Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM-Verfahren) nach § 84 Abs. 2 SGB IX im arbeitsrechtlichen Mandat

Bei arbeitsrechtlichen Mandaten ist es vor allem bei Kündigungen von kranken Arbeitnehmern wichtig, Kenntnisse des BEM-Verfahrens und der BAG-Rechtsprechung zu besitzen und diese bei der Beratung und Vertretung sowohl von Arbeitgebern als auch von Betriebsräten und Arbeitnehmern prozesstaktisch mit einzubeziehen:

  1. Das BEM-Verfahren ist zunächst vom Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX zu unterscheiden; das Präventionsverfahren ist nur anzuwenden auf schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer und betrifft alle Arbeitgeber (auch Kleinbetriebe, die nicht der Ausgleichabgabe unterliegen!). Hier hat der Arbeitgeber die Pflicht, bei personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Schwierigkeiten beim Integrationsamt einen Antrag zu stellen mit dem Ziel, eine Kündigung des Arbeitnehmers zu vermeiden.
  2. Das BEM-Verfahren ist weiter abzugrenzen vom allgemeinen Krankenrückkehrgespräch und von der stufenweisen Wiedereingliederung bis zur vollen Erlangung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nach § 28 SGB IX, § 74 SGB V.
  3. Das BEM-Verfahren ist anzuwenden auf alle Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren; vgl. u.a. BAG vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06 und BAG vom 30.09.2010, 2 AZR 88/09.
  4. Es ist eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, dies dem Arbeitnehmer anzubieten, soweit dieser unter das KSchG fällt (also nicht für Kleinbetriebe und nicht in den ersten sechs Monaten des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, vgl. BAG vom 24.01.2008, 6 AZR 96/07).
  5. Das BEM-Verfahren ist auch in Betrieben ohne Betriebsrat anzuwenden; vgl. BAG vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09.
  6. Das BEM-Verfahren ist für den Arbeitnehmer grundsätzlich freiwillig! Er muss sein Einverständnis dazu erklären!
  7. Ziel ist die Überwindung und das Vorbeugen erneuter Arbeitsunfähigkeit und der Erhalt des Arbeitsplatzes.
  8. Es ist hilfreich, sowohl im Arbeitgeber- als auch im Arbeitnehmermandat den konkreten, aber ergebnisoffenen Ablauf zu erläutern:
    • Telefonische Kontaktaufnahme mit Information über Versendung einer Einladung
    • Schriftliche Einladung (Musterformular des Arbeitgebers)
    • Bitte um schriftliche Rückmeldung über Zustimmung/Ablehnung der Teilnahme am BEM (Mustervordruck des Arbeitgebers)
    • Vereinbarung eines ersten Gesprächstermins
    • Erstes BEM-Gespräch mit Informationen über Ziele und Vorstellungen der beteiligten Personen und Interessenvertretungen
    • Erläuterung von Datenschutz, Verschwiegenheit und Datenweitergabe
    • Einholen einer Einverständniserklärung des Arbeitnehmers
    • Aufbewahrung der Daten des Arbeitnehmers insbesondere zu Erkrankungen und Leistungseinschränkungen, Stellungnahme des Betriebsarztes; Atteste etc. müssen getrennt von der Personalakte geführt werden
    • Vereinbarung eines Termins für das BEM-Kerngespräch
    • Kerngespräch: Recherche hinsichtlich möglicher betrieblicher Ursachen für die Erkrankung, Erarbeiten einer Maßnahmensammlung zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit
    • Evtl. weitere Gespräche
    • Planung und Umsetzung der Maßnahmensammlung
    • Abschlussgespräch

Wichtig für Arbeitgeber: Dokumentation des gesamten Verlaufs des BEM in von der Personalakte getrennter Akte!

  1. Betriebsvereinbarungen zum BEM
    • Abschluss von Betriebsvereinbarungen, die den Ablauf des BEM und die näheren Einzelheiten wie z.B. Datenschutz regeln, ist üblich und sinnvoll
    • Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erfasst aufgrund der Rahmenvorschrift des § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX nur die Aufstellung von Verfahrensgrundsätzen zur Klärung der Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann (BAG, Beschluss vom 22. März 2016 – 1 ABR 14/14)
    • Wichtig für den Betriebsrat: Die Mitteilung des BEM-Personenkreises in anonymisierter Form durch den Arbeitgeber ist nicht ausreichend, entscheidend ist die Frage, wem der Arbeitgeber ein BEM anbieten muss, auch wenn dieser Arbeitnehmer seine Einwilligung an dem BEM schließlich verweigert (BAG, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 1 ABR 46/10)
  1. Rechtsfolgen nach BAG vom 24.03.2011 – 2 AZR 170/10

Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des BEM, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat, ist entscheidend, ob der Arbeitgeber den Betroffenen vorher darauf hingewiesen hat. Der Arbeitgeber sollte dies auch klar dokumentieren:

    • Hinweis auf die Ziele des BEM und die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten und ordnungsgemäße Belehrung des Arbeitnehmers nach § 84 Abs. 2 S. 3 SGB IX.
    • Es ist die freie Entscheidung des Arbeitnehmers, ob er das BEM wünscht oder nicht.
    • Nur bei nicht erteilter Einwilligung des Arbeitnehmers trotz ordnungsgemäßer Belehrung ist das Unterlassen eines BEM „kündigungsneutral“.
    • Der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, dass das BEM unter keinen Umständen ein positives Ergebnis hätte bringen können.
    • Der Arbeitgeber muss umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können.
    • Der Arbeitgeber muss also konkret darlegen, warum ein BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, erneuten Krankheitszeiten vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten.

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