Von Detlef Burhoff
Klimaschutz ist in aller Munde. Und auch die Frage: Tun wir genug für Klimaschutz? Die aktuellen Protestaktionen derjenigen, die diese Frage mit „Nein“ beantworten würden, verlaufen nicht immer friedlich. Wie diese Aktionen strafrechtlich einzuordnen sind, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Es liegt bislang weder verfassungsrechtliche noch höchstrichterliche Rechtsprechung vor.
Wir stellen Ihnen in diesem Überblick aber schon einmal die bisher bekannt gewordene Instanzrechtsprechung vor. Die Liste folgt dem Instanzenzug. Sie enthält eine kurze Sachverhaltsdarstellung und dann die Leitsätze der jeweiligen Entscheidung.
Rechtsprechung zu Klimaaktivisten im Überblick
1. | |
Sachverhalt | Der Angeklagte hat im Sommer 2021 jeweils absichtlich die Fassade des Zentralgebäudes der Leuphana Universität mit Wandfarbe verunstaltet und folgende Worte auf die Fassade gesprüht: „Leuphana divest: Kohle aus Nord/LB“. Der Universität ist dadurch ein Schaden in Höhe von 1.640,25 Euro bzw. 11.377,89 Euro für die Beseitigung der Verunstaltungen entstanden. |
Leitsatz | 1. Ein tatbestandliches Verhalten (hier: Sachbeschädigung), durch das der Täter bezweckt, auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen und die Politik zu Maßnahmen zu deren Abwehr zu veranlassen, ist weder vor dem Hintergrund des allgemeinen rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB, noch als „ziviler Ungehorsam“ gerechtfertigt. |
2. | |
Sachverhalt | Der Angeklagte und weitere Personen hatten sich als „Aktion Lebenslaute“ zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen den Braunkohletagebau zu demonstrieren. In Ausübung dessen betraten der Angeklagte und seine gesondert verfolgten 52 Mittäter und Mittäterinnen am frühen Morgen eines Tages im Jahr 2021 ein Braunkohlentagebaugelände, indem sie über die „Rampe X“ den Erdwall, der das Tagebaugelände umgab, überwandten. Auf dem Tagebaugelände musizierte die Gruppe gemeinsam vor einem mitgeführten „Anti-Kohle“-Banner. Kurz darauf trafen Polizeibeamte ein. Deren Aufforderung, sich auszuweisen und das Tagebaugelände zu verlassen, entsprachen sie widerstandslos. |
Leitsatz | 1. Es kann offenbleiben, ob aus den Grundrechten des Täters unmittelbar eine Rechtfertigung oder ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann. |
3. | |
Sachverhalt | Der Angeklagte hat sich 2014 an einem sog. Aktionstag von Klimaaktivisten beteiligt. Um seinen Unmut gegen die Braunkohleförderung und -verbrennung im Rheinischen Revier zum Ausdruck zu bringen, betrat er unweit eines Kohlebunkers die Gleise der Privatbahnstrecke der S AG, die den von dieser betriebenen Tagebau mit den ebenfalls von ihr betriebenen Kraftwerken und Brikettfabriken im Landkreis verbindet. Von unbekannt gebliebenen Personen aus dieser Gruppe wurde zunächst an zwei Stellen der Gleisschotter auf einem kurzen Gleisstück der Gleisanlagen beseitigt. |
Leitsatz | 1. Private Anlagen genießen den Schutz des § 316b Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn sie der öffentlichen Versorgung dienen, d. h. ein bestimmtes Gebiet regelmäßig beliefern. |
4. | |
Sachverhalt | Der Angeschuldigten wird vorgeworfen, sich am Morgen des 23.6.2022 im Rahmen der Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf die Fahrbahn einer Straßenkreuzung in Berlin gesetzt zu haben, um Fahrzeugführende bis zur Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Zudem soll die Angeschuldigte ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn geklebt und dadurch die von ihr erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade erschwert haben. |
Leitzsatz | Beim Festkleben mit der Hand auf einer Fahrbahn im Rahmen einer Straßenblockade, um Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade an ihrer Weiterfahrt zu hindern, besteht hinreichender Tatverdacht hinsichtlich Nötigung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. |
5. | |
Sachverhalt | Der Angeklagte hat sich im Februar 2022 mit elf weiteren Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ im Bereich einer Zufahrt zur Stadtautobahn A 100 in Berlin-Moabit „nur“ auf die Fahrbahn gesetzt, während zwei andere Demonstranten sich auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber festgeklebt hatten. |
Leitsatz | Die Sitzblockade eines sog. Klimaaktivisten ist grundsätzlich als verwerflich i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen und insbesondere nicht durch die in Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit, deren Prüfungsmaßstab allein maßgeblich ist, gerechtfertigt. Es ist eine Prüfung der Zweck-Mittel-Relation vorzunehmen. Entscheidend zu berücksichtigen ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung vor allem das Gewicht des gewaltsamen Eingriffs in die Rechte Dritter, die von den Tätern zu Objekten ihrer Selbstdarstellung gemacht werden. |
6. | |
Sachverhalt | Im April 2021 führten mehrere Klimaaktivisten der Gruppierung Extinction Rebellion in Bremen und im Umland koordinierte Protestaktionen durch, mit denen sie auf die Notwendigkeit einer Verkehrswende aufmerksam zu machen. Diese Aktionen richteten sich allesamt gegen den Individualverkehr. Der Verkehr im Bereich zweier Autobahnabfahrten wurde gestört, indem sie sich mit Transparenten über mehrere Stunden auf der Fahrbahn aufhielten und Schilderbrücken besetzten, an denen sie (wie auch an einigen anderen Straßenschildern) Transparente anbrachten. Bei dieser Aktion soll der Beschuldigte an dem Versuch beteiligt gewesen sein, einen Fahrzeugführer an der Weiterfahrt zu hindern. |
Leitsatz | 1. Bei der Prüfung, ob in den Fällen der Verkehrsstörung aus Klimaschutzgründen eine verwerfliche Mittel-Zweck-Relation gem. § 240 Abs. 2 StGB vorliegt, kommt dem Anliegen der Klimaaktivisten, auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen – gerade auch mit Bezugnahme auf den Individualverkehr –ein erhebliches Gewicht in der zu treffenden Abwägung zu. |
7. | |
Sachverhalt | Der Angeklagte und Mitangeklagte haben sich im November 2017 mit einem Dreibein auf zwei Förderbändern, mit denen Braunkohle einem Braunkohlekraftwerk zugeführt werden konnte, verankert. Nachdem Mitarbeiter des Kraftwerks die Personen entdeckten, wurden die Förderbänder abgeschaltet, um sowohl Verletzungen der Personen als auch Schäden an der Anlage zu verhindern. Die Mitarbeiter benachrichtigten die Polizei. Im Rahmen des folgenden Einsatzes wurden die Angeklagten durch Polizeibeamte aufgefordert, das Werksgelände zu verlassen. Dieser Aufforderung sind sie nicht nachgekommen. |
Leitsatz | 1. Die Angeklagten können sich nicht auf Notwehr bzw. Nothilfe im Sinne der § 32 StGB bzw. § 227 BGB berufen, da lediglich eine Sachgefahr in Betracht kommt und kein gegenwärtiger Angriff eines Menschen auf Rechtsgüter der Angeklagten oder Dritter vorliegt. Auch wenn das Kraftwerk von Menschen betrieben und geleitet wird, handelt es sich vorliegend um eine Sachgefahr, die von den Schadstoffen im Rahmen der Verbrennung von Braunkohle zu Tage tritt. |
8. | |
Sachverhalt | Dem Eigentümer eines Grundstücks ist für die Bebauung eines Waldabschnitts mit einem Hotel eine Baugenehmigung erteilt worden, wofür die Rodung von weiten Teilen des Baumbestandes vorgesehen war. Anfang Januar 2020 begaben sich ungefähr 20 Menschen auf das Privatgrundstück der Immobiliengesellschaft und errichteten in dem zugehörigen Waldabschnitt mehrere Baumhäuser. Im Februar 2021 wurden wesentliche Teile des Grundstücks vollständig mit Bauzäunen umstellt, um mit der Rodung zu beginnen. Unter den Anwesenden war an diesem Morgen der Angeklagte, der nach der Umzäunung des Gebiets noch drei Tage lang auf einem Baum verweilte, um die Fällung zu verhindern. |
Leitsatz | 1. Die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB sind im Licht der sich sowohl aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ergebenden als auch auf die Grundrechte des Grundgesetzes stützende und damit wechselseitig normativ verstärkten Bedeutung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Klimaschutz auszulegen. |
9. | |
Sachverhalt | Die Angeklagten haben an einer bundesweiten Protestaktion in Form einer Straßenblockade der „Letzten Generation“ teilgenommen. In Ausführung dieses Planes blockierten sie eine mehrspurige Straße und setzten sich in einer Reihe auf die drei Richtungsfahrbahnen. Zwei Angeklagte befestigten jeweils eine Hand mittels Kleber auf dem Asphalt, sodass die Angeklagten beim Heranfahren von Kraftfahrzeugen nicht ausweichen konnten, um zugleich die Einsatzkräfte für eine nicht unerhebliche Zeit an einer Räumung zu hindern, und die auf der Neckarsulmer Straße stadteinwärts am Verkehr teilnehmenden Kraftfahrzeugfahrer während der Dauer der Blockadeaktion von der Weiterfahrt abzuhalten. Durch dieses Vorgehen wurden mindestens drei Verkehrsteilnehmer an der Weiterfahrt gehindert. |
Leitsatz | 1. Keine Gewalt i. S. d. § 240 StGB ist die „bloße Anwesenheit" von Demonstranten auf der Fahrbahn, soweit sie sich nur als psychische Hemmung auf die anhaltenden Fahrer auswirkt, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der „zweiten Reihe" der anhaltenden Fahrer wirkt aber nicht nur die psychische Hemmung, sondern auch die in erster Reihe bzw. davorstehenden Fahrzeuge als physische Sperre. |
Abweichungen |
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10. | AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.3.2022 - 21 Cs-721 Js 44/22-69/22 |
Sachverhalt | Siehe Ziffer 2 |
Leitsatz | Es kann aus den Grundrechten des Täters unmittelbar eine Rechtfertigung oder ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden (hier: für Hausfriedensbruch). |
11. | AG Tiergarten, Beschl. v. 5.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22) |
Sachverhalt | Siehe bei Ziffer 4 |
Leitsatz | 1. Sitzblockaden durch Klimaaktivsten der „Letzten Generation“ erfüllen nicht den Tatbestand des Widerstandleistens und/oder der Nötigung. |
Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.
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