Pro und Contra Fachanwaltschaft

Brauche ich einen Fachanwaltstitel und wie bekomme ich ihn? Das sind zwei der Fragen, die in Beratungsgesprächen zu Kanzleigründung und -organisation am häufigsten gestellt werden. Als Berater gibt man die guten alten Juristenantworten: „Das kommt drauf an.“

Das Rechtsmagazin Legal Tribune Online titelte am 29.08.2017 „Wie gefragt sind Experten?“ und lieferte dazu die Einschätzungen verschiedener Kenner der Anwaltsszene. Danach sollen Fachanwaltstitel bei kleineren und mittelständischen Kanzleien als „Wegweiser“ für die Mandanten geradezu unverzichtbar sein. Bei Großkanzleien, insbesondere auch international tätigen, spielen sie laut dem Beitrag nur eine untergeordnete Rolle. Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian resümiert als Ergebnis einer Studie des Soldan Instituts für Anwaltmanagement, dass Fachanwältinnen und Fachanwälte i.d.R. zufriedener seien und mehr verdienten als Nicht-Fachanwälte. Immerhin 53 Prozent der Fachanwältinnen und Fachanwälte gäben als wichtigste Folge des Titelerwerbs eine Steigerung ihrer Kanzleierträge an (Kilian, Anwaltliche Spezialisierung – oder was bringt ein Fachanwaltstitel, AnwBl.). Fest steht, dass anwaltliche Spezialisierung einer der wesentlichen Möglichkeiten für Anwältinnen und Anwälte ist, sich von der Konkurrenz abzuheben.

Wie ist das System der Fachanwaltschaften entstanden?

Ursprung der heutigen Fachanwaltschaften war das Inkrafttreten der Fachanwaltsordnung (FAO) am 11.03.1997. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es „nur“ vier Fachanwaltsbezeichnungen – die für das Verwaltungsrecht, das Steuerrecht, das Arbeitsrecht und das Sozialrecht. Da sie als einzige Rechtsgebiete bis heute ausdrücklich in § 43c der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) festgeschrieben sind und damit unter dem besonderen Schutz des Gesetzgebers stehen, haben Sie neben den restlichen Fachanwaltstiteln eine Sonderstellung.

Früher: Orientierung der Fachanwaltschaftsbezeichnungen an Gerichtsbarkeit

Die Schaffung weiterer Fachanwaltsbezeichnungen war und ist gem. § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. a BRAO der Satzungsversammlung, dem sog. Anwaltsparlament, vorbehalten. Die Erste Satzungsversammlung nahm zunächst als weitere Rechtsgebiete das Familienrecht und das Strafrecht auf. Mit der Einführung dieser beiden Fachanwaltschaften wurde die bis dahin geltende Orientierung der Fachanwaltsbezeichnungen an den Gerichtsbarkeiten aufgegeben. Gemeinsam war den damit existierenden sechs Fachanwaltschaften allerdings immer noch, dass ihnen eigene Fachgerichte mit besonderen Verfahrensordnungen zugrunde lagen (vgl. hierzu etwa Busse, Gedanken zur anwaltlichen Berufsordnung, NJW 1999, 3017, 3022.).

Heute: Nachfrage bestimmt Einführung eines Fachanwaltstitels

Erst in der dritten Legislaturperiode brach das Eis, nachdem man einen festen Kriterienkatalog entwickelt hatte. Dieser wurde zwischenzeitlich mehrfach überarbeitet und angepasst. Die einzige Fachanwaltschaft, die politischen Umständen geschuldet war und Hilfe bei der Bewältigung einer akuten Notlage leisten sollte, war die für Migrationsrecht, die im November 2015 beschlossen wurde. Die Diskussion geht weiter. Derzeit stehen der „Fachanwalt für Opferrecht“ und auch der „Fachanwalt für Verbraucherrecht“ auf dem Prüfstand. Der Fachanwaltstitel für Sportrecht ist der Jüngste und wurde im November 2018 offiziell eingeführt. Man erkennt sofort, dass heute nicht mehr fest umrissene (Rechts-)Gebiete, sondern die Nachfrage auf Seiten der Mandantschaft die Einführung eines Fachanwaltstitels bestimmt.

Ist eine Fachanwaltschaft das Richtige für mich?

Die Entscheidung für oder gegen einen Fachanwaltstitel hat viele Aspekte. Wer sich bei seiner Tätigkeit auf ein einziges oder wenige Spezialgebiet(e) beschränkt, wird nach einer gewissen Anlaufzeit zur Expertin bzw. zum Experten, der die gestellten Anforderungen schneller, müheloser und meist besser erfüllt als andere. Wer die Rechtsberatung auf wenige Rechtsgebiete fokussiert, kann in derselben Zeit mehr Fälle bearbeiten als eine Kollegin oder ein Kollege, die/der annimmt, was kommt, und die/der deshalb mit Problemstellungen aus vielen verschiedenen Bereichen des Rechts konfrontiert ist. Man könnte es auf die Formel bringen: Die Spezialistin bzw. der Spezialist erzielt mit einem Minimum an Einsatz ein Maximum an Erfolg.

Spezialist vs. „Fachidiot“ – Vor- und Nachteile des Fachanwaltstitels

Andererseits besteht die Gefahr, dass die Fachanwältin bzw. der Fachanwalt zum „Fachidioten“ wird, und dass insbesondere auch Dritte glauben, sie oder er beherrsche nichts außer diesem Gebiet. Das hat für eine Fachanwältin bzw. einen Fachanwalt, die/der von den Mandaten aus ihrem/seinem Spezialgebiet nicht leben kann, u. U. fatale Auswirkungen. Wenn potenzielle Mandanten glauben, ein/e „Fachanwalt/in für Informationstechnologierecht“ sei nicht in der Lage, eine Nebenkostenabrechnung zu überprüfen oder einen Unfallschaden abzuwickeln, werden entsprechende Aufträge ausbleiben. Das ist der Grund, warum mancher Fachanwalt auf Briefbogen und Kanzleischild seinen Titel verschweigt und sich nur auf ausdrückliches Befragen zu ihm „bekennt“.

Soll ich meinen Fachanwalt machen? Rechtsgebiet ist ausschlaggebend

 Wie wichtig es ist, Fachanwalt bzw. Fachanwältin zu sein, hängt vom Rechtsgebiet ab. Arbeitsrechtler/innen und Familienrechtler/innen etwa haben ohne Fachanwaltschaft am Markt kaum noch eine Chance, weil die Nachfrageseite inzwischen auf den Titel „geeicht“ ist. Die Agrarrechtlerin bzw. der Agrarrechtler dagegen, die/der seit Jahren ihre/seine feste Klientel hat, wird auf die Fachanwaltsbezeichnung getrost verzichten können – was nicht bedeutet, dass es nicht auch bei ihr oder ihm ein „Nice-to-have“ gibt. Jeder, für den das Erreichen der Fallzahlen kein Problem ist, sollte deshalb nicht die überschaubare Mühe eines Lehrgangs scheuen und den Titel erwerben.

Alternative zur Fachanwaltschaft: Benennung von „Teilbereichen der Berufstätigkeit“

Als Alternative zur Fachanwaltschaft kommt nach § 7 BORA die Benennung von „Teilbereichen der Berufstätigkeit“ ohne und mit qualifizierenden Zusätzen in Betracht. Besonders im Fokus steht hierbei der sog. „Spezialist“, der hinsichtlich seiner Anforderungen und einer möglichen Verwechslungsgefahr mit dem Fachanwalt (§ 7 Abs. 2 BORA) seit Jahren die Gerichte beschäftigt (Vgl. hierzu zuletzt BGH BRAK-Mitt. 2017, 42 m. krit. Anm. Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2017, 10 = AnwBl. 2017, 201. Dazu auch Quaas, Das Fachanwaltsrecht in der Rechtsprechung des Senats für Anwaltssachen des BGH im Jahr 2016, BRAK-Mitt. 2017, 2 ,8 ff., und Engelke, Spezialistenwerbung wegen Fachanwaltschaft perse irreführend?, AnwBl. 2017, 276, 278.).

Fachanwaltstitel Sinn oder Unsinn?

Fest steht, dass der derzeitige Trend zur Spezialisierung geht. Das Gewicht, das der jeweilige Fachanwaltstitel jedoch im Alltag rechtlicher Beratung hat, hängt stark vom individuellen Rechtsgebiet ab. Während der Fachanwaltstitel in dem einen Rechtsbereich unerlässlich ist, ist er in dem anderen nicht mehr als „Nice-to-have“. Wer außerdem noch am Anfang seiner Karriere steht und sich noch nicht festlegen möchte, ist eventuell besser beraten, die Fachanwaltschaft noch nicht anzugehen.

Lesen Sie auch: Wie werde ich Fachanwalt? Der Weg zur erfolgreichen anwaltlichen Spezialisierung

Hier geht es zum zweiten Teil der Artikelserie „Fachanwaltschaft“: „Die Rechtsgrundlagen des Fachanwaltswesens“.

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Foto: Adobe/Robert Kneschke
 

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