Deals Strafverfahren

Als 2013 das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zur Verständigung im Strafverfahren für verfassungsgemäß erklärt hat, hat es dem Gesetzgeber gleichzeitig aufgegeben, die weitere Entwicklung „sorgfältig im Auge zu behalten“. Die auf dieser Aufforderung beruhende Evaluation, durchgeführt von drei Professoren, wurde jetzt veröffentlicht.

Dass es ein schmaler verfassungsrechtlicher Grat ist, auf dem bei Absprachen zwischen den Beteiligten eines Strafprozesses balanciert wird, war dem Bundesverfassungsgericht sehr wohl bewusst. Verständigungen über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, trügen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden würden, sagte das Gericht in seiner Entscheidung von 2013. Schon damals hatten die Richter auf Grund einer Untersuchung des Düsseldorfer Rechtsprofessors Karsten Altenhain feststellen müssen, dass ein wesentlicher Teil der Absprachen jenseits der gesetzlichen Vorgaben erfolgte. Dabei war § 257c StPO knapp vier Jahre zuvor gerade eingeführt worden, um diesem „Wildwuchs“ Einhalt zu gebieten. Es bedürfe dringend klarer Vorgaben, die der Rechtssicherheit und der gleichmäßigen Rechtsanwendung dienten, hieß es seinerzeit in der Begründung des Gesetzentwurfes.

„Informelle“ Absprachen weiterhin verbreitet

Die ernüchternde Bilanz, die allerdings jetzt die drei Autoren der vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebenen Studie ziehen: Viel geändert hat sich nicht – auch nach der BVerfG-Entscheidung gibt es eine beachtliche Zahl von Deals, die nicht die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. So haben 44 Prozent der in den Telefoninterviews befragten Richterinnen und Richter angegeben, von informellen Absprachen gehört zu haben, bei den StrafverteidigerInnen waren es knapp 60 Prozent, bei den Staatsanwältinnen sogar über 80 Prozent.

Die strafprozessualen Normen zur Verständigung werden dabei bewusst – nicht selten aber auch mehr oder weniger unbewusst – verletzt, haben die Wissenschaftler festgestellt. Bei den Online-Befragungen haben beispielsweise über 20 Prozent der befragten Richterinnen und Richter angegeben, sich bereits häufig oder sehr häufig in einer Situation wiedergefunden zu haben, in denen sie sich nicht sicher waren, wie sie den Transparenz- und Dokumentationsvorschriften ausreichend nachkommen können. Passend dazu haben viele RichterInnen und StaatsanwältInnen auch die fehlende Praxistauglichkeit und die Unübersichtlichkeit der gesetzlichen Regelungen als Hauptgründe für eine informelle Absprache genannt. Aber auch die Hoffnungen, sich dadurch langwierige Beweisaufnahmen zu ersparen und Verfahren abzukürzen zu können, spielten eine Rolle.

Verstöße auch gegen Punktstrafenverbot und Rechtsmittelverzicht

Auch wenn die Justiz oftmals beklagt, die gesetzlichen Regelungen seien zu komplex und man sich deshalb in informelle Absprachen flüchte – diese Erklärung zieht nicht immer. So wird auch gegen eigentlich klare Verbote verstoßen, beispielsweise gegen das Verbot der Vereinbarung einer Punktstrafe oder das Verbot, einen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand einer Verständigung zu machen. Immerhin 14 Prozent der Richterinnen und Richter, 23,5 Prozent der StaatsanwältInnen und 50 Prozent der VerteidigerInnen bekannten, in einer Verständigung schon mal statt – wie eigentlich vorgeschrieben – über einen Strafrahmen über eine konkrete Strafe verhandelt zu haben. Und selbst bei Nennung eines Strafrahmens sei den Beteiligten oftmals klar, welche Strafe zu erwarten ist, es sich also um eine verkappte Punktstrafe handelt.

Verbot oder Reform?

Was folgt nun aus den Erkenntnissen der Studie? Immerhin hatte das Bundesverfassungsgericht seinerzeit gefordert, dass der Gesetzgeber „Fehlentwicklungen entgegenwirken muss“, sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen. Aus dem Bundesjustizministerium hieß es in der vergangenen Woche, man werde jetzt prüfen, „ob weitere gesetzliche Regelungen erforderlich sind, um Defiziten in der gerichtlichen Verständigungspraxis wirksam zu begegnen“. Professor Matthias Jahn von der Uni Frankfurt am Main, einer der drei Autoren der Studie, betonte jedenfalls, dass der Gesetzgeber tätig werden müsse. Absprachen ganz zu verbieten sei aus seiner Sicht zwar der falsche Weg, eine praxistauglichere Regelung der Verständigungen sei aber notwendig, so Jahn.

Die Evaluation wurde erstellt von Prof. Dr. Karsten Altenhain (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Matthias Jahn (Goethe-Universität Frankfurt am Main) und Prof. Dr. Jörg Kinzig (Eberhard-Karls-Universität Tübingen) und ist vorab auch in einer digitalen Open-Access-Fassung erhältlich.

Foto:Adobe.Stock/©WavebreakMediaMicro

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