Haftentschädigung

Der Bundestag hat am vergangenen Donnerstag eine Erhöhung der Haftentschädigung beschlossen – von bisher 25 auf künftig 75 Euro. Das neue Gesetz soll bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.

Es ist „nur“ eine Zahl, die im Strafverfolgungsentschädigungsgesetz (StrEG) geändert werden soll: In § 7 heißt es künftig: „Für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, beträgt die Entschädigung 75 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung“. Debattiert wurde über die Erhöhung aber schon lange. Die Justizministerkonferenz hatte bereits 2017 das Bundesjustizministerium aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Erhöhung der Haftentschädigungspauschale vorzulegen. Als das nicht geschehen ist, hat der Bundesrat die Initiative ergriffen und einen entsprechenden Vorschlag Ende letzten Jahres beim Bundestag eingebracht. Die Länderkammer stützte sich dabei auf ein Gutachten der Kriminologischen Zentralstelle in Mainz von 2017, die ergeben habe, dass die Höhe der Entschädigung von den Betroffenen durchweg als deutlich zu gering empfunden wird.

Häufigster Fall: Entschädigung für Untersuchungshaft

Anspruch auf Haftentschädigung nach dem StrEG hat, wer aufgrund einer Verurteilung inhaftiert wurde, wenn die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren, oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortgefallen ist oder gemildert wurde. Gleiches gilt, wenn ohne Verurteilung eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Nebenfolge angeordnet worden ist. Außerdem – und das kommt in der Praxis deutlich häufiger vor – kann eine Entschädigung verlangt werden, wenn Untersuchungshaft verhängt, das Verfahren aber später eingestellt wurde oder es mit einem Freispruch endete. Der Anspruch bezieht sich auf nachgewiesene Vermögensschäden und eben die Entschädigungspauschale für Nichtvermögensschäden.

Zahlen darüber, wie häufig es zu Entschädigungen nach dem StrEG kommt, gibt es nicht. Die Bundesländer führen hier sehr unterschiedliche Statistiken. Einige erfassen die entsprechenden Zahlungen gar nicht. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird von einem Mehraufwand von etwa 3,6 Millionen Euro ausgegangen, der auf die Länder zukommt.

Opposition forderte höhere Entschädigung

Drei Oppositionsfraktionen haben Anträge auf eine weitergehende Änderung der Strafentschädigung gestellt, die aber von der Koalition abgelehnt wurden. Die FDP wollte eine Erhöhung der Entschädigungssumme auf sogar 150 Euro pro Hafttag, die AfD-Fraktion hat eine Staffelung vorgeschlagen: 100 Euro bei einer Haft von maximal zwölf Monaten und 200 Euro für jeden darüber hinausgehenden Hafttag. Betroffene, denen länger als sechs Monate die Freiheit entzogen worden ist, sollten für die Zeit der Inhaftierung in der Rentenversicherung nachversichert werden. Auch der Vorschlag der Fraktion Die Linke sah ein Staffelmodell vor: 150 Euro in den ersten drei Monaten, 200 Euro danach und 250 Euro pro Tag, wenn die Haft länger als ein Jahr dauert. Zwei Tage vor der abschließenden Debatte im Plenum kam dann noch ein Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, in dem eine einheitliche Erhöhung auf 150 Euro pro Hafttag gefordert wurde.

Sachverständige für bessere Unterstützung der Betroffenen

In der Expertenanhörung im Rechtsausschuss, die coronabedingt vom März in den Juni verlegt wurde, wies der stellvertretende Direktor der Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) in Mainz Prof. Dr. Axel Dessecker darauf hin, dass die Entschädigungspauschale nur ein Teil der möglichen stattlichen Reaktionen auf unrechtmäßige Inhaftierungen ausmache. Er plädierte dafür, das gesamte System der Haftentschädigung zu reformieren. Eine Studie seines Hauses habe beispielsweise ergeben, dass es bei den Hilfestellungen nach der Entlassung und Reintegration erhebliche Defizite gebe.

Er plädierte für eine den Opferbeauftragten vergleichbare Institution, die unabhängig vom staatlichen Justizsystem sein sollte und an die sich Betroffene wenden können, um Unterstützung zu erhalten. Auch der Anwaltverein fordert solche unabhängigen Ombudsstellen. Keinesfalls sollten die Betroffenen auf die gegebenenfalls mögliche Inanspruchnahme von Bewährungshilfe und Führungsaufsicht verwiesen werden, da diese mit einer weiteren Stigmatisierung durch den Eindruck einer Gleichsetzung mit Verurteilten führen könne, heißt es in der Stellungnahme des DAV zum Gesetzentwurf.

Anders sieht das beispielsweise Axel Müller, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU. Er meinte in seiner Rede vor der gestrigen Abstimmung, dass die bisherigen Systeme sehr wohl ausreichten und neue Strukturen – nicht zuletzt wegen der geringen Fallzahlen – nicht erforderlich seien. Die Anträge aus der Opposition mit ihren teilweise deutlich höheren Entschädigungen kritisierte Müller als „Überbietungswettbewerb“. Es sei ein Irrglaube, dass mit mehr Geld oder mehr Institutionen eine bessere Gerechtigkeit für zu Unrecht Inhaftierte erreicht werden könnte, so der Abgeordnete.

Dass es zumindest doch eine kleine Nachbesserung geben könnte, dafür gab Dr. Johannes Fechner von der SPD-Fraktion Hoffnung. Er kündigte an, dass die gesetzliche Beiordnung eines Rechtsbeistandes, der Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Entschädigungsansprüche zur Seite stehen soll, weiterhin „auf der Tagesordnung“ stehe.

DAV fordert Beweiserleichterung für Vermögensschäden

Der Deutsche Anwaltverein, der in der Sachverständigenanhörung gleich durch zwei Mitglieder des Strafrechtsausschusses vertreten war, fordert bereits seit längerem nicht nur eine Anhebung der Haftentschädigung auf 100 Euro pro Tag, sondern auch Verbesserungen bei der Durchsetzung des Vermögensschadenersatzes. Sowohl der Berliner Rechtsanwalt Stephan Conen als auch sein Kollege aus Bonn, Prof. Dr. Bernd Müssig sprachen sich in der Anhörung nachdrücklich für Beweis- und Darlegungserleichterungen aus.

Der strenge Maßstab, der hier angelegt werde, sei dem Grundgedanken des StrEG nicht angemessen. So müssten sich Betroffene nicht selten den schwer widerlegbaren Einwand entgegenhalten lassen, dass beispielsweise ein Arbeitsplatzverlust nicht erst Folge der Inhaftierung sondern bereits der laufenden Ermittlungen gewesen sei und deshalb die für einen Anspruch erforderliche Kausalität zwischen Haft und Schaden schon nicht gegeben sei, erläuterte Conen. Und die Berücksichtigung von „Vorteilen“ auf die Entschädigung müsse künftig ausgeschlossen werden, so Conen und Müssig. Nach den bundeseinheitlichen Ausführungsvorschriften muss sich derzeit der Berechtigte Kost und Logis in der JVA im Rahmen von Pauschalen anrechnen lassen. Zynisch und eines Rechtsstaates nicht würdig – so das Urteil der beiden Anwälte.

Foto:Adobe.Stock/©motortion

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