Von Julia Torner
Juristinnen und Juristen neigen zum Perfektionismus. Perfektionismus und Pedanterie sind quasi „Berufskrankheiten“. Perfektion an sich ist ja auch ein hehrer Anspruch, doch was ist er wert, wenn ehrliches Feedback zur Leistung fehlt? Woran wird Perfektion gemessen? Werden Fehler überhaupt wahrgenommen? Und wenn ja, wird im Rahmen einer positiven Fehlerkultur reflektiert und an sich gearbeitet?
„Eines der traurigsten Dinge im Leben ist, dass ein Mensch viele gute Taten tun muss, um zu beweisen, dass er tüchtig ist, aber nur einen Fehler zu begehen braucht, um zu beweisen, dass er nichts taugt.“
George Bernard Shaw
Perfektionismus, Unsicherheit und Hybris
Die Kehrseite vom Streben nach Perfektion ist oftmals die Angst, Fehler zu begehen. Und diese Angst hemmt und lähmt, was wiederum Fehler begünstigt: Zwanghaft Organisierte betreiben Mikromanagement, Detailverliebte verzetteln sich bis zum bitteren Fristende, Übervorsichtige werden risikoavers und allzu Analytische überkritisch und pessimistisch. Je stressiger die Situation, desto ausgeprägter. Das Paradoxe ist, dass diese Verhaltensweisen das Denken und Urteilen eintrüben. Die Anstrengungen, „es besonders gut zu machen“, sind teils ineffektiv, teils kontraproduktiv und Fehler werden zunehmend wahrscheinlicher.
Angst vor Fehlern oder Kritikunfähigkeit
Viele Menschen sind schlichtweg gehemmt, Wissenslücken einzugestehen und sich mit Kolleginnen und Kollegen offen darüber auszutauschen. Die Fassade, „Alles im Griff zu haben“, soll gewahrt bleiben; vor Mandant:innen, Kolleg:innen und Chef oder Chefin. Bei einigen beobachtet man auch das sog. Impostor-Syndrom, bei dem die Betroffenen trotz erwiesener Fähigkeiten meinen, nicht gut genug zu sein und befürchten, dies würde über kurz oder lang „ans Licht kommen“. Gerade für manch frischgebackene Einzelanwälte oder -anwältinnen (buchstäbliche „Einzelkämpfer:innen“) wäre daher ein regelmäßiger fachlicher Austausch oder eine Art begleitendes Coaching oder Mentoring enorm gewinnbringend.
Während die einen Angst haben, Fehler zu begehen, gibt es wiederum andere, die jegliche Kritik an sich abperlen lassen, über jeglichen Selbstzweifel erhaben und völlig unreflektiert sind.
Ob nun übertriebene Angst oder der Mangel jeglicher Kritikfähigkeit, die Krux liegt in der fehlenden Reflexion des eigenen Tuns samt möglicher Schwächen in einer Branche, wo Fehler enorme Auswirkungen haben können.
Blick über den Tellerrand
Ähnlich bedeutsam wie bei Juristinnen und Juristen sind Fehler in Branchen wie der Luftfahrt oder der Medizin. Im Gegensatz zur Juristerei können dort jedoch schon kleine Fehler gravierende Konsequenzen für Leib oder Leben haben. Zudem ist nicht nur der Geist von Pilot:in oder Chirurg:in Handwerkszeug, sondern stets im komplexen Zusammenspiel mit Instrumenten, engen Zeitfenstern und Wirtschaftlichkeitsaspekten. Die Verantwortung ist also enorm hoch. Regelmäßige Simulationen und Trainings sollen helfen, mit außergewöhnlichen Situationen in der Luft oder im OP klarzukommen.
Fehlerkultur braucht Gesprächskultur
Die Implementierung einer Fehlerkultur unter Anwältinnen und Anwälten ist aus verschiedenen Gründen (teils Branche, teils Ego) nicht ganz einfach. Eine offenere Gesprächskultur in den Kanzleien ist hierfür wohl unabdingbar; vielleicht auch der Mut zu etwas mehr Authentizität. Auch das Zwischenmenschliche spielt eine oft noch unterschätzte Rolle und Optimierungsbedarf besteht sowohl im Umgang mit Rechtsanwaltsfachangestellten als auch mit Mandanten oder Mandantinnen (Stichwort Empathie und Kommunikation).
Wenn jeder Einzelne versucht, sich regelmäßig kritisch zu hinterfragen, bewusster zu kommunizieren, Feedback einzuholen und damit auch umgehen lernt, wären erste wichtige Schritte getan.
Julia Torner hat Rechtswissenschaft in Hamburg studiert und das Referendariat im Rheinland absolviert. Nach einem Umzug in die Hauptstadt war sie zuletzt einige Jahre bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin beschäftigt. Seit 2018 ist Julia Torner freie Autorin und schreibt Texte für Rechtsanwält:innen.
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