Diplom-Jurist

Die Ausbildungswege von Juristen sind klar vorgezeichnet: Studium, Erstes Staatsexamen, Referendariat, Zweites Staatsexamen und dann Anwalt werden oder in den Staatsdienst. Die Examina sind jedoch ebenso schwer wie praxisfern, die Durchfallquote vergleichsweise hoch und die Prüfung zudem nicht beliebig wiederholbar. Doch was bedeutet es für den klassischen Juristen-Karriereweg, wenn man das Zweite Staatsexamen nicht besteht? Hier möchte ich darüber berichten, wie mein Weg verlief und vielleicht auch andere Juristinnen und Juristen inspirieren, ihren Weg jenseits ausgetretener Pfade zu finden.

Die Prüfung als Wendepunkt

Nach Jurastudium und Erstem Staatsexamen in Hamburg zog ich für das Referendariat ins Rheinland. Dort erlebte ich 2008 mein persönliches Waterloo: Ich bestand das Zweite Staatsexamen nicht. Mein Ziel, Anwältin zu werden, wurde quasi über Nacht pulverisiert und ich musste mich neu orientieren. Dass ich während des Referendariats in einem kleinen Telekommunikationsunternehmen gearbeitet hatte, erwies sich jedoch als Glücksfall, denn ich wurde prompt als Rechtsreferentin übernommen.

Nach einigen Jahren in Köln wurde es Zeit für Neues. So wechselte ich zu einer Air-Berlin-Tochter nach Düsseldorf, wo ich Luftfrachtschäden regulierte und Texte meines Chefs redigierte. Ich fand knackigere Formulierungen für seine Bandwurmsätze, Synonyme für häufig benutzte Wörter und Kommata, die noch nicht an ihrem Platz waren. Er war begeistert und ich entdeckte, dass mir die Arbeit mit Texten lag und auch noch Spaß machte.

Du bist verrückt, mein Kind. Du musst nach Berlin!

Bei meinen Besuchen in Berlin spürte ich, dass ich der Sehnsucht, in dieser Stadt zu leben, endlich nachgeben sollte. Kurzum: Ich wechselte nach vier Jahren ein weiteres Mal Job und Stadt. Zuletzt arbeitete ich bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin im Bereich Zulassungsgremien.

Berlin inspirierte und ich entwickelte mich. 2016 stieß ich im Netz erstmals auf das Thema „Digitale Nomaden“ und war von der Idee einer ortsunabhängigen Selbständigkeit fasziniert. Reisen und vom Laptop aus arbeiten: Kontrastprogramm zum Verwaltungsjob! Ich ließ mich inspirieren und besuchte schließlich 2017 erst die Digitalkonferenz re:publica und kurz darauf die „Digitale Nomaden Konferenz“ (DNX), wo ich auf Hunderte Gleichgesinnte traf.

Nebenberufliche Selbstständigkeit als Freelancer

Ich fragte mich: Mit welchem Job kann ich als Freelancer ortsunabhängig Geld verdienen, der mir zugleich auch noch Spaß macht? Ergebnis des Brainstormings: Recherche und Schreiben. Bestens. Ich verlor nicht viel Zeit, sondern zeigte bei meinem Arbeitgeber eine Nebentätigkeit an und legte mir bei der weltgrößten Freelancer-Börse ein Profil zu. Meine ersten Aufträge (als Ghostwriter) waren E-Books zu Ernährungsthemen, mit denen ich mich auskannte. Anschließend schrieb ich mein erstes eigenes E-Book, das ich auf Amazon veröffentlichte („Living Apart Together – Eine Liebe, zwei Wohnungen“); einfach, um sogenanntes Selfpublishing mal auszuprobieren. Reich wird man dabei nicht, doch was viel wertvoller war: Ich entdeckte in dieser Zeit, dass ich große Freude daran habe, interessante Sachthemen zu recherchieren und die Erkenntnisse danach in einen Text zu gießen.

Es geht voran: Teilzeit, Wachstum, Kündigung

Es folgten weitere Aufträge und ich warb darüber hinaus auch meinen ersten dauerhaften Kunden, für dessen Blog ich noch heute als Ghostwriter Artikel schreibe. Die verschiedenen Einkünfte erlaubten es mir, ab 2019 einen Tag pro Woche zu reduzieren und fortan freitags schon eine Ahnung von dem zu bekommen, was mein Traum-Berufsleben werden sollte. Ich entdeckte das Potential von LinkedIn und die Kraft des Networkings. Es mehrten sich die Kontakte zu interessierten Anwältinnen und Anwälten, Verlagen und Agenturen und ich realisierte, dass ich meine Nische – Texterin für Rechtsanwälte – goldrichtig gewählt hatte. Der „proof of concept“, wie der Professor für Entrepreneurship Prof. Dr. Günter Faltin es nennt, war erbracht. Es gab Bedarf an Texten juristischen Inhalts, für Kanzleiseiten und Blogs im Internet, die laienverständlich verfasst sind.

Der Rest ist Geschichte. Wenige Monate später kündigte ich.

Jetzt sitze ich hier, an meinem Schreibtisch am Laptop und mache das, was ich mir immer gewünscht habe. Ich texte für Rechtsanwälte und bin voller Freude und Energie für diese Arbeit. „Blöder Montagmorgen!“ und „Endlich Wochenende!“ gibt es nicht mehr. Ich bestimme, wann, wo, für wen und woran ich arbeite. Es braucht vielleicht ein paar Monate, um finanziell auf soliden Füßen zu stehen, doch Freiheit, Selbstbestimmung und die Möglichkeit, endlich komplett ortsunabhängig arbeiten zu können, wiegen so viel mehr.

Zu guter Letzt: Was habe ich aus meinen Erfahrungen gelernt und welchen Rat würde ich anderen Juristinnen und Juristen geben, die Ähnliches vorhaben?

  1. Den juristischen roten Faden beibehalten. TKG, Montrealer Übereinkommen, SGB V, Ärzte-ZV,… Meine juristische Ausbildung war für alle Tätigkeiten eine solide und hilfreiche Grundlage und im Lebenslauf war trotz der Wechsel stets eine gewisse Linie zu erkennen: Bezüge zum Recht.
  2. Informationen zu Alternativen sammeln. Ich spürte schnell: Information führt zu Inspiration führt zu Motivation führt zu Energie.
  3. Selbständigkeit ausprobieren. Nebenberuflich! Was gibt es Risikoärmeres? Gerade jene Juristinnen und Juristen, die gern schreiben, können damit jederzeit beginnen. Vielleicht mit einem E-Book zum Lieblingsthema?
  4. Networking. Es ist unerlässlich, sich mit Menschen zu verbinden und auszutauschen, ihnen zuzuhören und von ihnen zu lernen, wenn man sich weiterentwickeln möchte. LinkedIn ist meine bevorzugte Business-Plattform. Der US-amerikanische Unternehmer und Motivationstrainer Jim Rohn hatte nicht ganz Unrecht: „Du bist der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen Du die meiste Zeit verbringst.“
  5. Vertrauen und eine optimistische Sicht der Dinge entwickeln. Hinfallen, aufstehen, Krone richten und weiter. Ich bin im Staatsexamen durchgefallen, aber jetzt in meinem Traumjob glücklich und nutze in meiner Nische jene Grundlagen, die das Jurastudium mir verlieh.
  6. Erkennen, dass man nur ein Leben hat. Neugierig und offen sein. Nicht nur träumen, sondern auch machen. Nicht nur meckern, sondern anpacken. Nicht ab morgen, sondern jetzt. Pathetisch? Nein, realistisch!
Foto: Julia Torner

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