revision strafverfahren sachrüge

Von Detlef Burhoff

Nachdem wir im ersten Teil der Artikelreihe zur Revision im Strafverfahren die allgemeinen formalen Anforderungen und Voraussetzungen der Revision vorgestellt haben, setzen wir mit diesem Beitrag die Reihe zur Revision im Strafverfahren fort. Der Beitrag beantwortet sieben wichtige Fragen zur Sachrüge und geht auf häufige Fehler in der Praxis ein, die vermieden werden sollten.

Welche Fehler werden mit der Sachrüge geltend gemacht?

Mit der Sachrüge – der sog. materielle Rüge – werden Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts geltend gemacht. Also z. B. Fehler bei Anwendung der dem Urteil zugrunde gelegten Strafrechtsnorm oder bei der Strafzumessung (§ 46 StGB), aber auch bei der Beweiswürdigung. Inhaltlich wird mit der materiellen Rüge gerügt, dass das Recht auf den vom Gericht im Urteil festgestellten Sachverhalt falsch angewendet worden ist. Mit der Sachrüge erstrebt und erreicht der Betroffene eine Nachprüfung des Urteils hinsichtlich des gesamten sachlichen Rechts.

Verfahrensfehler werden mit der Verfahrensrüge geltend gemacht.

Muss das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen oder – hindernissen mit der Sachrüge beanstandet werden?

Nein. Verfahrensvoraussetzungen und/oder – hindernisse sind auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtende Umstände. Es bedarf einer ausdrücklichen Rüge daher an sich nicht. Es ist also unschädlich, wenn der Verteidiger diese Mängel überhaupt nicht bemerkt oder nicht formgerecht oder verspätet geltend macht. Allerdings empfiehlt es sich, da das Revisionsgericht das Verfahren bei Vorliegen eines solchen Mangels nach §§ 206a, 354 StPO i. d. R. durch Einstellung beenden muss, auch diesen Umständen nachzugehen und sie zu „rügen“, damit sie nicht „übersehen“ werden.

Beispiele, worauf der Verteidiger in dem Zusammenhang achten sollte:

  • sachliche Zuständigkeit, wobei allerdings streitig ist, ob die sachliche Zuständigkeit als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu berücksichtigen ist oder erst auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin,
  • fehlender oder zurückgenommener Strafantrag,
  • Eintritt der Verfolgungsverjährung (§ 75 Abs. 1 Satz 1 StGB),
  • endgütige Verhandlungsunfähigkeit,
  • Anklagschrift fehlt oder ist unzureichend, was besonders bei Serienstraftaten häufig der Fall ist,
  • Eröffnungsbeschluss fehlt oder ist mit schweren Fehlern behaftet.

2. Soll die Sachrüge immer erhoben werden?

Ja. Die Nichterhebung der Sachrüge kann ein schwerer Fehler sein (Näheres siehe unten).

3. In welchem Umfang soll die Sachrüge begründet werden?

Fraglich ist, ob und inwieweit die Sachrüge begründet werden sollte. Ausreichend für eine den Anforderungen des § 344 StPO entsprechende Begründung der Sachrüge ist die sog. allgemeine Sachrüge, wenn nur „die Verletzung des materiellen Rechts“ gerügt wird. Denn schon diese Begründung zwingt das Revisionsgericht, das Urteil insgesamt auf die richtige Rechtsanwendung zu prüfen. Es empfiehlt sich aber, die Sachrüge darüber hinaus näher zu begründen (siehe dazu unten).

4. Was ist Grundlage für die Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung?

Für seine Begründung der Sachrüge muss der Verteidiger beachten, dass das Revisionsgericht zur Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung nur das Urteil zur Verfügung hat, ihm aber ein Blick in die Akten verwehrt ist. Das bedeutet, dass die Erfahrung des Verteidigers aus der ersten Instanz bei der Begründung des Rechtsmittels grds. ohne Bedeutung ist. Der Verteidiger muss sich auf die angefochtene Entscheidung und deren Ausführungen konzentrieren. Deshalb erübrigen sich Ausführungen dazu, warum der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme zu einer anderen Überzeugung hätte gelangen, zumindest aber Zweifel („in dubio pro reo“) hätte haben müssen, wenn sich nicht aus den Urteilsgründen ergibt, dass das Gericht bei seiner gefundenen Entscheidung noch Zweifel gehabt hat. Denn nur dann ist der Grundsatz „in dubio pro reo“ verletzt.

Grundlage der revisions-gerichtlichen Überprüfung ist nur das tatrichterliche Urteil und nichts anderes. Alle anderen Erkenntnisquellen sind dem Revisionsgericht verschlossen. Dazu zählen auch die Verfahrensakten. Auf sie kann also z. B. nicht zur Ergänzung des angefochtenen Urteils verwiesen werden. Vielmehr muss, wenn beispielsweise beanstandet werden soll, dass Urkunden, die in der Urteilsbegründung verwendet/aufgeführt werden, in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden sind, dieser Mangel mit einer – ausreichend begründeten – Verfahrensrüge geltend gemacht werden.

5. Kann mit der Sachrüge die Beweiswürdigung des Tatgerichts beanstandet werden?

Ja, das ist zulässig und möglich. Gerade in diesem Bereich sind Sachrügen aber häufig fehlerhaft (siehe unten). Mit der Sachrüge kann nur geltend gemacht werden, die Beweiswürdigung des Tatrichters sei widersprüchlich, lückenhaft, unklar oder verstoße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Das sind zulässige Angriffe.

6. Kann mit der Sachrüge der Rechtsfolgenausspruch angegriffen werden?

Die Revision kann sich auch – ggf. nur – gegen den Rechtsfolgenausspruch bzw. die Strafzumessung wenden. Zwar liegt hier die Entscheidung des Gerichts weitgehend im tatrichterlichen Ermessen und das Urteil muss nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO auch nicht alle, sondern nur die für die Strafe bestimmenden Gründe enthalten. Es gibt aber viele Entscheidungen der Revisionsgerichte, die – ebenfalls ggf. nur – den Strafausspruch der angefochtenen Entscheidungen aufheben, so dass der Verteidiger auch diesem Teil der angefochtenen Entscheidung Aufmerksamkeit schenken sollte.

7. Kurzcheckliste Revisionsgründe Sachrüge

Folgende sachlich-rechtliche Fehler als wichtige Angriffspunkte der Sachrüge sollte man als Verteidiger/Rechtsanwalt im Auge haben:

  • Sachdarstellung im Urteil unvollständig, formelhaft oder nicht voll verständlich (sog. Darstellungsrüge),
  • Beweiswürdigung im Urteil unvollständig/verstößt gegen die allgemeine Lebenserfahrung oder Denkgesetze oder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse,
  • Grundsatz „in dubio pro reo“ verletzt,
  • Fehlerhafte Rechtsanwendung beim Schuldspruch,
  • Überschreitung des zulässigen/möglichen Strafrahmens, weil z. B. die Möglichkeit der Annahme eines minder schweren Falles übersehen wird,
  • Fehlerhafter Rechtsfolgenausspruch, weil sich aufdrängende Strafzumessungsgesichtspunkte überhaupt nicht behandelt werden
  • Strafrahmenverschiebungen für Versuch u. a. und für minder schwere Fälle bzw. besonders schwere Fälle übersehen oder nicht zutreffend ermittelt,
  • Einzelstrafzumessung nicht in Ordnung (Doppelverwertung usw.)
  • 47 StGB übersehen,
  • 46a StGB übersehen,
  • Strafaussetzung zur Bewährung nicht oder mit nur unzureichender Begründung abgelehnt.

Häufige Fehler in der Praxis

1. Der Rechtsanwalt/Verteidiger erhebt nicht zumindest die sog. allgemeine Sachrüge.

Es ist m. E. ein – schon schwerwiegenderer – Fehler, wenn der Verteidiger, auch wenn er nur Verfahrensverstöße geltend machen will, neben der Verfahrensrüge nicht auch die allgemeine Sachrüge erhebt. Diese hat nämlich folgende Vorteile: Die Sachrüge und nur diese eröffnet dem Revisionsgericht den Zugang auf das Urteil und damit ggf. auch den Zugang auf Urteilsstellen, die für die (weitere) Begründung der Verfahrensrüge bedeutsam sein können. Denn aufgrund einer zulässig erhobenen Sachrüge können – was sonst nicht möglich ist – zusätzlich zum Revisionsvorbringen des Verteidigers die Urteilsgründe berücksichtigt werden. Möglicherweise kann das für die Verfahrensrüge entscheidend sein.

Hinzu kommt: Sieht das Revisionsgericht einen ggf. gerügten Verfahrensmangel als nicht gegeben an, muss es, wenn die Sachrüge nicht erhoben worden ist, die Revision als unzulässig oder unbegründet – je nachdem, ob die Verfahrensrüge ausreichend begründet worden ist oder nicht – verwerfen. Hat der Verteidiger hingegen (auch) die Sachrüge erhoben, muss das Revisionsgericht das angefochtene Urteil nun noch auf sonstige Fehler insgesamt überprüfen. Diese Überprüfung kann dann zur Aufdeckung eines – möglicherweise vom Verteidiger überhaupt nicht gesehenen – Rechtsfehlers und damit zur Aufhebung des Urteils führen.

2. Der Rechtsanwalt/Verteidiger begründet die Sachrüge nicht im Einzelnen.

Viele Verteidiger lassen sich durch die Möglichkeit, die Sachrüge nur in allgemeiner Form erheben zu können, davon abhalten, selbst sorgfältig in den Urteilsgründen z. B. nach Schwächen bei der Feststellung des Sachverhalts zu forschen, die Beweiswürdigung auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen oder sich mit der richtigen Rechtsanwendung auseinander zu setzen. Das ist m. E. falsch. Denn hat der Verteidiger Rechtsfehler gefunden, sollte er diese zur Begründung seiner Revision vortragen. Das, was er als Verteidiger nicht übersehen hat, können weder die Bundes- oder Generalstaatsanwaltschaft noch das Revisionsgericht übersehen und – was wichtiger ist – nicht übergehen.

Aber Vorsicht: Macht der Verteidiger zur Sachrüge Einzelausführungen, ist es ratsam, diese mit der Klarstellung einzuleiten, dass sie nur der Ergänzung der allgemeinen Sachrüge dienen. Dann können die Ausführungen nicht als eine beschränkende Erläuterung verstanden und damit dann nicht als eine nachträgliche Revisionsbeschränkung gewertet werden, was sonst grds. zulässig wäre.

3. Der Rechtsanwalt/Verteidiger greift die tatrichterlichen Feststellungen an.

Häufig werden in Zusammenhang mit Angriffen gegen die gerichtliche Beweiswürdigung die tatrichterlichen Feststellungen angegriffen oder eine eigene Beweiswürdigung vorgenommen. Das ist fehlerhaft, denn dabei wird übersehen, dass die Revision und damit dann auch die Sachrüge auf die Verletzung einer Rechtsnorm gestützt sein muss (§ 337 StPO). Das Revisionsgericht überprüft die Beweiswürdigung des Tatrichters nur auf Rechtsfehler, es kann nicht die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene – andere – Würdigung ersetzen. Der Verteidiger kann daher bei der Begründung der Revision nicht seine Beweiswürdigung an die Stelle der des Tatgerichts setzen und seine Würdigung dem Revisionsgericht als einzig richtige anbieten. Deshalb sind alle Ausführungen, die lediglich eine eigene Beweiswürdigung vornehmen, überflüssig und sogar gefährlich. Denn der Angriff auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen bringt i. d. R. nichts, außer die Gefahr, dass die Revision, wenn sie nur diesen unzulässigen Angriff enthält, möglicherweise sogar ganz als unzulässig verworfen wird.

4. Der Rechtsanwalt/Verteidiger moniert, dass sich dem Gericht hätten Zweifel aufdrängen müssen.

Manche Verteidiger machen Fehler im Hinblick auf die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“. Sie meinen nämlich offenbar, dieser Grundsatz sei schon dann verletzt, wenn sich – nach ihrer Meinung – dem Tatrichter Zweifel hätten aufdrängen müssen. Das ist jedoch falsch. Entscheidend ist, ob der Tatrichter von der Täterschaft des Angeklagten zweifelsfrei überzeugt ist oder anders, ob nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil der Tatrichter noch Zweifel gehabt hat oder nicht. Ist das nicht der Fall oder hat der Richter seine Zweifel überwunden, hat er zwar „zu Ungunsten“ des Angeklagten entschieden, aber nicht „im Zweifel“. Unerheblich ist dabei, ob ein anderer, z. B. der Verteidiger, Zweifel hat und ob er selbst auch die aus den festgestellten Tatsachen gezogenen Schlussfolgerungen gezogen hätte. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist nicht deshalb verletzt, weil der Verteidiger noch zweifelt.

Im dritten Teil der Artikelreihe zur Revision im Strafverfahren werden die wichtigsten Fragen rund um die Verfahrensrüge beantwortet.

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Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.

Mehr über das Strafverfahren von Detlef Burhoff

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Foto: AdobeStock/©N. Theiss

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