Urteile 2024

Zum Ende des Jahres schauen wir auf das vergangene Jahr zurück: Neben medialen und persönlichen Jahresrückblicken ist für viele auch interessant, mit welchen Themen sich die Gerichte in diesem Jahr beschäftigt haben. Einige spannende oder auch wegweisende Urteile aus dem Jahr 2024 sollen im Folgenden überblicksartig vorgestellt werden.

Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ ohne Aufklärung ist irreführend – Bundesgerichtshof (Az. I ZR 98/23 vom 27.06.2024)

Bei der Klägerin handelte es sich um die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, bei der Beklagten um ein Unternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz unter dem Namen Katjes herstellt. Die Beklagte warb in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit folgender Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“. Außerdem wurde ein Logo mit dem Begriff „klimaneutral“ gezeigt, das auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hinweist.

Die Klägerin hielt diese Werbeaussage für irreführend. Diese sei nämlich so zu verstehen, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe, was jedoch nicht der Fall sei. Die Beklagte unterstütze lediglich über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte. Deshalb müsse die Werbeaussage zur Klarstellung eigentlich dahingehend ergänzt werden, dass die Klimaneutralität erst durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt wird. Die Klägerin nahm daraufhin die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin blieb ebenfalls ohne Erfolg, da das Berufungsgericht der Auffassung war, der Klägerin stehe kein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 UWG wegen Irreführung zu. Der Leserschaft sei nämlich hinreichend bekannt, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung, als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Ein Unterlassungsanspruch – aufgrund eines Verstoßes gegen § 5 a Abs. 1 und 3 UWG wegen Vorenthaltens der Information, auf welche Weise die „Klimaneutralität“ des beworbenen Produkts erreicht wird – bestehe ebenfalls nicht. Auch, wenn diese Information wesentlich sei, könne die erforderliche Aufklärung über Art und Umfang der Kompensationen über die in der Werbeanzeige angegebene Internetseite des Kooperationspartners mittels eines in der Werbeanzeige abgedruckten QR-Codes erlangt werden.

Nach Ansicht des BGH ist die beanstandete Werbung irreführend im Sinne von § 5 Abs. 1 UWG. Die Werbung sei nämlich mehrdeutig, weil der Begriff „klimaneutral“ von der Leserschaft der Fachzeitung sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess, als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden kann. Im Bereich der umweltbezogenen Werbung ist eine Irreführungsgefahr besonders groß. Aus diesem Grund besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff wie „klimaneutral“ verwendet, muss deshalb, so der BGH,  zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst erläutert werden, was genau darunter zu verstehen ist.

Schadenersatz für Arbeitnehmer wegen heimlicher Überwachung – Bundesarbeitsgericht Erfurt (Az. 8 AZR 225/23 vom 25.07.2024)

Der Inhaber eines Onlinehandels hatte schon länger Probleme mit einem seiner Mitarbeiter. Dieser meldete sich eines Tages für mehrere Wochen krank, da er auf der Treppe gestolpert war und sich am Fuß verletzt hatte. Daraufhin beauftragte dessen Arbeitgeber eine private Detektei und ließ seinen Mitarbeiter überwachen. Die Detektei fand heraus, dass der Angestellte zwar humpelte, jedoch vermeintlich schwere Gegenstände trug. Daraufhin folgten eine Konfrontation sowie eine anschließende Kündigung. Der Mitarbeiter verklagte seinen ehemaligen Chef im Folgenden auf Schadensersatz mit der Begründung, dass heimlich Gesundheitsdaten erhoben wurden. Dies sei als Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung zu werten.

Dieser Meinung war auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf sowie das Bundesarbeitsgericht. Arbeitgeber dürfen nur dann eine Detektei einschalten, wenn ernstlich begründete Zweifel an der Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen und wenn sich diese Zweifel nicht mit milderen Mitteln aufklären lassen. So hätte der Arbeitgeber den Beschäftigten zunächst anhören können und müssen.

Wegen der heimlichen Überwachung musste der Unternehmer seinem Mitarbeiter 1.500 Euro Schadenersatz zahlen.

Feiertagszuschläge richten sich nach dem regelmäßigen Beschäftigungsort – Bundesarbeitsgericht Erfurt (Az.  6 AZR 38/24 vom 01.08.2024)

Der Kläger, der an einem Klinikum in Nordrhein-Westfalen im öffentlichen Dienst arbeitet, nahm Anfang November an einer mehrtätigen Fortbildung in Hessen teil. Die Fortbildung fand unter anderem an Allerheiligen statt, weshalb sich für ihn die Frage nach der Zahlung eines Feiertagszuschlags stellte. In Nordrhein-Westfalen gilt Allerheiligen als Feiertag, in Hessen dagegen nicht. Der Arbeitgeber des Klägers weigerte sich, zusätzlich zur gewöhnlichen Entlohnung den Feiertagszuschlag zu zahlen, auch wenn die Fortbildung als Arbeitszeit am Feiertag zu werten war.

Der Kläger wehrte sich gegen die Entscheidung seines Arbeitgebers. Letztendlich gelangte die Klage bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt und wurde zur Grundsatzentscheidung. Das BAG war folgender Meinung: „Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, hat auch dann Anspruch auf Feiertagszuschlag, wenn er am fraglichen Datum in einem anderen Bundesland arbeitet, in dem der Feiertag nicht gilt. Für den Anspruch kommt es auf den regelmäßigen Arbeitsort an.“ Somit ist das Klinikum dazu verpflichtet, seinem Mitarbeiter den Feiertagszuschlag zu zahlen.

Milliardenbuße für Google – Europäischer Gerichtshof (Az. C-48/22 P vom 10.9.2024)

2017 stellte die Europäische Kommission fest, dass Google in 13 Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auf seiner Seite die Ergebnisse seines eigenen Preisvergleichsdienstes gegenüber denjenigen konkurrierender Preisvergleichsdienste bevorzugt hatte. Google präsentierte die Suchergebnisse seines Preisvergleichsdienstes an oberster Stelle und hervorgehoben in „Boxen“. Die Suchergebnisse konkurrierender Preisvergleichsdienste erschienen dagegen nur darunter in Form blauer Links und konnten deshalb von Ranking-Algorithmen auf den allgemeinen Suchergebnisseiten von Google herabgestuft werden. Die Kommission gelangte deshalb zu dem Ergebnis, dass Google seine beherrschende Stellung missbraucht hat und verhängte daher eine Geldbuße in Höhe von rund 2,4 Milliarden Euro, für die Alphabet als Alleingesellschafterin von Google in Höhe von rund 500 Millionen Euro gesamtschuldnerisch haftet. Google und Alphabet fochten daraufhin den Beschluss der Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union an.

Das Gericht der Europäischen Union bestätigte zwar die Geldbuße, hielt es dagegen aber nicht für erwiesen, dass das Verhalten von Google wettbewerbswidrige Auswirkungen auf den Markt für allgemeine Suchdienste hat.

Der Europäische Gerichtshof bestätigte das Urteil des Gerichts der Europäischen Union und wies darauf hin, dass das Unionsrecht nicht das Vorliegen einer beherrschenden Stellung selbst beanstandet, sondern nur deren missbräuchliche Ausnutzung. Konkret sind Verhaltensweisen von Unternehmen in beherrschender Stellung verboten, die den Leistungswettbewerb beschränken und somit geeignet sind, einzelnen Unternehmen und Verbrauchern zu schaden. Zwar kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein beherrschendes Unternehmen ein vom Leistungswettbewerb abweichendes Verhalten an den Tag legt. Im vorliegenden Fall hat das Gericht jedoch zu Recht festgestellt, dass das Verhalten von Google diskriminierend ist und nicht dem Leistungswettbewerb entspricht.

Airlines dürfen Flüge wetterbedingt vorsorglich annullieren – Bundesgerichtshof (Az. X ZR 136/23 vom 24.09.2024)

Die Mitarbeiterin eines Unternehmens plante, am Abend vor einem wichtigen Geschäftstermin von Stuttgart nach Hamburg zu fliegen. Aufgrund eines Schneesturms, der den Flugplan komplett durcheinanderwarf, wurde der Flug allerdings annulliert, auch wenn sich das Wetter bis zum Abend hin wieder beruhigt hatte. Der Ersatzflug ging erst am nächsten Morgen, weshalb die Mitarbeiterin erst einen Tag später in Hamburg ankam.

Der Dienstleister, an den die Frau ihre Ansprüche abgetreten hatte, verklagte die Fluggesellschaft auf Zahlung eines Ausgleichs nach der europäischen Fluggastrechteverordnung. Das Amtsgericht Nürtingen verurteilte daraufhin die Fluggesellschaft zur Zahlung von 250 Euro. Im Folgenden erhob diese Einspruch.

Es erging folgendes Urteil des Bundesgerichtshofs: „Wenn der Flugablauf wegen schlechtem Wetter durcheinandergerät, dürfen Airlines selbst entscheiden, welche Flüge sie ausfallen lassen. Die Annullierung eines Fluges kann auch dann zulässig sein, wenn der Flug zwar eigentlich durchgeführt werden könnte, durch die Annullierung vorsorglich aber Verspätungen am nächsten Tag vermieden werden sollen.“

Damit besteht kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung.

Drohnenfotos von Kunstwerken verletzen Urheberrecht – Bundesgerichtshof (Az. I ZR 67/23 vom 23.10.2024)

Der Künstler Tankred Tausendwasser wehrte sich gegen öffentlich aus der Luft geschossene Fotos, die mit Hilfe von Drohnen von seinen Kunstinstallationen gemacht wurden.

Laut Bundesgerichtshof ist es zwar zulässig, Werke an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen mit Mitteln der Malerei, Grafik oder durch Film und Foto zu vervielfältigen und öffentlich wiederzugeben. Mit Drohnen aufgenommene Fotos von Kunstwerken greifen dagegen in die Urheberrechte des Künstlers ein und sind damit nicht mehr von der Panoramafreiheit gedeckt. Sollen derartige Kunstfotos aus der Luft veröffentlicht werden, muss der Künstler oder die Künstlerin zustimmen.

Hürden für immateriellen Schadensersatz gesenkt – Bundesgerichtshof, (Az. VI ZR 10/24 vom 18.11.2024)

Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich den Umstand zunutze gemacht, dass Facebook das Auffinden von Profilen mittels der Telefonnummer ermöglicht hatte. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sog. Scraping).

Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger machte deshalb geltend, dass Facebook keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hatte, um eine Ausnutzung des Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stünde seiner Meinung nach wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Darüber hinaus begehrte er die Feststellung, dass Facebook verpflichtet ist, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen und nahm Facebook auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch. Das Landgericht Bonn gab der Klage teilweise statt und dem Kläger wurde aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO Schadensersatz in Höhe von 250 Euro zugesprochen. Im Übrigen wies es die Klage jedoch ab. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG Köln die Klage insgesamt ab. Ein reiner Kontrollverlust reiche nicht zur Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus. Außerdem habe der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt, über den Kontrollverlust als solchen hinaus psychisch beeinträchtigt worden zu sein.

Der BGH hat das Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren gemäß § 552 b ZPO n. F. bestimmt. Nach der für die Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH könne auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne der Norm sein. Weder müsse insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein, noch bedürfe es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehle es außerdem nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden ohne Weiteres bestehe. Der genannte Unterlassungsanspruch sei hinreichend bestimmt und dem Kläger fehle insoweit auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen blieb die Revision hingegen ohne Erfolg.

Im Umfang des Erfolges der Revision hat der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Pia Nicklas
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Pia Nicklas hat Rechtswissenschaften in Bayreuth und Wirtschaftsrecht an der Fernuniversität Hagen studiert. Sie arbeitete erst als Werkstudentin und nach Ihrem Abschluss als Wirtschaftsjuristin im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen. Nach einem kurzen Ausflug in die Kanzleiwelt und in ein großes Wirtschaftsunternehmen, ist sie seit Anfang 2020 als freiberufliche Fachtexterin im juristischen Bereich tätig.

Bild: Adobe Stock/©doganmesut

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