Den Aufbau und das Betreiben einer Kanzlei stellt viele Herausforderungen an Anwältinnen und Anwälte – die allermeisten haben jedoch nichts mit den beiden Examina zu tun, die zur Berufsausübung nötig sind. Die Zeiten des Telefonbuchs sind vorbei und das gute alte Messingschild an der Tür reicht auch nicht mehr. Also ist mehr Eigeninitiative durch Sie gefragt!
Deshalb passiert meist nichts
Fristen, Aktenberge und dazu noch die Weiterbildung fordern einen komplett. Sie arbeiten nur IN aber kaum AN der Kanzlei? Was dann regelmäßig auf der Strecke bleibt: das gezielte Neugeschäft, um aus dem Hamsterrad auszubrechen. Kaum ein Thema hat aber eine so große Auswirkung auf den dauerhaften Erfolg!
Warum ist Vertrieb für Kanzleien relevant?
Die „traditionelle“ anwaltliche Tätigkeit war eher reaktiv: Eine Kanzlei ist in der Region aktiv, deckt die meisten Themen ab und wer ein Problem hat, geht dort hin. Diese Welt steht jedoch vor einer grundlegenden Zäsur und wird mit den Hauptvertretern innerhalb der nächsten fünf Jahre in Ruhestand gehen. Gefragt sind Spezialistinnen und Spezialisten, die im gefragten Umfeld besondere Kompetenzen nachweisen und das am besten mit Branchenkenntnis garnieren können. Da der potenzielle Mandant die Wahlentscheidung trifft, ist es wichtig, ihn in seiner Welt abzuholen! Wenn Ratsuchende merken: „Da versteht mich einer!“ – dann haben Sie Ihren Job gemacht! Das nennt man „Message Market Fit“.
Direkter und indirekter – aktiver und passiver Vertrieb
Keine Angst, die Begriffe sollen Ihnen keine Angst machen. „Viele Wege führen nach Rom“ gilt ebenso für den Vertrieb – wichtig ist nur, dass Sie gehen! Passiver Vertrieb ist der Königsweg: Lassen Sie andere über sich und Ihre Leistung reden. Das wirkt verkaufspsychologisch am stärksten! Begeisterte Mandanten erzählen privat und beruflich von ihrer Erfahrung oder hinterlassen positive Rezensionen in Portalen. Die Wirkung ist immens und sollte stark gefördert werden. Trauen Sie sich, begeisterte Mandanten auf das Schreiben einer Rezension anzusprechen! Einziger Haken: Sie können es nicht erzwingen.
Also werden Sie aktiv! Der Unterschied zwischen direkt und indirekt besteht darin, wie Sie Kontakt zur Zielgruppe erhalten. Direkt dürfte klar sein: Sie suchen den direkten Kontakt zur Zielgruppe. Der indirekte Ansatz ist jedoch häufig eine elegantere Art des Vertriebs, da hier Intermediäre – sogenannte Zielgruppeninhaber – genutzt werden. Später mehr dazu.
Wichtig ist, sich dieser Kanalansätze bewusst zu werden und sie – gerne in Kombination – zu nutzen.
Strategische Vorbereitung
Welche Zielgruppe soll erreicht werden?
Hoffentlich ist Ihre Antwort nicht „Alle“! Der Weg zum Erfolg besteht nämlich in der Fokussierung. Überlegen Sie sich genau, wen Sie erreichen und welche Themen Sie vertreten wollen. Je konkreter und spezieller das ist, desto besser. Einzige Begrenzung stellt die Größe der Nische und deren Marktvolumen dar. Ein Beispiel: Arbeitgeberanwalt für Handwerksunternehmen mit zehn bis 100 Mitarbeitern.
Wo drückt der Schuh?
Sie erreichen Menschen, indem Sie sich in Sie hineinversetzen. Was bewegt einen potenziellen Mandanten, mit Ihnen in Kontakt zu treten? Sie verstehen seinen Schmerz! Der „pain“ ist folglich der Schlüssel, auf dem Sie aufbauen. Ihre Formulierung muss aus der Sicht des Mandanten den erwähnten „Message Market Fit“ erfüllen.
Was macht Sie einzigartig?
Um beim o. g. Beispiel zu bleiben – Arbeitsrecht kann (fast) jeder! Warum sollte ein Mandant dann zu Ihnen kommen? Hier kommt der USP ins Spiel! Nein, nicht der Paketdienst, sondern Ihr Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Proposition) – einfach nur Arbeitsrecht wird das wohl nicht sein. Es geht dabei darum, Ihre Persönlichkeit mit Ihrer Fach- und Branchenkenntnis zu „verheiraten“, damit etwas ganz Spezielles herauskommt – Ihre Alleinstellung.
Take your time!
Wie bei allen strategischen Themen müssen Sie insbesondere den Vertrieb als Dauerthema auf dem Schirm haben. Planen Sie mittel- bis langfristige Vertriebsziele (qualitativ und quantitativ) ein. Wichtiger Meilenstein ist hierbei, den „Fuß in die Tür zu bekommen“. Zum wem brauchen Sie dringend einen Zugang, welche Plattform ist strategisch relevant?
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Direkter Vertrieb: Mandantenakquise und -pflege
Online-Strategien:
Aufbau und Optimierung der Kanzlei-Website
Der Aufbau Ihrer Homepage ist wichtig und eines sollten Sie berücksichtigen: Ihre Zielmandanten sollten keine „kognitive Dissonanz“ verspüren. Wenn Sie auf der Seite klassisch im Kostüm abgebildet sind und in „wirklichen Leben“ nur salopp in Freizeitkleidung auftreten, kann das Verluste erzeugen. Versuchen Sie sich so zu geben, wie Sie eigentlich sind. Jeder wird verstehen, wenn Sie „real“ eine Stufe tiefer stehen – nicht aber drei Stockwerke!
Suchmaschinenwerbung und Paid Ads für Rechtsdienstleistungen
Das sollten Sie erst angehen, wenn Ihre Homepage „passt“, um möglichst wenige „Reibungsverluste“ in der Conversion zu produzieren. Wenn Sie top ausgerichtet sind, kann Ihnen diese Möglichkeit ein gutes Grundrauschen bescheren. Je nachdem, welches Thema Sie bewerben, können die Preise jedoch auch massiv variieren! Ein Klassiker ist Arbeitsrecht, wo Sie in Großstädten teilweise zweistellige EUR-Beträge für einen Klick rechnen müssen. Es ist also eine Frage des Geldes.
Social Media: LinkedIn, Facebook und Instagram sinnvoll nutzen
Je nachdem, welche Zielgruppe Sie bedienen, können die oben genannten Kanäle sehr hilfreich in der zielgerichteten Ansprache genau Ihrer Zielgruppe sein. Durch die Kombination von eigenem Auftritt (passiv), Content-Creation und aktiver Ansprache lassen sich teilweise verblüffend gute Ergebnisse erzielen. Vergessen Sie aber eines nicht – und das ist essentiell: Die Kontakte auf den Plattformen gehören nicht Ihnen, sondern dem Plattformbetreiber. Wenn Sie also aus irgendeinem Grund nicht mehr auf der Plattform vertreten sind, sind auch alle Kontakte weg!
Newsletter und individualisierte Ansprache
Eine Lösung kann daher die Überführung Ihrer Kontakte in Ihr eigenes Netzwerk sein. Diese Kontakte nimmt Ihnen keiner weg. Durch Newsletter oder die Überführung im Rahmen von Webinaren etc. lässt sich dies gut gestalten.
Offline-Strategien:
Schmerzpunkte identifizieren
Wenn Sie Ihre Arbeit gemacht haben, dann sind Sie in der Lage, jederzeit den Schmerzpunkt Ihres Mandanten zu spüren. Wenn Sie seinen Schmerz kennen, haben Sie immer Ihr Schmerzmittel dabei – Ihre juristische Erfahrung! Denken Sie also immer daran, „die Brille Ihres Mandanten“ aufzuhaben: Formulieren Sie aus seiner Sicht. Wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben und den „Schmerz“ Ihres Kunden kennen, ist es Zeit für Ihren „Product-Market-Fit“, dem „Schmerzmittel“ für die Probleme des Mandanten. Passt wie ein Maßanzug und zeigt, dass Sie ihr Handwerk verstehen!
Teilnahme an Netzwerktreffen oder Messen
Nirgendwo haben Sie eine höhere Dichte von Angebot und Nachfrage. Nutzen Sie Messen deshalb aktiv zur Ansprache, selbst wenn Sie nicht mit einem Stand vertreten sind. Denken Sie daran, dass Menschen dort sind, um geschäftlich aktiv zu sein. Bieten Sie Mehrwert gemäß der beschriebenen Methode!
Nutzung von Fachmedien
Bauen Sie Kontakt zu wichtigen Magazinen auf. Ein Fachartikel oder redaktioneller Beitrag, die Teilnahme an einem Interview oder Podiumsdiskussion wirkt Wunder! Bieten Sie aktiv Unterstützung oder Ideen zu aktuellen Themen an. Redaktionen sind dankbar für so etwas!
Erfolgsbeispiele und Best Practices
Wenn Sie auf potenziell interessante Mandanten treffen, stellen Sie diesen die richtige Frage. Das ist niemals „Brauchen Sie einen Anwalt für Verkehrsrecht / Arbeitsrecht / Lebensmittelrecht…“. Stellen Sie lieber Fragen nach konkreten Schmerzpunkten, z. B. „Machen Ihnen Mitarbeiter durch Krankfeiern Kummer?“ oder „Haben Sie Verluste durch zahlungsunwillige Auftraggeber?“.
Wenn Sie den Schmerzpunkt des Ansprechpartners treffen, dann wird er „lossprudeln“ und seine aktuellen Sorgen und Ärgernisse schildern. In diesem Moment ist er gespannt auf Ihre Lösungsansätze und wird Ihnen aufmerksam zuhören. Eine optimale Chance!
Im zweiten Teil der Artikelreihe dreht sich alles um den indirekten Vertrieb: Erfahren Sie, wie Sie gezielt Kontakte zu Zielgruppeninhabern aufbauen.
Bild: Canva/©niwa