haftungsseite und die Deckungsseite unterscheiden. Auf der Haftungsseite geht es um die Frage: Wer haftet gegenüber dem Mandanten oder der Mandantin? Bei einer GbR oder Scheinsozietät wird ein Mandatsvertrag nach Grundsätzen des Anscheins/der Duldungsvollmacht geschlossen. Entscheidend ist der Rechtsschein gegenüber dem Mandanten bzw. der Mandantin und nicht, wie die Kanzlei im Innenverhältnis organisiert ist. Ein Internetauftritt, der den wahren Status dieser nicht benennt, kann dazu führen, dass alle, einschließlich der angestellten Anwälte und Anwältinnen, gesamtschuldnerisch haften.

Im Haftungsfall kommt es zur Durchschnittsbildung

Die Deckungsseite beschäftigt sich mit der Frage, ob ein Schaden von der Versicherung gedeckt ist. Wichtig ist bei einem Leistungsfall, dass alle Sozien/Scheinsozien einer GbR mit der gleichen Deckungssumme über einen Sozientarif versichert sind. Im Haftungsfall kommt es zur Durchschnittsbildung, sodass eine Anwältin mit einer niedrigeren Deckungssumme die Deckung der gesamten Kanzlei nach unten ziehen kann. Das gilt auch für angestellte Anwältinnen und Anwälte oder freie Mitarbeitende, wenn sie als Scheinsozia haften. Arbeitet die Kanzlei mit einer vorformulierten Haftungsbegrenzung nach § 52 BRAO, können die Folgen noch schwerwiegender sein. Die Voraussetzungen für die Haftungsbegrenzung sind bei einer zu niedrigen Deckungssumme nicht mehr gegeben und für Millionenschäden, vor denen man sich schützen wollte, haften die Anwälte und Anwältinnen dann wieder mit dem Privatvermögen.

Wenn ich im Laufe meiner Karriere die Versicherungssumme erhöhe, steht trotzdem immer nur die Versicherungssumme zur Verfügung, die zum Zeitpunkt des anwaltlichen Fehlers vereinbart war. Sollte ich mich gerade zum Berufsbeginn (wo ich vielleicht eher Fehler mache) deshalb für eine möglichst hohe Versicherungssumme entscheiden?

Wer hauptberuflich eine eigene Kanzlei gründet, sollte mindestens eine Deckungssumme von 1 Million Euro pro Versicherungsfall absichern. Diese Deckungssumme entspricht eher dem Risiko von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen als die Mindestdeckungssumme von 250.000 Euro. Außerdem können Einzelanwälte und -anwältinnen mit einer Deckungssumme von 1 Mio. Euro ihre Haftung über AGB in den Mandatsverträgen begrenzen (§ 52 BRAO) und so ihr Privatvermögen besser schützen. Über umsatzabhängige Tarife können Berufsstarter die Kosten auch bei höheren Deckungssummen niedrig halten. Werden allerdings nur nebenberuflich ein paar Mandate im Freundeskreis angenommen, reicht in der Regel auch die Mindestdeckungssumme von 250.000 Euro aus.

Können Sie uns ein paar Auswahlkriterien nennen, die junge Anwälte und Anwältinnen bei der Wahl der passenden Berufshaftpflichtversicherung unbedingt beachten sollten?

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Anwalt einer großen auf Versicherungsrecht spezialisierten Kanzlei in Köln, der darauf verwies, dass die meisten Probleme für die Anwaltschaft nicht daraus resultierten, dass die Versicherung bedingungsseitig nicht greife, sondern daraus, dass die Deckungssumme zu gering bemessen sei. Das A und O ist also eine ausreichende Deckungssumme. Junge Anwälte und Anwältinnen sind ferner gut beraten, wenn sie einen etablierten Versicherer mit einer großen Schadenabteilung wählen, der ihnen gleichzeitig einen günstigen umsatzabhängigen Tarif bietet. So können bei moderaten Kosten schon höhere Deckungssummen abgesichert werden. Natürlich muss man sich immer auch die Haftungssituation anschauen und prüfen, ob z. B. eine Scheinsozienhaftung vorliegen könnte oder ob eine erweiterte Auslandsdeckung notwendig ist.

Sollte ich mich vor Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung immer beraten lassen, um mein individuelles Berufsrisiko zu ermitteln?

Natürlich bin ich als spezialisierter Makler hier nicht ganz neutral. Allerdings erlebe ich täglich in meinen Gesprächen mit Berufsanfänger:innen, aber auch mit Partner:innen großer Kanzleien, dass Haftungsrisiken falsch eingeschätzt werden und bestimmte Ausschlüsse der Berufshaftpflichtversicherung nicht bekannt sind. Das Risikomanagement einer Kanzlei sollte durch das Zusammenspiel von Gesellschaftsform, Berufshaftpflichtversicherung und der Vereinbarung von Haftungsbeschränkung mit den Mandant:innen geprägt sein. Nur wenn ich die Funktionsweise, aber auch die Grenzen der Berufshaftpflichtversicherung kenne, kann ich die anderen Punkte daran anpassen. Neben den Vorteilen durch die Beratung sparen Kunden und Kundinnen aber auch Geld, da große Fachmakler wissen, welche Prämien am Markt möglich sind und die Verträge stark rabattiert anbieten können.

Herr Oehlenschläger, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

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Julian Oehlenschläger ist seit 2007 im Vorstand der hemmer finance AG und dort zuständig für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung der rechtsberatenden Berufe. Die hemmer finance AG gehört, wie das Juristischen Repetitorium hemmer, zur hemmer.group und unterstützt junge Anwälte und Anwältinnen bei der Absicherung von Haftungsrisiken.

MkG Spezial HaftungsfallenMKG Magazin-Spezial: Die größten Haftungsfallen für junge Anwältinnen und Anwälte

Rechtsanwalt Tim Günther klärt junge Anwältinnen und Anwälte darüber auf, welche berufsrechtlichen Pflichtverletzungen sie kennen müssen und welche Vorkehrungen sie zwecks Haftungsprävention treffen sollten.

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Foto: Adobe Stock/N. Theiss

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