Wie sieht Legal Project Management in der Praxis aus? 3 Beispielfälle
Teil I: Legal Project Management in der Praxis: So arbeiten Sie effizienter und besser – Teil 1
Rechtsanwältin A hilft ihrem Mandanten zu verstehen, was seine Firma wirklich braucht
Rechtsanwältin A wurde von der Alpha GmbH, einem mittelständischen Hersteller für Medizinprodukte, mit der Vertretung in einem Rechtsstreit beauftragt. Die Lagerhaltung sowie die Logistik des Versands dieser Produkte ist recht aufwändig. Um im Markt mithalten zu können, hat Alpha GmbH im vergangenen Jahr ein neues, IT-gestütztes Logistiksystem eingeführt. Beteiligte waren, neben der Geschäftsleitung der Alpha GmbH, ein IT-Berater sowie drei Lieferanten von Hardware, Software sowie WiFi-Ausrüstung. Die Einführung ging jedoch schief: So gut wie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Alpha GmbH mussten großen Zusatzaufwand betreiben (händisches Einpflegen von Daten, Betreiben des alten und neuen Systems gleichzeitig, Fehlersuch und -behebung, Vertrösten irritierter Kunden etc.). Das neue System arbeitet noch heute nicht mit der im Medizinproduktebereich erforderlichen Zuverlässigkeit. Dabei sind finanzielle Verluste und viel Frustration unter den Mitarbeitern entstanden. Wo genau der schwarze Peter liegt, ist unklar. Der Gründer und Geschäftsführer der Alpha GmbH sieht diesen beim IT-Berater und möchte diesen auf Schadensersatz verklagen.
Mit „Scoping“ den Grundbaustein für LPM legen
Rechtsanwältin A hat sich im Legal Project Management fortgebildet und weiß daher, wie wichtig es ist, zu Beginn eines Mandats die richtigen Fragen zu stellen (sog. Scoping). Sie hat daher eine Liste mit Fragen von zentraler Bedeutung für das Erstgespräch mit dem Geschäftsführer vorbereitet, um das Problem hinter dem juristischen Problem zu durchdringen und um Räume für alternative Lösungen auszuloten. Ganz oben auf ihrer Liste stehen Fragen wie: „Wie definieren Sie Erfolg in diesem Streit?“, „Wenn das nicht zu erreichen ist, was wäre für Sie eine gute Alternative?“, „Was an dieser Sache lässt Sie nachts nicht schlafen?“. A nimmt sich die notwendige Zeit für diese und weitere wertschöpfende Fragen, obwohl der Geschäftsführer darauf drängt, doch bitte schnellstens eine Klage gegen den IT-Berater vorzubereiten.
A zeigt ihm daraufhin eine Prozesslandkarte für Schadensersatzprozesse vor dem Landgericht, die sie vorbereitet in der Schublade liegen hat. Sie hebt dabei besonders hervor, in welchen Stadien und in welchem Umfang die aktive Mitarbeit der Alpha GmbH gefordert ist, um den gewünschten Erfolg zu erreichen (Finden und Aufbereiten von Dokumenten, E-Mail-Korrespondenz und technische Spezifikationen, Treffen mit A zur Ermittlung des Sachverhalts, Gegenlesen der Schriftsatzentwürfe, Zeugenaussagen etc.).
Kommunikation zwischen Interessenparteien fördern
Nach diesem Erstgespräch und nach einer Analyse der Rechts- und Beweislage durch A erarbeiten A und der Geschäftsführer gemeinsam eine Strategie, die im Kern darauf hinausläuft, den IT-Berater in die Lösung der noch bestehenden Probleme einzubeziehen und mit ihm zusammen Ansprüche gegen die drei Zulieferer vorzubereiten und ggf. gerichtlich durchzusetzen. Der Geschäftsführer schläft auch wieder besser, seit sich der IT-Berater zusammen mit ihm einem Treffen mit der gesamten Belegschaft gestellt hat, um sowohl Beschwerden entgegen zu nehmen als auch einen Ausblick auf die Lösung zu geben. Bei seinem nächsten Treffen im Rotary-Club erwähnt der Geschäftsführer A lobend: „Gute Frau. Erst wäscht sie Dir den Kopf und dann findet sie ´ne Lösung.“
Eingesetzte Werkzeuge aus der LPM-Werkzeugkiste (zusätzlich zur juristischen Analyse):
- Frageliste für den Scoping-Dialog und Nachverfolgung der dabei zu Tage geförderten Informationen
- Prozesslandkarte
- Viel Kommunikation
Rechtsanwältin B zeigt ihrem Mandanten die Grenzen rechtlicher Lösungen auf und kommuniziert auf Augenhöhe
Rechtsanwältin B trifft einen neuen Mandanten X, der das Testament seines Vaters nach dessen Tod anfechten möchte. Der Umfang des Nachlasses ist beträchtlich. X ist der Sohn des Erblassers aus erster (geschiedener) Ehe. Er fühlt sich durch das Testament finanziell benachteiligt gegenüber seinen Miterben, dem Sohn des Erblassers aus zweiter Ehe und dessen Frau. Er äußert den Verdacht, dass diese den Erblasser beeinflusst haben.
Rechtsanwältin B hat ebenfalls Elemente des LPM in ihre Beratungspraxis übernommen. Selbstverständlich legt auch sie großen Wert auf den sog. Scoping-Dialog zu Beginn ihrer Beratung und hat eine Frageliste vorbereitet. Für sie ist es besonders wichtig, dass eigentliche Problem hinter dem juristischen Problem zu verstehen. Ihre nachforschenden Fragen fördern zu Tage, dass X schmerzhafte Gefühle mit sich herumträgt: sowohl Trauer über den Verlust der Ursprungsfamilie durch Scheidung als auch Wehmut darüber, im Erwachsenenalter so wenig Kontakt zu seinem Halbbruder, seinem einzigen noch lebenden Verwandten, gehabt zu haben. Die Anwältin B erörtert die Voraussetzungen, Konsequenzen und Risiken einer möglichen Testamentsanfechtung mit X. Sie macht dabei die Grenzen eines rechtlichen Vorgehens für X deutlich: keine Erbschaft wird den Verlust der Ursprungsfamilie in der Vergangenheit kompensieren können und eine Anfechtung wird das Verhältnis zu Xs Halbbruder wohl kaum zum Positiven beeinflussen. In der Sprache des Projektmanagements ausgedrückt: Anwältin B betreibt Erwartungsmanagement.
Erwartungen mit Mandanten abklären
Darüber hinaus fragt B ihren Mandanten X nach seinem bevorzugtem Kommunikationsstil: X hat ein sehr großes Bedürfnis, ständig auf dem Laufenden gehalten zu werden und bevorzugt wegen seiner schlechten Augen Telefonanrufe. B erstellt daher einen minimalistischen Kommunikationsplan, der darauf hinausläuft, dass ihre Sekretärin X jeden Freitag zwischen 14.30 und 15.00 Uhr anruft, um ihm in aller Kürze den aktuellen Stand und die nächsten Schritte durchzugeben. Da die Sekretärin diese Aufgabe fröhlich und zuverlässig wahrnimmt, sieht X von Anfragen ab und B kann sich in Ruhe ihren übrigen Mandanten widmen.
Feedback-System einführen
X entscheidet sich nach reiflicher Überlegung zur Anfechtung des Testaments. Seine Erwartungen sind dank Bs deutlicher Informationsweitergabe realistisch. Das Nachlassgericht lehnt die Anfechtung ab. B ruft X zwei Tage später an und bietet ihm ein Gespräch zur Auswertung an. Hierzu hat sie ein paar kurze offene Fragen vorbereitet: „Was wollen Sie jetzt tun?“, „Was hat Ihnen an unserer Beratung gefallen?“, „Was hätten wir besser machen können?“. Es zeigt sich, dass X zwar tief enttäuscht über den Ausgang des Verfahrens ist, sich aber sehr gut begleitet fühlt und keine Verbesserungsvorschläge an die Kanzlei hat. Bs Rechnung begleicht er pünktlich.
Eingesetzte Werkzeuge aus der LPM-Werkzeugkiste (zusätzlich zur juristischen Analyse):
- Frageliste für den Scoping-Dialog
- Erwartungsmanagement
- Kommunikationsplan
- Auswertungsgespräch mit dem Mandanten
Syndikusanwalt C führt erfolgreich eine interne DSGVO-Überprüfung seines Unternehmens durch und erarbeitet sich dadurch Respekt
C ist 30 Jahre alt und seit September 2017 der einzige Jurist der Ceto GmbH. Zu Beginn des Jahres 2018 erhält er von der Geschäftsleitung den Auftrag, die Ceto GmbH „DSGVO-fit“ zu machen. Ein Budget für beispielsweise externe Unterstützung erhält er nicht. C darf jedoch eine Fortbildungsveranstaltung zur DSGVO besuchen und setzt durch, auch einen LPM-Workshop machen zu dürfen.
Welche Interessenlagen umfasst das Projekt?
Besonders interessant für seine Zwecke erscheint ihm die Stakeholder-Analyse, ein Werkzeug zur Identifikation und Gruppierung der Interessenten an einem Projekt. Durch dieses Werkzeug stellt er fest, dass er es im Unternehmen mit sehr vielen Interessenten zu tun hat, die teilweise auch einander widerstreitende Interessen haben: Personalabteilung, Buchhaltung, Marketing, die Finanzchefin, der Geschäftsführer, die Leiterin der IT-Abteilung sowie die IT-Mitarbeiter. Dies hilft C sehr bei seinen Überlegungen, wann er mit wem worüber sprechen muss, um die DSGVO-Überprüfung zu verankern und voran zu treiben. Die Offenlegung der Interessenten macht darüber hinaus deutlich, wo im Unternehmen überall personenbezogene Daten verarbeitet und gespeichert werden, was die Grundlage für die rechtliche Analyse liefert.
Welches Tool eignet sich für das Projekt?
C ist auch sehr fasziniert von den Möglichkeiten, welche die Methode Kanban bietet, um Arbeitsströme zu visualisieren und Verantwortlichkeiten deutlich zu machen. Er sieht dieses Werkzeug als den Schlüssel, um sein DSGVO-Projekt erfolgreich stemmen zu können. Er beschafft sich daher Klebezettel in verschiedenen Farben und mitteldicke Filzstifte. Aus mehreren aneinandergeklebten Flipchart-Bögen hat C sich schnell eine große Kanban-Tafel gebastelt (C versucht gar nicht erst, die Anschaffung entsprechender Software intern durchzusetzen, da er schnell in die Gänge kommen will. Über geeignete Apps kann man später noch reden.) Auf der Kanban-Tafel bildet C nun alle Arbeitsströme in Tabellenform ab. Jeder Arbeitsstrom bekommt eine eigene Spalte. Dann wird jede Spalte nochmals unterteilt in „To Do“ und „Done“. Die „To Do“-Spalten werden dann mit Aufgaben befüllt, jeweils ein Klebezettel pro zu erledigender Aufgabe. Fristen werden rot eingetragen. Jeder zuständigen Abteilung oder Person werden Klebezettel einer bestimmten Farbe zugewiesen. Erledigte Aufgaben werden von der dafür verantwortlichen Person nach „Done“ verschoben.
C nimmt seine Kanban-Tafel zu jeder Projektbesprechung mit. Anfangs noch belächelt, wird allen schnell klar, wie wichtig die Tafel für das Projekt ist: Zum einen ist für alle auf einen Blick deutlich zu erkennen, was schon erledigt bzw. noch zu tun ist. Je mehr Klebezettel auf „Done“ gesetzt werden, desto besser wird die Stimmung im Projektteam. Zum anderen ist auch für alle deutlich erkennbar, welche Aufgaben dem Zeitplan hinterherhinken und wer für diese zuständig ist. Auch dieser Umstand beflügelt die Mitglieder des Projektteams, da keiner derjenige sein möchte, der den Arbeitsablauf aufhält.
C hat sich durch die erfolgreiche Durchführung des DSGVO-Projekts Respekt im Unternehmen erarbeitet und macht sich nun Gedanken darüber, welche internen Arbeitsabläufe er verändern möchte, um als Unternehmensjurist früher einbezogen zu werden und seine Kolleginnen und Kollegen besser beraten zu können.
Eingesetzte Werkzeuge aus der LPM-Werkzeugkiste (zusätzlich zur juristischen Analyse):
- Stakeholder-Analyse
- Kanban-Tafel
- Regelmäßige Projektbesprechungen
- Viel Kommunikation
Zusammengefasst: Welche Vorteile bringt Legal Project Management?
- Probleme lösen: Sie können Mandanten zielgenau beraten und deren Erwartungen besser im Blick behalten, da Sie das Ziel eines juristischen Projekts und den Umfang Ihres Auftrags sorgfältig geklärt haben.
- Kostendeckend arbeiten: Sie behalten die Kostenentwicklung im Griff, indem Sie sich und Ihren Auftraggebern einen Überblick über die zu erledigenden Arbeitsschritte verschaffen.
- Teamzufriedenheit fördern: Sie verringern Risiken, reduzieren Fehlerquellen und bauen Stress ab, weil Sie Ihre Arbeit und die Ihrer Mitarbeiter/innen und Kollegen/innen besser planen und effizienter erledigen.
- Mandanten binden: Sie binden Ihre Mandanten und Ihr Team näher an sich, indem Sie regelmäßig die Initiative für Auswertungen ergreifen und Arbeitsabläufe optimieren.
Demnächst auf mkg-online.de: Am 10. Oktober 2019 erscheint das MkG Spezial „Die Anwaltskanzlei als erfolgreiches Unternehmen – Kompaktanleitung für mehr Gewinn, Innovation und Nachhaltigkeit“!