Personalarbeit Kanzleien

Worauf es hier ankommt und weshalb Kanzleien neben digitalen Prozessen auch ein digitales Arbeitgebergesicht brauchen sowie eine Antwort auf die Frage: Ist Social Media-Recruiting eigentlich das neue große Ding?

Im 1. Teil habe ich aufgezeigt, dass der Frage, welche Prozesse digitalisiert werden sollten, eine Bestandsaufnahme der Abläufe im Recruiting vorausgehen sollte. Denn jeder nichtfunktionierende analoge Prozess wird in digitalisierter Form nicht besser und vielleicht steht am Anfang eben auch die Feststellung, dass es für bestimmte Schritte im Recruiting bislang gar keine Abläufe gab. Nachdem wir uns mit den Prozessschritten Klärung der Vakanz, Ausschreibungen und die entsprechenden Kanäle beschäftigt haben, steigen wir heute ein:

4. Talentmanagement

Hierunter sammeln sich diejenigen Aktivitäten, die intern und extern darauf ausgerichtet sind, Positionen maßgerecht zu besetzen. D. h. z. B. eingehende Bewerbungen, die derzeit nicht mit einem passenden Angebot belegt werden können, in einem Kanal zu halten, damit sie bei Bedarf wieder angesprochen werden können. Bestenfalls heißt das aber auch, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu erfassen, dass sie für bestimmte Positionen innerhalb der Organisation weiterentwickelt werden können und sollten (damit sie nicht woanders „flügge“ werden).

Ob mittelgroße oder große Organisationseinheit: Die Aktivitäten, die unter diesem Punkt entfaltet werden können (und aus meiner Sicht auch sollten), brauchen einen Rahmen, der aufgrund der Komplexität digital gehandelt werden muss. Hier gibt es zahlreiche Datenbanken, in denen sich über Suchfunktionen unterschiedlichste Themen auswerten lassen. Hat sich erst die passende Recruiting-Software gefunden, beinhalten diese in der Regel auch Datenbanken.

5. Eignungsdiagnostik

Dieser Begriff bekommt seit einiger Zeit im HR immer mehr Gewichtung. Dies liegt zum Teil daran, dass wir es mit Verschiebungen bei der Bewertung geeigneter Kandidaten (m/w/d) zu tun haben. Es gibt Stimmen, die vollkommen weggehen von der fachlichen Qualifikation und sich mit den Soft Skills von Bewerbern (m/w/d) auseinandersetzen. In der Erfassung gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Möglich ist, dass man z. B. bereits auf der Karriereseite ein Mini-Format eines psychologischen Tests einbaut und Dinge abfragt, die auf die Motivation und die Wertestruktur eines Kandidaten abzielen.

Spätestens im weiteren Verlauf eines Bewerbungsprozederes und möglichen Assessments sind auch hier digitale Lösungen sehr sinnvoll. Zum Beispiel könnte im Schritt des Assessments mit einer Motivations-Potenzial-Analyse gearbeitet werden. Diese Methode basiert auf psychologischen und neurowissenschaftlichen Fragen, die in den Antworten Aufschluss über die Motive eines Kandidaten (m/w/d) geben. Diese Methode bieten eine Reihe von Coaches oder Beratern an. Sie können diese also als externe Dienstleistung einkaufen. Der Berater verschickt den Link, wertet aus und kann Ihnen aufgrund dieser Auswertung Antworten auf die zentralen Fragen in der Besetzung einer Schlüsselstelle geben.

6. Interview(s)

Interviewrunden werden in den meisten Kanzleien klassischerweise im ersten und letzten Schritt immer im persönlichen Gespräch geführt. In der Pandemie-Zeit konnten keine Gespräche persönlich geführt werden, so dass diese remote erledigt werden mussten, wenn man den Kandidaten (m/w/d) im Prozess trotz der Ausnahmesituation halten wollte.

Video-Interview-Formate bieten sich ganz grundsätzlich im ersten Schritt an, weil sie in der Regel zeitlich viel flexibler gestaltet werden können und hier – wie so häufig in der Praxis erlebt – dem Prozess nicht den Schwung nehmen, weil einfach zu große Zeitfenster, in denen nichts passiert, den Ablauf stören.

Checkliste – Das sollten Sie beim Bewerbungsgespräch per Video-Call beachten

Die nachfolgende Mini-Checkliste soll im Aufsetzen eines Video-Interview-Formates dabei unterstützen, die Erfahrung des Kandidaten (m/w/d) mit Ihnen als potenziellen Arbeitgeber nicht zu stören:

Ich persönlich sehe die Interviewformate per Videofunktion als ersten oder möglicherweise auch als Zwischen- Schritt. Beachtenswert in diesem Zusammenhang: Versuchen Sie das Kandidatenbild durch etwaige private Einblicke und Hintergründe bewusst nicht zu verzerren. Kandidaten (m/w/d) würde ich an dieser Stelle raten: „Bitte sorgen Sie für einen neutralen Hintergrund.“

Denn: Der Hintergrund spiegelt im positiven wie auch im negativen etwas von dem Kandidaten (m/w/d) zurück, was bewusst oder unbewusst in den Bewertungstopf geworfen wird. Dies verzerrt das Bild und die Bewertung erfolgt genau deshalb so positiv oder genau deshalb so negativ.

7. Entscheidungsfindung und Vertrag

Das Prozedere sollte hier sein: Entscheidung treffen, Entscheidung kommunizieren, eindeutiges Signal des Kandidaten (m/w/d) abholen, Vertrag aufsetzen, Vertrag unterschrieben, anderen Kandidaten absagen.

Diese Kette läuft in der Regel im Automatismus und hoffentlich in einem dynamischen Takt durch. Ist sie digital hinterlegt und im Falle eines kurzfristigen Ausfalls des Verantwortlichen dafür für alle anderen abrufbar? Noch besser: Ist der Stand des gesamten Recruiting-Prozederes einsehbar? Die Kettenreaktion, die durch die Entscheidungsfindung und das Vertragliche ausgelöst wird und eine Reihe weiterer Punkte nach sich ziehen, hat digital abgebildet u. a. den Vorteil, dass HR innerhalb eines Teams reibungslos klappt und die einzelnen Schritte wie Zahnräder ineinandergreifen können, weil ein aktueller Status quo einsehbar ist und im Falle eines Falles nahtlos übernommen werden kann.

8. Onboarding

Der Begriff des Onboardings umfasst die ganzheitliche Organisation der Einarbeitung.

Zwar ist aus dem potenziellen Kandidaten (m/w/d) bereits ein neuer Mitarbeiter (m/w/d) geworden, dennoch gehört der Teil der Einarbeitung eindeutig zur „candidate experience“. Diese ist zu Ende, wenn die Probezeit für beide bejahend ausläuft.

Praktischerweise gibt es einen Ablaufplan der ersten Tage in der Einarbeitung – der für mein Empfinden deutlich vor dem ersten Tag an den neuen Mitarbeiter (m/w/d) kommuniziert werden darf. Sprich: Uhrzeit des Erscheinens in der Kanzlei – wird empfangen durch – dann folgt z. B. Einweisung IT – Lunch mit XYZ – … usw.

Dies ist die Phase, in der die Arbeitgeber zeigen können, dass es eine richtige Entscheidung war und ist, den Vertrag bei diesem unterschrieben zu haben.

Die organisatorischen Themen im Hintergrund sind im Vorfeld folgende:

  • Wie groß ist das Zeitfenster zwischen Vertragsunterzeichnung und dem Starttermin? Für Zwischenmomente sorgen, falls zu groß: Einladung zur nächsten Orga-Runde, Lunchtermine mit zukünftigem Team organisieren usw.
  • Ist der neue Mitarbeiter (m/w/d) im gesamten IT-System erfasst und hinterlegt?
  • Welche Schulungen braucht dieser für die Tätigkeit? (ACHTUNG: Anwaltssoftware und deren Nutzung ist kein Selbstgänger und braucht in der Regel Schulung, auch wenn dieser neue Mitarbeiter (m/w/d) vielleicht mit der Software schon mal gearbeitet hat)
  • Ist die Hardware bestellt, aufgebaut und eingerichtet?
  • Sind die hausinternen Informationen an einem Platz und aktualisiert zugänglich?

Die zentrale Frage im Onboarding ist die Integration. Welchen Plan gibt es hier? Welcher der Mitarbeiter (m/w/d) im Bestand ist der Ansprechpartner? Hier sollte sowohl ein Bewusstsein als auch Kapazität für Einarbeitung gewährleistet sein. Die Erfahrung zeigt, dass neue Mitarbeiter (m/w/d) sich hier häufig als „Störenfriede“ des Tagesgeschäftes fühlen und im Falle einer Negativerfahrung inzwischen sehr schnell wieder weg sind.

Die Komplexität dieses Punktes offenbart, wie wichtig hier ein analoger Prozess ist, der in digitaler Form noch einmal neue darauf aufgesetzte Fragen aufwirft. Denn Mitarbeiter (m/w/d) digital – beispielsweise bei Homeoffice – „an Bord“ zu holen, bedeutet, diesen komplexen Prozess zu vereinfachen und den neuen Mitarbeiter remote arbeitsfähig werden zu lassen.

Gedankenanstöße dazu:

  • Equipment-Übergabe mit Vorlauf organisieren
  • Welche IT-Vorerfahrung ist vorhanden? Woran wäre anzuknüpfen?
  • Welches sind die Tools, die ein Arbeitgeber remote nutzen kann, um den neuen Mitarbeiter (m/w/d) schnellstmöglich zu integrieren?
  • Statt Blumen: Wie sieht die Welcome-Session aus? Vorstellung des Teams, regelmäßige Routinen der Abstimmung und Ansprache, Ansprechpartner bei Fragen (vielleicht auch verschiedene Ansprechpartner bei unterschiedlichen Themenbereichen, wie IT, Organisation, Fachfragen, etc.)
  • Welche wichtigen Kanzleisoftware-Kenntnisse braucht dieser neue Mitarbeiter (m/w/d) und wie können ihm diese digital vermittelt werden?

Lesen Sie in „Digitale Personalarbeit in der Anwaltskanzlei Teil I“ alles rund um die Digitalisierung von Recruiting-Prozessen und die Ausschreibung von Vakanzen – und in Teil III alles rund um Employer Branding, Personalmarketing und Social Media-Recruiting.

Foto: Adobe.Stock/©langstrup

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