Ab Februar 2025 traten neue Regelungen der EU-Verordnung zur Künstlichen Intelligenz (KI-VO) in Kraft, die Unternehmen dazu verpflichtet, die KI-Kompetenz ihrer Mitarbeitenden sicherzustellen. Für Kanzleien stellt sich hier die Frage: Wie müssen wir uns auf diese Verpflichtungen vorbereiten? Welche rechtlichen Implikationen ergeben sich für die Praxis und welche Haftungsrisiken müssen wir minimieren? Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Aspekte und gibt Orientierung, wie sich die neue Vorschrift in der Praxis umsetzen lässt.

Welche Kanzleien sind betroffen?

Mit der Einführung des Artikels 4 der KI-Verordnung, die bereits im Februar 2025 wirksam geworden ist, verpflichtet die EU Arbeitgeber zur Sicherstellung eines angemessenen Niveaus an KI-Kompetenz ihrer Mitarbeitenden. Dies betrifft sowohl Anbieter als auch Betreiber von KI-Systemen.

Anbieter sind diejenigen, die selbst KI-Systeme entwickeln oder entwickeln lassen und unter ihrem eigenen Namen in Verkehr bringen oder betreiben. Dies wird nur auf einen Bruchteil der Kanzleien zutreffen.

Hingegen gelten als „Betreiber“ sämtliche Kanzleien, die fremdentwickelte KI-Systeme nutzen. Dies dürfte mittlerweile bereits eine recht große Zahl von Kanzleien betreffen. Mit ChatGPT und ähnlichen Programmen haben zwischenzeitlich bereits viele Anwält:innen erste Erfahrungen gesammelt. Teilweise setzen Mitarbeitende der Kanzlei dieses Hilfsmittel bereits für einzelne Tätigkeiten ein, nach unserer Erfahrung häufig auch ohne Kenntnis der Kolleg:innen oder Partner:innen. Teilweise mit deren stiller Duldung. Auch Microsoft Copilot erfreut sich in Kanzleien bereits einiger Beliebtheit, wenngleich der Einsatz noch verhalten ist. Von besonderer Bedeutung dürfte sein, dass mehrere Anbieter von Kanzleisoftware bereits KI-Module integriert haben, unter anderem RA-MICRO, AnnoText oder Advoware.

Wer als Anwalt oder Anwältin in der Kanzlei solche KI-Systeme einsetzt – und sei es nur sporadisch – gilt bereits als Betreiber von KI-Systemen im Sinne der KI-VO.

KI-Kompetenz als neue Arbeitgeberpflicht: Was bedeutet das konkret?

Dies hat zur Folge, dass die KI-VO der Kanzlei die Verantwortung für die Anwendung der KI überträgt. Kanzleien müssen daher sicherstellen, dass ihr Personal über die erforderliche KI-Kompetenz verfügt.

Die KI-VO definiert KI-Kompetenz dabei als die Fähigkeit, KI-Systeme sachkundig einzusetzen und die damit verbundenen Chancen sowie potenziellen Risiken zu verstehen.

Arbeitgeber:innen sind verpflichtet, sicherzustellen, dass ihre Mitarbeitenden in der Lage sind, fundierte Entscheidungen im Umgang mit KI-Systemen zu treffen. Diese Kompetenz umfasst ein breites Spektrum, welches von der technischen Nutzung über die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen des KI-Einsatzes reicht. In einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt wird es für Kanzleien daher unerlässlich, ihre Mitarbeitenden entsprechend zu schulen. Diese Pflicht zur Schulung und Qualifikation besteht unabhängig von der Größe der Kanzlei. Auch die Einzelanwältin mit nur einem Mitarbeiter ist betroffen, wenn sie auf eine Anwaltssoftware mit KI-Modulen setzt.

Wie wird „ausreichende“ KI-Kompetenz vermittelt?

Die KI-VO selbst enthält keine detaillierten Vorgaben, was genau als ausreichendes Level an KI-Kompetenz anzusehen ist. Sie schreibt auch keine konkreten Einzelpflichten oder Vorgehensweisen zur Sicherstellung vor. Vielmehr bleibt es den Arbeitgeber:innen überlassen, ein entsprechendes Schulungskonzept zu entwickeln. Hierzu müssen Kanzleien zunächst feststellen, welche konkreten KI-Module, Apps oder Anwendungen in der Kanzlei tatsächlich verwendet werden. Die Liste ist laufend zu aktualisieren. Dies bietet der Kanzlei zudem die Möglichkeit festzustellen, wo sie aktuell bei der Thematik KI steht.

Eine präzise Analyse des Bedarfs und der Anwendungen veranschaulicht den technischen Einsatz von KI in der Kanzlei und stellt die bereits vorhandenen Kompetenzen der Mitarbeitenden dar. Sie muss sich allerdings nur auf die Mitarbeitenden beziehen, welche auch tatsächlich in der Praxis mit den KI-Modulen arbeiten. Die Schulung muss sich zudem an den inhaltlichen Aufgabengebieten, also an den Berührungspunkten der Arbeitenden mit der KI orientieren. Letztlich muss die Schulung sicherstellen, dass die Mitarbeitenden in der Lage sind, die Systeme sachkundig zu bedienen und die damit verbundenen Risiken zu erkennen.

Muss ein KI-Beauftragter bestellt werden?

Die KI-VO sieht – anders als beispielsweise die DSGVO grundsätzlich nicht vor, dass ein spezielle:r KI-Beauftragte:r zu bestellen ist. Gleichwohl kann es gerade bei größeren Kanzleien unter zwei Gesichtspunkten sinnvoll sein, genau dies zu tun. Erstens kann ein:e Beauftragte:r zentral die Risikomanagementmaßnahmen planen und steuern, sowie die Schulungsmaßnahmen effektiv koordinieren. Zweitens kann er/sie bei Fragen oder auftretenden Problemen als zentrale Ansprechperson fungieren und beispielsweise gegenüber Behörden eine kompetente Ansprechperson sein.

Welche Konsequenzen drohen bei unzureichender Umsetzung?

Die neue Verpflichtung zur Sicherstellung der KI-Kompetenz ist nicht direkt mit Bußgeldern oder strafrechtlichen Sanktionen verbunden. Gleichwohl droht Kanzleien hier eine Haftung. Sollte die Kanzlei ein KI-System unsachgemäß einsetzen und sollte es dadurch z. B. zu einer Diskriminierung oder zum Eintritt sonstiger Schäden für Mandant:innen oder Dritte kommen, kann dies Haftungsfolgen entfalten. In diesem Fall werden Gerichte auf den Verschuldensgrad der handelnden Personen in der Kanzlei abstellen. Haben die Partner:innen der Kanzlei nicht ausreichend geschulte Mitarbeitende mit KI arbeiten lassen, stellt sich dies als Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers dar. Kann die Kanzlei darlegen, dass alle Mitarbeitenden ausreichend geschult wurden, so hat sie das in ihrer Macht Stehende getan und sich gerade nicht schuldhaft verhalten.

Spezielle Dokumentationspflichten sieht die KI-VO zwar nicht vor. Wer sich allerdings im potentiellen Haftungsfall exkulpieren möchte, der tut gut daran, alle Schulungsmaßnahmen sorgsam zu dokumentieren. Zeitpunkt und Inhalt der Schulung sollten daher ebenso dokumentiert werden, wie die konkreten Teilnehmenden.

Vor der Welle bleiben! KI-Kompetenz als Wettbewerbsvorteil

Auch wenn noch eine große Anzahl an Jurist:innen mit dem Einsatz von KI hadert, manche sogar Angst davor haben, so sollten Sie die positiven Seiten betrachten: Anwältinnen und Anwälte werden auch in Zukunft noch gebraucht – aber zunehmend dort, wo es um die kreative Lösung und vernetzte Denkweise geht. Für Kanzleien bedeutet die neue Regelung der KI-VO daher eine klare Herausforderung, aber auch eine Chance. Die Sicherstellung der KI-Kompetenz stellt nicht nur eine rechtliche Absicherung dar, sondern kann auch als Wettbewerbsvorteil genutzt werden. Kanzleien, die ihre Mitarbeitenden rechtzeitig und umfassend auf die Nutzung von KI vorbereiten, schaffen nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern fördern auch eine effiziente Nutzung von KI-Systemen im Betrieb.

Denn Mandant:innen werden kritischer: Der Tag ist nicht allzu fern, an dem kein Mandant und keine Mandantin mehr bereit ist, für Basisthemen wie die Zusammenfassung von Unterlagen, Nutzung von Standardformulierungen oder mengenmäßige Dokumentation und Chronologisierung den Geldbeutel zu öffnen. Jetzt ist die Zeit, diese Aufgaben dem „KI-Knecht“ zu übergeben. Hierdurch wird Ihre Kostenstruktur schlanker und Sie bleiben wettbewerbsfähig! Die Implementierung eines umfassenden Schulungskonzepts für KI hilft nicht nur dabei, die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen, sondern stärkt auch die fachliche Kompetenz der Mitarbeitenden und wird langfristig zum Erfolg der Kanzlei beitragen.

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Pascal Croset ist Geschäftsführer und Gründer von CROSET | Fachkanzlei für Arbeitsrecht in Berlin. Der Fachanwalt berät mit seinem Team aus fünf Fachanwälten ausschließlich im Bereich des Arbeitsrechts sowohl die Arbeitnehmerseite als auch die Arbeitgeberseite deutschlandweit.

Götz F. Vinnen ist Geschäftsführer und Gründer von viax consulting. Als Wachstumsberater für Anwälte und Notare verhilft er diesen zu einer planbaren Kanzleientwicklung. Der studierte Betriebswirt und MBA berät Kanzleien im DACH-Raum bei Fragen zu Business Development, Positionierung, Kennzahlenentwicklung und Pricing.

www.linkedin.com/in/götz-vinnen

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