Krankenversicherung

Von Dr. Martin Riemer

Bei der Wahl der Krankenversicherung gibt es in Deutschland die Eigentümlichkeit eines dualen Systems mit zweier Versicherungszweigen, einem „gesetzlichen“ und einem „privaten“. Deutschland ist mit diesem dualen System in Europa alleine – unter den großen Industrienationen findet sich Ähnliches nur noch in den USA, wobei das US-amerikanische Gesundheitssystem wegen seiner hohen Kosten für Europäer nicht als Vorbild gilt.

Bei genauerer Betrachtung ist freilich auch die private Krankenversicherung eine gesetzliche Pflichtversicherung, denn § 193 Abs. 3 VVG ordnet für jede Person mit Wohnsitz im Inland an,

„[…] eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst und bei der die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5.000 Euro begrenzt ist, abzuschließen und aufrechtzuerhalten […].“

1. Befreiungsrecht als Entscheidung für oder gegen „die Gesetzliche“

Als Berufsanfänger bzw. Berufsanfängerin steht man somit vor der Qual der Wahl, die es in den übrigen europäischen Staaten nicht gibt. Es ist eine Wahl, die eingangs der Berufsaufnahme getroffen werden muss und für den Rest des Lebens bindend sein kann – daher wohlüberlegt sein möchte.

Der Regelfall für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (z. B. einen angestellten Rechtsanwalt) ist gem. § 5 SGB V die Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse. Wer jedoch ein Jahresbruttogehalt oberhalb der Versicherungspflichtgrenze von derzeit 64.350 Euro bezieht, kann sich auf Antrag von der gesetzlichen Krankenversicherung befreien lassen und sich privat versichern. Gleiches Wahlrecht gilt für Selbstständige, Zeitsoldaten, Beamte sowie Richter und Richterinnen.

Keines der beiden Systeme ist optimal; beide haben Vor- und Nachteile, so dass es in Zeiten zunehmender Gesundheitskosten faktisch eine Wahl des „geringeren Übels“ ist.

2. Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Die gesetzlichen Krankenkassen bilden zusammen mit der Renten-, Arbeitslosen-, Unfall- und Pflegeversicherung das deutsche Sozialversicherungssystem. Von den mehr als 83 Millionen Menschen in Deutschland waren 2021 ca. 73 Millionen Mitglied einer der 103 Krankenkassen (ca. 87 Prozent). Die Zahl der Beiträge zahlenden Mitglieder lag bei rund 57 Millionen, die Anzahl der kostenfrei mitversicherten Familienangehörigen betrug ca. 16 Millionen.

Die GKV beruht auf dem Sachleistungsprinzip. Patienten schließen als GKV-Versicherte zwar z. B. mit dem Arzt einen zivilrechtlichen Behandlungsvertrag gem. § 630a ff. BGB, haften auf die Behandlungskosten jedoch nicht selbstschuldnerisch, sondern diese trägt „die Kasse“. Letzteres jedoch nur soweit es sich auch um eine „Kassenleistung“ handelt, d. h. soweit diese im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten ist. Längst nicht alle medizinisch möglichen Leistungen, auch nicht alle Medikamente und Hilfsmittel, werden von den Kassen übernommen, so dass Patienten zuweilen gewünschte Gesundheitsleistungen aus eigener Tasche tragen müssen.

Ein weiterer Nachteil: Ein Patient kann die für ihn kostenfreien Leistungen mit wenigen Ausnahmen nur von Leistungserbringern mit „Kassenzulassung“ beziehen. In Großstädten finden sich jedoch mehr und mehr reine Privatärzte, bei denen die Terminvergabe schneller funktioniert. Da Ärzte und Ärztinnen an Kassenpatienten weniger verdienen, als an Privatpatienten, sitzen erstere auch schon mal länger im Wartezimmer, bevor sie drankommen bzw. müssen überhaupt länger auf einen freien Termin (z. B. bei einer Röntgen- oder MRT-Untersuchung) warten. Für die Versorgung mit medizinisch notwenigen Standardleistungen reicht eine Krankenkassenmitgliedschaft zwar aus; sie ist jedoch keineswegs ein „Vollkaskoschutz“.

3. Private Krankenversicherung (PKV)

Ca. 13 Prozent (5 Prozent der Arbeitnehmer und 43 Prozent der Selbstständigen) waren 2021 demgegenüber privat krankenversichert. Ein Privatversicherter genießt bei den Leistungserbringern einen höheren Status. Nicht lediglich, weil Ärzte und Ärztinnen an ihnen besser verdienen, sondern auch, weil die gesellschaftliche Oberschicht dem Privatversicherungsschutz zuneigt, was gleich schon der Arzthelferin bei der Anmeldung signalisiert wird: Dieser Patient ist sozial höhergestellt: Die GKV hingegen ist ein Versicherungssystem für die breite Masse.

Die Aufnahme in eine private Krankenversicherung unterliegt gleichwohl nicht nur der Hürde, die Versicherungsgrenze beim Einkommen überschreiten zu müssen, sondern auch einer Risikoprüfung, welche der gesetzlichen Krankenversicherung fremd ist.

Bei der Antragstellung müssen Versicherungsnehmer Fragen nach ihrem Gesundheitszustand beantworten, ob sie – zumeist wird nach den letzten fünf Jahren gefragt – in ambulanter Behandlung waren; nach Klinikaufenthalten wird zumeist zehn Jahre zurückgefragt; nach besonders schweren Erkrankungen (z. B. HIV, Krebs) sogar grundsätzlich. Diese Fragen, anhand derer die Versicherer das individuelle Risiko bei Vertragsaufnahme kalkulieren und damit auch die Beitragshöhe, sind gem. § 19 Abs. 1 VVG wahrheitsgemäß zu beantworten. Andernfalls drohen Rücktritt (§ 19 Abs. 2 VVG) oder bei arglistiger Täuschung sogar die Anfechtung (§ 22 VVG) des Vertrages.

An dieser Hürde scheitern bereits manche, da nach Durchlaufen der Berufsausbildungsphase mit Ende 20 zuweilen bereits die ersten Arztbesuche stattgefunden haben, die zu Krankheits- oder auch Verdachtsdiagnosen hinführten, deren weiterer Verlauf schwer abschätzbar ist. Die privaten Krankenversicherer unterliegen keiner Kontrahierungspflicht, sie können sich ihre Versicherungsnehmer daher aussuchen – und junge gesunde Versicherte (die wenig Kosten verursachen) sind ihnen lieber als alte und kranke (die viel Geld aus dem System herausziehen).

Bei der Leistungserbringung sind die Privatversicherungen hingegen deutlich vorteilhafter, da sie sich nicht am EBM orientieren. § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK lautet „Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen“. Eine Behandlungsmethode ist bereits dann medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zurzeit der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Diese Sichtweise ist entwicklungsoffen; in der GKV muss bei neuzeitlichen Therapiemöglichkeiten hingegen erst ein kompliziertes Qualitätsprüfungs- und Anerkennungsverfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss durchlaufen werden.

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4. Gesetzliche Krankenversicherung mit privater Zusatzversicherung

Schließlich besteht auch noch die Option, die gesetzliche Krankenversicherung als Grundlage zu wählen, sich jedoch freiwillig ergänzend privat zu versichern, z. B. als stationäre Zusatzversicherung für Krankenhausaufenthalte oder als Zahnbehandlungskosten-Zusatzversicherung.

Insbesondere eine stationäre Zusatzversicherung, die Zugang zu wahlärztlichen Leistungen (Chefarztbehandlung) und ggf. einem Einzel- oder Zweibettzimmer gewährt, erscheint ratsam, denn die Standardbehandlung, die GKV-Patienten im Krankenhaus erwarten dürfen, ist gerade bei schwerwiegenderen Erkrankungen mit längeren Klinikaufenthalt nicht unbedingt zufriedenstellend. Die allgemeinen Krankenhausleistungen (Pflegedienstleistungen) werden in diesem Fall über die Krankenkasse abgerechnet, die ärztlichen Leistungen hingegen über die private Zusatzversicherung. Da ein Klinikaufenthalt eine Ausnahme darstellt, sind solche Zusatzversicherungen zu erschwinglichen monatlichen Prämien zu haben.

5. Gesetzlich oder privat?

Für welche Versicherungsform man sich entscheidet, ist eine Frage der individuellen Lebensplanung, bei der jedoch nicht aus den Augen gelassen werden darf, wie sich die Kosten im Alter weiterentwickeln.

Die GKV beruht auf einem solidarischen Umlagesystem, bei dem Beiträge am Einkommen gemessen erhoben werden. Derzeit liegt dieser bei 14,6 Prozent des Bruttoeinkommens und wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmer ungefähr zur Hälfte aufgebracht. Auch an den Kosten einer PKV beteiligen sich Arbeitgeber zwar zur Hälfte, die PKV kalkuliert die erhobenen Beiträge jedoch risikoabhängig, d. h. sie ist in jungen Jahren zwar im Vergleich preiswerter, im höheren Alter hingegen teurer.

Wer jung und gesund ist und kaum Arztbesuche wahrnimmt, für den macht die Versicherungsform inhaltlich kaum einen Unterschied. Die Beiträge mögen anfangs in der PKV geringer erscheinen; gleichwohl steigen die Kosten für die Tarife nach einiger Zeit spürbar an.

Wer die Entscheidung für die weitere Lebensplanung (Familie: ja oder nein) noch nicht getroffen hat, bleibt zunächst besser in der GKV und sichert sich zusätzlich durch eine private Krankenzusatzversicherung, z. B. für Krankenhausaufenthalte, ab. Eine Befreiung auf Antrag ist später weiterhin möglich; der Weg zurück in die gesetzliche Krankenversicherung jedoch deutlich erschwert.

Wer Familie und Kinder haben möchte, stellt sich in der GKV besser, weil nicht-verdienende Ehepartner und minderjährige Kinder – sogar bis zum Abschluss der Ausbildung, längstens bis zu ihrem 25. Geburtstag – dort kostenfrei mitversichert werden. In der PKV hingegen muss für jede versicherte Person eine individuelle Prämie gezahlt werden.

Ein weiterer Nachteil der Privatversicherung: Der Privatpatient ist Kostenschuldner des Arztes bzw. der Ärztin, nicht seine Versicherung. D. h. er muss die Behandlungsrechnungen zunächst selber tragen und sich die verauslagten Kosten von der PKV später erstatten lassen. Erhebt die Privatversicherung hiergegen Einwände, bestreitet sie z. B. den Umfang der Arztrechnung, kann dies in einem Rechtsstreit münden, der als Gutachterverfahren erheblich ins Geld gehen kann und für den man besser auch die Absicherung über eine Rechtsschutzversicherung erwägen sollte.

Das PKV-System ist in seiner Risikoverteilung darauf angelegt, dass stets junge gesunde Versicherungsnehmer ihm beitreten. Im Alter 60+ steigen die Kosten für all jene, die noch dabeigeblieben sind, jedoch erheblich. Niemand kann heute sagen, wo diese Entwicklung in 30 – 40 Jahren enden wird. Der Beitritt zu einer privaten Krankenversicherung bewirkt zwar eine bessere Versorgung, ist im Hinblick auf die Kosten jedoch ein Risikospiel.

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Dr. Martin Riemer, Jg. 1972, ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht.

www.dr-riemer.de.

Bild: Adobe Stock/©Thomas Reimer

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