Von Benjamin Schauß

In einer gewissen Regelmäßigkeit wird in der mündlichen Verhandlung im Zivilprozess von einer oder beiden Parteien ein Schriftsatznachlass beantragt. Die Gewährung kann sich neben dem § 283 S. 1 ZPO wegen neuen Vorbringens des Gegners auch aus § 139 Abs. 5 ZPO durch einen richterlichen Hinweis ergeben. Vorliegend werden die Voraussetzungen kursorisch überblickt und die praktische Handhabung aufgezeigt.

Schriftsatznachlass für Erklärungen zum Vorbringen des Gegners gemäß § 283 S. 1 ZPO

Nach § 283 S. 1 ZPO kann das Gericht eine Schriftsatznachlassfrist gewähren, wenn sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist.

Unter neuem Vorbringen des Gegners sind hier gemäß § 282 ZPO alle Angriffs- und Verteidigungsmittel (also Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen und Einreden sowie Beweismittel und Beweiseinreden) zu verstehen, nicht jedoch die Klage oder Widerklage selbst.

Voraussetzungen: fehlende Rechtzeitigkeit und Erklärungsnot

Das Vorbringen darf auch nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden sein. Ausreichend ist dafür, wenn die Wochenfrist des § 132 Abs. 1 ZPO nicht eingehalten worden ist, z. B. weil der Schriftsatz als Unsitte (Stadler, in Musielak/Voit/Stadler, ZPO § 132 Rn. 4) erst im Termin übergeben worden ist oder mündlich neues Vorbringen (Schäfer, NJW 2013, 654) erfolgt. Ist die Wochenfrist zwar gewahrt, aber kann nachgewiesen werden, dass für die Recherche zur erneuten Erwiderung auf den neuen Vortrag die Zeit bis zur mündlichen Verhandlung nicht ausreichend war, reicht auch ein Verstoß gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht des § 282 Abs. 2 ZPO (OLG Schleswig NJW 1986, 856).

Die überraschte Partei muss dadurch in Erklärungsnot sein, also wegen des Umfangs der Schriftsätze oder der inhaltlichen Schwierigkeit außer Stande sein, sich sofort zu erklären. Sofern die bzw. der die Partei vertretende Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwältin Rücksprache mit der abwesenden Partei halten müsste, ist streng genommen von dem Gericht festzustellen, ob die unzureichende Kenntnis nicht auf einer unzureichenden Kenntnis der Sache insgesamt beruht (vgl. § 227 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO, § 85 Abs. 2 ZPO), wovon in der Praxis jedoch nur mit Zurückhaltung Gebrauch gemacht wird.

Schriftsatznachlass für Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis gemäß § 139 Abs. 5 ZPO

Eine Schriftsatznachlassfrist kann auch nach einem gerichtlichen Hinweis gewährt werden, wenn eine Partei zu einem gerichtlichen Hinweis keine sofortige Erklärung abgeben kann. Dabei sind die Anforderungen an die zur Erklärung verpflichtete Partei insbesondere bei länger zurückliegenden Sachverhalten, zu denen noch Erkundigungen einzuholen sind, nicht zu überspannen (BGH NJW-RR 2013, 1358).

Gewährung der Schriftsatzfrist durch das Gericht

Das Gericht wird bei Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen eine Schriftsatznachlassfrist festlegen. Setzt das Gericht keine zeitlich definierte Frist, muss die Partei wegen der allgemeinen Prozessförderungspflicht gemäß § 282 Abs. 1 ZPO so rechtzeitig reagieren, wie es ihre Prozessführungspflicht gebietet (BGH NJW 2007, 1887). Erfordert das nachgelassene Vorbringen die erneute Stellungnahme der Gegenseite, ist die Verhandlung gemäß § 156 ZPO wiederzueröffnen oder ins schriftliche Verfahren zu wechseln.

Versagt das Gericht eine Schriftsatzfrist, ist diese Entscheidung (wie auch die Gewährung) unanfechtbar; Verstöße gegen § 283 ZPO oder § 139 ZPO können jedoch durch Rechtsmittel gegen das Endurteil geltend gemacht werden. Zudem kann auch nach der mündlichen Verhandlung vorgebrachtes Vorbringen gemäß § 296a ZPO – ohne vorherige Gewährung einer Schriftsatzfrist – unter den Voraussetzungen des § 156 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung führen, wenn die Nichtberücksichtigung des Vorbringens eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bedeuten würde.

Fazit: Trotz wohlwollender Gewährung die Voraussetzungen kennen

In fast jeder mündlichen Verhandlung stellt sich für den Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin die Frage einer Schriftsatznachlassfrist. In der gerichtlichen Praxis werden Schriftsatznachlässe wohlwollend und ohne große Hürde gewährt. Sollte man dennoch einmal auf Widerstand des Gerichts stoßen, ist es von Vorteil, die Voraussetzungen und dogmatische Einordnung schon in der mündlichen Verhandlung parat zu haben.

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Benjamin Schauß ist Rechtsanwalt bei der überregionalen Wirtschaftskanzlei Aderhold Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Im Bereich des Bank- und Finanzrechts berät und vertritt er in erster Linie Banken, Finanz- und Zahlungsverkehrsdienstleister.

Foto:Adobe.Stock/©aerogondo

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