Der Paukenschlag wurde mit der Pressemitteilung vom 8. Dezember 2020 durch die Senatorin für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen verkündet: Mit Erlass einer Rechtsverordnung über die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs vom selben Tag (Brem.GBl. 2020, S. 1666) wählt Bremen für die Fachgerichtsbarkeiten mit Ausnahme des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum 1. Januar 2021 den sog. Opt-In in die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs.

Bremen ist damit nach Schleswig-Holstein, das die aktive Nutzungspflicht bislang (nur) für die Arbeitsgerichtsbarkeit eingeführt hat, das zweite Bundesland, das den sog. Opt-in zieht. Das heißt: Sämtliche formbedürftige Schriftsätze können bei den erfassten Gerichten nur noch im elektronischen Rechtsverkehr eingereicht werden.

Rechtsgrundlagen

Rechtsgrundlage des elektronischen Posteingangs sind die §§ 130a ZPO, 65a SGG, 55a VwGO, 52a FGO, § 46c ArbGG, die im Wesentlichen wortgleich die Anforderungen an Schriftsätze regeln. Details hierzu finden sich ferner in der bundesweiten Rechtsverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr (ERVV).

Danach können elektronische Dokumente über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) oder einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 ZPO bei Gericht eingereicht werden. Die Vorschrift bezieht sich nach ihrem Wortlaut explizit nicht nur auf schriftformbedürftige Dokumente, sondern auf sämtliche Einreichungen (schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter).

Während bei einer Einsendung über das EGVP eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) stets erforderlich ist (Abs. 3 1. Var.), kann bei Einreichungen aus einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a ZPO auf die Anbringung einer qeS verzichtet werden; dann genügt eine einfache Signatur (bspw. der maschinenschriftliche Namenszug oder eine eingescannte Unterschrift).

Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs macht es erforderlich, dass die den Schriftsatz verantwortende Person selbst (bspw. der postulationsfähige Rechtsanwalt) den Sendevorgang vornimmt.

Rechtsgrundlage für die Einführung der aktiven Nutzungspflicht sind die §§ 65d SGG, 52d FGO und 46g ArbGG (bzw. für das LAG § 130d ZPO). Danach tritt die aktive Nutzungspflicht am 1.1.2022 Kraft Gesetzes an sämtlichen deutschen Gerichten ein. Sie kann durch Landesrechtsverordnung – wie in Bremen nun geschehen – vorgezogen werden.

Kommunikationswege des elektronischen Rechtsverkehrs

Es gibt drei Möglichkeiten der formwirksamen Einreichung im elektronischen Rechtsverkehr:

  1. Per Elektronischem Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV): Dann mit qualifizierter elektronischer Signatur der verantwortenden Person.
  2. Auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 4 ZPO) durch die verantwortende Person selbst (bspw. beim beA den Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin): Dann genügt die einfache Signatur der verantwortenden Person.
  3. Unter Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs (§ 130a Abs. 4 ZPO) durch eine andere, als die verantwortende Person selbst (bspw. das Sekretariat der Kanzlei): Dann mit qualifizierter elektronischer Signatur der verantwortenden Person, wie bei der einfachen EGVP-Nutzung.

Die gesetzlich vorgesehenen sicheren Übermittlungswege sind in § 130a Abs. 4 ZPO näher beschrieben. Das Adjektiv „sicher“ bezieht sich insoweit nicht auf Fragen der IT-Sicherheit oder des Ausfallschutzes, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen bei Nutzung eines solchen Übermittlungswegs ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist. Der besondere Kommunikationskanal ersetzt also die Identifikationsfunktion der Unterschrift. Daher kann bei Nutzung sicherer Übermittlungswege auch auf eine qualifizierte elektronische Signatur verzichtet werden, die sonst die eigenhändige Unterschrift im elektronischen Rechtsverkehr ersetzt.

Sichere Übermittlungswege gem. § 130a Abs. 4 ZPO sind (derzeit):

  • die absenderauthentifizierte De-Mail, § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO, § 4 f. De-MailG,
  • das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO, und das besondere elektronische Notarpostfach (beN), § 78n BNotO, sowie
  • das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo), § 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO.

In einem aktuellen Referentenentwurf[1] hat das BMJV darüber hinaus Pläne veröffentlicht, zukünftig auch die Portale nach dem Online-Zugangs-Gesetz (OZG) und ein neu geschaffenes, auf EGVP-basierendes Bürger-EGVP (elektronisches Bürger- und Organisationspostfach – eBO) als sichere Übermittlungswege einzuführen.

Aktive und passive Nutzungspflicht

Konkret gilt nun, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse ab dem 1. Januar 2021 schriftformbedürftige Schriftsätze – insbesondere also Klagen und Anträge – nicht mehr als Brief oder per Telefax, sondern nur noch elektronisch auf einem der zugelassenen Übermittlungswege einreichen dürfen.

Nicht von der aktiven Nutzungspflicht erfasst sind dagegen die in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit häufig als Prozessvertreter auftretenden Verbände und Gewerkschaften, Rentenberaterinnen und Rentenberater, sowie nicht anwaltlich vertretene Bürgerinnen und Bürger sowie privatrechtliche Unternehmen (bspw. als Arbeitgeber in der Arbeitsgerichtsbarkeit). Ebenfalls nicht erfasst sind die Steuerberaterinnen und Steuerberater, die vorwiegend in der Finanzgerichtsbarkeit auftreten.

Schließlich auch nicht erfasst sind weitere Personen im Umfeld eines Gerichtsverfahrens, hier bspw. Sachverständige oder ehrenamtliche Richterinnen und Richter.

Dateiformate des elektronischen Rechtsverkehrs

Für den elektronischen Rechtsverkehr sind nicht nur besondere Übermittlungswege vorgeschrieben. Kraft Rechtsverordnung ist auch das Dateiformat festgelegt.

Gem. § 2 Abs. 1 ERVV ist das elektronische Dokument in

  • druckbarer,
  • kopierbarer und,
  • soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form (d. h. texterkannt),
  • im Dateiformat PDF (Version PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA) zu übermitteln. Wenn bildliche Darstellungen im Dateiformat PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF (Version 6) übermittelt werden.

Gem. § 5 Abs. 1 ERVV macht die Bundesregierung weitere technische Anforderungen an die Übermittlung und Bearbeitung u. a. auf der Internetseite www.justiz.de bekannt (Bekanntmachungen zum Elektronischen Rechtsverkehr – ERVB). Letztlich werden in den ERVB vor allem IT-Sicherheitsanforderungen der Justiz bedient und die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur der Gerichte sichergestellt. Zudem garantieren die Anforderungen der ERVB, dass das elektronische Dokument auch ohne notwendiges Nachladen von Inhalten aus dem Internet lesbar ist; diese Anforderung trägt auch dem Umstand Rechnung, dass viele Justiznetze der Gerichte nicht unmittelbar mit dem Internet verbunden sind, weshalb ein Nachladen von Inhalten gar nicht ohne weiteres möglich wäre.

Mit dem ERV stellen sich neue Rechtsfragen

Die Einführung der aktiven Nutzungspflicht in der Arbeitsgerichtsbarkeit Schleswig-Holsteins hat hier zu einem erheblichen Aufkommen von Rügen hinsichtlich dieser formalen Aspekte geführt und die Rechtsprechung bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) dazu gedrängt, auch zu technischen Fragen Farbe zu bekennen.

Mittlerweile zu einem (sowohl bei Richterinnen und Richtern als auch in der Rechtsanwaltschaft unbeliebtem) Dauerbrenner ist zwischenzeitlich die Anforderung nach eingebetteten Schriftarten geworden. Die von den ERVB 2019 geforderte Einbettung von Schriftarten lässt sich beim Öffnen einer PDF-Datei im Reiter „Schriften“ überprüfen. Steht hinter der dort angezeigten Schriftart „eingebettet“, bedeutet dies, dass die PDF-Datei die gesamte Schriftart enthält. „Eingebettete Untergruppe“ heißt, dass alle verwendeten Zeichen der Schriftart eingebettet sind. Beides genügt den Anforderungen der ERVB 2019. Nicht ausreichend wäre hingegen, wenn hinter der Schriftart angezeigt wird „Schriftart nicht eingebettet“ oder, wenn hinter der jeweiligen Schriftart kein Klammerzusatz aufgeführt ist. Ein zusätzlicher Arbeitsschritt, der im Massengeschäft der erstinstanzlichen Postbearbeitung für Richterinnen und Richter mehr als nur lästig ist.

Praktisch problematisch sind vor allem in besonders grafisch gestalteten Briefköpfen von Rechtsanwaltskanzleien und Behörden verwendete – nicht selten exotische – Schriftarten, die nicht eingebettet werden. Insoweit erscheint es zunächst naheliegend, dass dies die Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs kaum rechtfertigen kann, weil das Aussehen des Briefkopfs wohl keine rechtliche, sondern nur ästhetische Relevanz hat. Andererseits spricht der Wortlaut der ERVV/ERVB und deren Sinn und Zweck eher für eine restriktive Haltung der Justiz hinsichtlich dieser Merkmale. Weil in einigen Bundesländern – so auch in Hessen – die Internetzugänge aus dem Justiz-Netz aus guten Gründen der IT-Sicherheit erheblich beschränkt sind, ist ein Nachladen von Inhalten oder Schriftarten teilweise auch technisch gar nicht möglich. Daher kann es sein, dass eine nicht eingebettete Schriftart an einem Justiz-Arbeitsplatz vollständig unleserlich oder aber sogar gar nicht dargestellt wird. Aus diesem Grund dürften auch Ausnahme vom Erfordernis der vollständigen Einbettung (bspw. nur wesentliche Inhalte des Schriftsatzes müssen eingebettet sein) nicht ohne Weiteres denkbar sein, denn der juristische Entscheider weiß nicht, was er nicht sieht.

Herausfordernd ist diese (neue) Formprüfung bereits deshalb, weil sie selbstverständlich nur am PC, nicht an einer Papierakte durchführbar ist. Sehr lesenswert ist hierzu eine der bundesweit ersten Entscheidungen hierzu vom LAG Frankfurt am Main (Beschluss vom 7. September 2020 – 18 Sa 485/20). Sympathisch ist ferner ein nicht minder lesenswertes Urteil des LG Mannheim vom 4. September 2020 – 1 S 29/20 (siehe auch Müller, RDi 2020, 59). Danach kommt es für die Rechtsfolge von Verstößen gegen die ERVV grundsätzlich auf eine Abwägung zwischen dem Justizgewährungsanspruch des Einreichers einerseits und der Art und Schwere des Formverstoßes andererseits an. Dem Bundesverfassungsgericht dürfte diese Relativierung gefallen (siehe auch BVerfG, Beschluss vom 22.10.2004 – 1 BvR 894/04), das Problem der nicht eingebetteten Schriftarten dürfte dennoch bleiben.

Fazit: Fallstricken ausweichen

Für Einreicher sind fast alle Probleme mit den ERVB übrigens leicht umschiffbar: Nahezu sämtliche Formvoraussetzungen werden alleine dadurch erfüllt, dass nicht einfach irgendeine PDF-Datei eingereicht wird, sondern ein Dokument im Format PDF/A. In diesem Fall muss nur zusätzlich die Texterkennung sichergestellt werden. Auf exotische Schriftarten sollte nichtsdestotrotz verzichtet werden, lässt doch deren Urheberrechtsschutz oft die Einbettung nicht zu.

Ferner gilt es, gerade in der Anfangszeit der ERV-Nutzung Fristen möglichst nicht vollständig auszureizen, um den Gerichten die Möglichkeit der Formprüfung noch innerhalb einer laufenden Klage- oder Rechtsmittelfrist zu geben; dann können Formfehler noch gem. § 130a Abs. 6 ZPO oder im Wege der Wiedereinsetzung geradegerückt werden.

So oder so gilt: In der Bremer Sozial-, Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit, sowie an den Arbeitsgerichten Schleswig-Holsteins ist digital nun Pflicht. Alle weiteren Bundesländer werden am 1.1.2022 folgen. Es wird höchste Zeit, sich mit dem elektronischen Rechtsverkehr, seiner Technik und den (gar nicht mehr so neuen) Formvorschriften auseinanderzusetzen.

[1] https://www.bmjv.de/Gesetzgebungsverfahren/ReFE_Ausbau-ERVV

Foto:Adobe.Stock/©Song_about_summer

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