Nein! Jetzt soll also auch die hochindividuelle rechtliche Beratung auf dem Altar des Profits geopfert werden und „ökonomisiert“ werden. Recht gar als Produkt?! Warum das einen zweiten Blick wert ist, erfahren Sie im folgenden Artikel, in welchem wir die Facetten dieses Themas detailliert betrachten.
1. Die alte Welt: Beratung als Stundenware
Die klassische Rechtsberatung wurde über die Jahrzehnte nach einem Modell abgerechnet, welches nicht immer gleich blieb. Die dominante Abrechnungsart war lange Zeit das RVG, jener Rechtsrahmen, der es den Berufsträgern und Berufsträgerinnen ermöglichte, ohne Diskussion mit der Mandantschaft das entsprechende Entgelt für die erbrachte Leistung zu beziehen. Da es sich ja um eine rechtliche Regelung handelte, musste man eigentlich nicht diskutieren.
Die große Schwäche des Pauschalbetrages des RVG, der sich am fixen Streitwert orientiert, liegt jedoch in der Entkoppelung vom erbrachten Einsatz für diesen Pauschalbetrag. Platt gesprochen wird jede zusätzlich investierte Stunde schlechter vergütet als die vorherige, weswegen in den letzten Jahrzehnten eine weitere dominante Abrechnungsart entstand – die Zeitabrechnung, welche die große Schwäche des RVG aufnimmt, und Mehrarbeit gleichbleibend auskömmlich entlohnt. Wie so häufig, besteht aber eine Kernschwäche, diesmal für den Mandanten: Jeder kennt es, wenn man auf Reisen in ein Taxi einsteigt: Ist der Taxifahrer fair und fährt mich auf dem kürzesten Weg zum Ziel oder werden großzügige Umwege gefahren, um das Taxameter hochzutreiben, da ich mich ja in der Gegend nicht auskenne?
Das Modell Zeitabrechnung kommt entsprechend heute zunehmend unter Druck:
Es klingt zwar vertraut, kommt aber mit Tücken:
- Die Mandantschaft weiß eben häufig nicht, wieviel sie am Ende zahlen muss.
- Ist die Abrechnung intransparent, sodass ein Mandant die Größenordnung der Kosten nicht einschätzen kann, kann das zur Unwirksamkeit führen.
- Anwältinnen und Anwälte verdienen mehr, je länger etwas dauert – was den Eindruck von Ineffizienz fördert.
- Wissen wird in Einzelfällen verschenkt, statt systematisch nutzbar gemacht.
Kurz: Das Modell ist intransparent, schwer skalierbar und in einer digitalisierten Welt schlicht nicht mehr zeitgemäß. Mandantinnen und Mandanten werden auch zunehmend mündiger und können Arbeitsaufwände heute deutlich besser als noch vor zehn Jahren einschätzen.
2. Der Druck von außen
Die Mandantschaft ist eben heute informierter, preissensibler und fordert Verlässlichkeit.
Sie erwartet dieselben Standards, die sie aus anderen Branchen kennen: klare Produkte, transparente Preise, definierte Leistungen.
Parallel dazu wächst der Wettbewerb: Legal Tech-Unternehmen bieten standardisierte Services über Plattformen an, internationale Kanzleien schnüren globale Servicepakete, und selbst mittelständische Unternehmen bauen eigene Legal-Teams auf. Von der Kanzlei „Dr. KI & Partner“ kommen zunehmend auch immer mehr handfeste „Abwerbeversuche“ und machen es deutlich schwerer, Intransparenz zu rechtfertigen.
Wer hier als Kanzlei überleben will, braucht Antworten.
3. Der Weg zum Rechtsprodukt
Die Lösung: Rechtsberatung zu Rechtsprodukten weiterentwickeln.
Das heißt: Leistungen werden so strukturiert, dass sie wiederholbar, transparent und für die Mandantschaft klar erfassbar sind.
Ein entscheidender Punkt zuallererst: Ein Rechtsprodukt ist keine „abgespeckte Beratung“, sondern eine bündelbare Leistungseinheit, die folgende Kriterien erfüllt:
- Definierter Nutzen: klarer Problem-Lösungs-Bezug. Somit der Kern Ihres Product-Market-Fits.
- Standardisierte Prozesse: was im Kern immer gleich abläuft, wird standardisiert.
- Transparente Preisgestaltung: Pauschale, Paket oder Abo – Hauptsache nachvollziehbar. So können Sie die – im Kern gleiche – Dienstleistung zu drei verschiedenen Preisen anbieten und lassen die Mandantschaft entscheiden.
- Wiederholbarkeit und Skalierung: nicht einmalig, sondern mehrfach verkaufbar. Und jedes Mal weniger fehlerbehaftet und schneller durch Lernkurveneffekte. Das ist Effizienz bei der Arbeit!
Beispiele:
- Arbeitsrecht: Paket „Kündigung rechtssicher gestalten“ zum Festpreis.
- Gesellschaftsrecht: Standardisiertes Gründerpaket mit Satzung, Verträgen, Registrierung.
- Compliance: Abo-Modell zur regelmäßigen Aktualisierung von Richtlinien.
Wie das in der Praxis aussehen kann, erfahren Sie beispielsweise auf der Kanzleiwebsite von Start-up-Anwalt Nils Bremann, der verschiedene Rechtsberatungspakete für Gründerinnen und Gründer anbietet.
Wo bleibt denn da die Individualität – fragen Sie sich? Jedes Testament, jeder Vertrag etc. ist doch anders! Ja, das stimmt natürlich – es geht jedoch darum, die Struktur so anzulegen, dass nur noch die variablen Anteile adaptiert werden müssen. D. h. Sie verlegen den Großteil der fachlichen Arbeit VOR die Beauftragung und denken alle Prozessschritte vorher durch. An welchen Punkten gibt es Abweichungen zum Standard und wie können diese aussehen?
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4. Vorteile für die Mandantschaft
Mandanten und Mandantinnen gewinnen gleich mehrfach:
- Kostensicherheit: keine Überraschungen, klare Preise – für B2B wie B2C gleichermaßen verlockend.
- Planbarkeit: Sie wissen, welche Leistung sie erhalten und welche nicht. Zur Differenzierung gerne auch noch mit Produktvarianten (Basis/ Standard / Premium).
- Geschwindigkeit: Standardisierte Prozesse verkürzen die Bearbeitungszeit und sind somit als Produktmerkmal verlässlich kommunizierbar.
- Vertrauen: Ein Produkt wirkt verbindlicher als eine „offene Beratungsstunde“ oder eine Zusammenarbeit mit offenem Ausgang. Ein Produkt ist klar beschrieben und somit einforderbar wie eine Abhakliste.
5. Vorteile für Kanzleien
Für Kanzleien ist der Schritt entscheidend:
- Skalierung: Wissen wird nicht jedes Mal neu erbracht, sondern effizient genutzt. Es können ggf. (Teil-) Schritte durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne zwei Examen erbracht werden.
- Fehlerquote: Durch standardisierte Wiederholung werden Fehlerquellen konsequent identifiziert und ausgeschaltet.
- Profitabilität: Margen steigen deutlich, wenn Prozesse verschlankt und mehrfach verkauft werden.
- Markenbildung: Produkte können Namen und Wiedererkennungswert entwickeln.
- Mitarbeiterentlastung: Junge Anwältinnen und Anwälte lernen schneller, wenn sie in klaren Strukturen arbeiten. So können Sie leichter Tätigkeitsfelder zuweisen und diese mit aufgebauter Kompetenz bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach oben anpassen.
6. Typische Einwände – und ihre Antworten
Viele Anwältinnen und Anwälte bekommen bei dem Thema Bauchschmerzen:
- „Aber jedes Mandat ist individuell!“
Das stimmt zwar teilweise, jedoch folgen 70–80 Prozent aller Fälle Mustern. Das lässt sich standardisieren, ohne die individuelle Beratung zu vernachlässigen. - „Produkte entwerten unsere Fachkompetenz!“
Falsch. Produkte machen fachspezifische Kompetenz wie unter einer Lupe erkennbar! Statt „unsichtbar“ im Beratungsprozess bleibt sie als klar definierte Leistung bestehen und hebt sich von Ihren meisten Wettbewerbern ab. - „Unsere Mandanten erwarten individuelle Lösungen.“
Auch richtig. Aber oft erwarten sie beides: ein Produkt als Basis – und individuelle Beratung on top.
7. Wie der Umstieg gelingt
Der Weg von der Beratung zum Produkt braucht Struktur:
- Positionierung: Durch Verengung des Leistungsspektrums entstehen konsequent Tätigkeitsschwerpunkte.
- Analyse: Welche spezifischen Leistungen wiederholen sich? Wo entsteht Routine? Steigert sich die Wiederholgenauigkeit?
- Design: Welche Module lassen sich in Pakete schnüren? Wenig Mandanten-Interaktion führt zu geringerer Differenzierung und eignet sich besonders für Standards.
- Prozesse: Wie standardisieren Sie Dokumente, Abläufe, Kommunikation? Welche Schritte sind zu verfolgen, wann treffen Sie separierende Entscheidungen?
- Preisstrategie: Wenn Sie Ihren Aufwand kennen, ist der Festpreis nicht mehr weit. Es gilt die Regel: Weg von Stunden, hin zu Wert (Value Pricing, Festpreise, Abos).
Vermarktung: Produkte brauchen Namen, Landingpages, klare Kommunikation. Nicht „unsere Rechtsgebiete“ sondern eindeutige Sprache, ausgerichtet an den Schmerzpunkten der potenziellen Mandanten („Vom Pain zum Gain“).
8. Ein Kulturwandel
Die Umstellung ist nicht nur Technik, sondern vor allem Kultur, wenn nicht gar Philosophie.
Anwältinnen und Anwälte sollten lernen, künftig deutlich stärker als Unternehmer bzw. Unternehmerin zu denken: nicht nur im Einzelfall beraten, sondern Leistungen wie Produkte entwickeln, positionieren und verkaufen.
Das bedeutet:
- Mehr Mut zur Standardisierung.
- Mehr Klarheit in der Kommunikation.
- Mehr Unternehmertum im Kanzleialltag.
Das bedeutet eben auch, dass Vertrieb (horribile dictu!) etwas ist, mit dem sich die Anwaltschaft anfreunden kann. Das fällt vielen sehr schwer, wurde einem nicht früher meistens noch gesagt, dass der Mandant den Anwalt oder die Anwältin aufsuchen müsse? Muss er das? Ja, denn wenn Sie ein solch attraktives und klar abgegrenztes Leistungsversprechen offerieren, führt kein Weg an Ihnen vorbei und Vertrieb verliert sofort den Schrecken des Negativen!
Fazit: Rechtsprodukt statt Stundenzettel
Die Zukunft der Rechtsberatung liegt nicht im Stundenzettel. Sie liegt darin, Rechtswissen in skalierbare, transparente und wiederholbare Produkte zu verwandeln. Mandanten fordern das. Der Markt bewegt sich dahin. Und Kanzleien, die heute umdenken, sichern sich morgen den entscheidenden Vorsprung.
Schärfen Sie klar Ihre Mehrwertkommunikation! Kaum eine Mandantin akzeptiert heute noch ein „schau’n mer mal, dann seh’n wir schon“, wenn es darum geht, Recht zu bekommen. Ein klares Leistungsversprechen zu klaren Konditionen lässt sich deutlich besser verkaufen.
Oder zugespitzt gesagt:
Die Frage ist nicht, ob Rechtsberatung zu Rechtsprodukten wird.
Die Frage ist nur: Wer macht den ersten Schritt – und wer bleibt zurück?
Je früher Sie konsequent umsetzen, desto klarer werden Sie als entschiedener, schneller und verlässlicher Umsetzer wahrgenommen.
Götz F. Vinnen ist Geschäftsführer und Gründer von viax consulting. Als Wachstumsberater für Anwälte und Notare verhilft er diesen zu einer planbaren Kanzleientwicklung. Der studierte Betriebswirt und MBA berät Kanzleien im DACH-Raum bei Fragen zu Business Development, Positionierung, Kennzahlenentwicklung und Pricing.









