Aus Fehlern soll man lernen! Der Tenor des 69. Deutschen Anwaltstages (DAT) vom 6.-8. Juni in Mannheim über „Fehlerkultur in der Rechtspflege“ wirkte fast schon wie ein Allgemeinplatz statt einer Erkenntnis. In den zahlreichen Fachveranstaltungen lernten die Juristen jedoch nicht nur, wie man Fehler vermeidet, sondern beschäftigten sich auch mit Justizfehlern aus der Vergangenheit – ein Anwaltstag geprägt von Diskussion und Selbstreflexion.

Wird die deutsche Anwaltschaft mutiger?

Einen Fehler haben die Organisatoren des diesjährigen DAT nicht begangen: Bei der Eröffnungsveranstaltung sorgte eine virtuose Funkband für abwechslungsreiche Unterhaltung. „Die deutsche Anwaltschaft ist mutiger geworden“, so die Schlussfolgerung von Justizministerin Dr. Katarina Barley (SPD). Mut bewies die promovierte Rechtsanwältin auch, als sie über einen eigenen Fehler vor dem gefüllten Saal im Mannheimer Congress Center Rosengarten sprach, den sie während ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Richterin Dr. Renate Jaeger am Bundesverfassungsgericht begangen hatte: „Ich hatte Frau Dr. Jaeger einen Schlussvorschlag und ein Votum vorgelegt. Ich stand hinter ihr. Sie saß an ihrem Schreibtisch und sie las es durch und fand einen Punkt, wo ich noch etwas hätte ergänzen können. Obwohl ich hinter ihr Stand, spürte sie, dass ich mich darüber ärgerte. Sie wiederum drehte sich zu mir um und sagte: ‚Frau Barley, ich bin jetzt seit 30 Jahren Richterin. Wenn ich das hier nicht ein wenig besser könnte, dann hätte ich doch in meinem beruflichen Leben einiges falsch gemacht.‘  Das hat mich beeindruckt. Mir ist klar geworden: Natürlich darf ich einen hohen Anspruch an mich haben. Aber ich kann nicht alles können oder wissen und ich lerne jeden Tag dazu. Und wenn ich etwas nicht perfekt mache, ist es ein Ansporn dafür, es beim nächsten Mal besser zu machen, weil ich daraus gelernt habe.“

Katharina Barley
Katharina Barley sprach bei der Eröffnungsveranstaltung darüber, wie sie mit Fehlern umgeht.

DAT 2018
Eine Funkband trat bei der Eröffnungsveranstaltung auf.

Irren ist menschlich

Bei der Schwerpunktveranstaltung „Über den Umgang mit Fehlern und wohin er führt“, die von der Arbeitsgemeinschaft Kanzleimanagement organisiert wurde, ging es dagegen analytisch zu. Zu Anfang klärte Redner Ole Harders von der k.brio training GmbH zwei wichtige Begriffe: Um einen Fehler einzuordnen, müsse man zwischen kompliziert und komplex unterscheiden. Wer einen Fehler zu einem komplizierten Sachverhalt mache, hat zum Beispiel ein Fahrrad falsch zusammengebaut. Ein solches Problem könne man jedoch lösen, wenn man sich genug Wissen aneignet und die unterschiedlichen Aufgaben in Teilschritte zerlegt. Mit einem komplexen Sachverhalt ist es laut Harders anders: Egal wie tiefgehend und ausgeprägt das eigene Wissen ist, man könnte trotzdem falsch liegen. So unterlag Microsoft-Chef Bill Gates 1995 einem großem Irrtum, als er sagte: „Das Internet ist nur ein Hype.“ Und das obwohl er ein Pionier der Computertechnik ist. Mit dieser Erklärung wollte Harders klar machen: „Komplizierte Aufgaben lösen heutzutage Computer für uns – und das fehlerfrei. Die Lösung komplexer Aufgaben erfordert jedoch menschliche Kreativität.“ Unternehmen mit einer produktiven Fehlerkultur lassen Irrtümer zu, um die Kreativität ihrer Mitarbeiter nicht zu schlucken und Innovationen zu fördern. Wer etwas Neues ausprobiert, macht auch Fehler. Dienst nach Vorschrift ist zwar fehlerfrei, aber das kann auch ein Computer erledigen.“

Präsentation Fehlerkultur
Schwerpunktveranstaltung „Über den Umgang mit Fehlern und wohin er führt“

Über Fehler schweigen oder sprechen?

Bei der Veranstaltung „Mitarbeiter/-in – Kanzlei – Fehlerkultur“ wurde der richtige Umgang mit den Kanzleimitarbeiter/-innen beleuchtet, auch hier vor dem Hintergrund, möglichst vielen Fehlern vorzubeugen. Schon bei der falschen Annahme eines Telefonats könnten bedeutende Fehler gemacht werden, verdeutlichte Rechtsfachwirtin und Rednerin Sabine Jungbauer. Auch wenn Fehler scheinbar überall „lauerten“, betonte sie: „Es ist wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, die es zulässt, offen über Fehler zu sprechen.“ Eine DAT-Besucherin sah dies anders: „Wenn wir jetzt so offen über unsere Fehler sprechen, schreckt das doch Mandanten ab.“ Schlichterin Monika Nöhre von der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sieht jedoch gerade in der offenen Kommunikation mit dem Mandaten ein Mittel zur Fehlervermeidung: „Reden, reden, reden – der Mandant will seinen Anwalt hören und nicht lesen!“ In der Frage, wie offen man über Fehler sprechen sollte, ist die Anwaltschaft offenbar gespalten.

Fehler in der Justiz sind folgenreich

Fest steht: Was in einem Unternehmen Kreativität fördert, ist im Justizsystem fatal und kann Existenzen vernichten. Genau darum ging es in der Podiumsdiskussion „Fehlerkultur in der strafrechtlichen Praxis – Fehler erkennen und daraus lernen?“. An der Diskussion beteiligte sich unter anderem das prominente Justizopfer Jörg Kachelmann. Trotz der langen Haft und der Staatsgewalt, die er erlitt, sagte er: „Ich möchte Mut machen, Vertrauen in die deutsche Justiz zu haben. In meinem Fall gab es einen Freispruch und die Falschbeschuldigerin ist rechtskräftig verurteilt worden.“ Gerichtsreporterin Elke Spanner, die ebenfalls an der Diskussion teilnahm, räumte ein, dass sich Kläger und Beklagte zu oft in Kategorien von Sieg und Niederlage denken würden. Dies führe dazu, dass Ermittler mit Vorbehalten an die Aufklärung des Falles gingen. Fakten, die die anfängliche Meinung widerlegten, würden häufig ausgeblendet. Immerhin habe das deutsche Strafrecht im Revisionsrecht ein systemimmanentes Element zur Fehlerkorrektur. Um Fehler im System ging es auch bei der Veranstaltung „Gender Pay Gap – Wo liegt der Fehler?“. Den Fehler, Frauen schlechter zu bezahlen als ihre männlichen Kollegen, versucht man zum Beispiel durch das Endgeldtransparenzgesetz oder die Frauenquote zu korrigieren. Oder ist ein Kulturwandel bei den Geschlechterrollen schon im Gange und braucht keine Anstöße mehr durch Gesetze? Diese Diskussion zeigte, dass die Frage nach der Tragweite eines Fehlers stark von Werten und Ansichten beeinflusst wird.

Innovationen der „Advotech“

Parallel zu den Fachvorträgen trugen auch die Aussteller der „Advotech“ zum DAT bei. Von Dokumentenaustausch-Systemen bis hin zu intelligenter Diktiersoftware wurden zahlreiche digitale Technologien ausgestellt. In der Startup-Corner präsentierten sich junge Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen. Auch gemeinnützige Organisationen wie das Forum Junge Anwaltschaft oder die davit (Arbeitsgemeinschaft IT-Recht) waren vertreten. Hier zeichnete sich ab, wie durchdrungen die tägliche Kanzleiarbeit von Digitalisierung und Technologie mittlerweile ist. Mit dem Aufblühen der Legal Tech-Szene in Deutschland ist dies vermutlich erst der Anfang.

Die diesjährigen Diskussionen zeigen: Die Anwaltschaft tut sich schwer damit, sich mit eigenen Fehlern offen auseinanderzusetzen. Neben dem steigenden Wettbewerbsdruck wird dies auch durch die Haftung im Anwaltsberuf erschwert. Umso wichtiger ist es, dass der Deutsche Anwaltverein sich dieses sowohl unangenehme als auch wichtige Thema offiziell auf die Fahnen geschrieben hat.

Advotech des Deutschen Anwaltstag 2018
Advotech des Deutschen Anwaltstag 2018

C.H. Beck Advotech
Auch Verlage wie C.H. Beck waren auf der Advotech vertreten.

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