Kanzleiausbildung

Von Jana Gelbe-Haußen

Wenn man in Anwaltskanzleien diese Frage stellen würde, käme sicherlich häufig die Antwort: „Wir haben hier doch genug Fachwissen von Anwalt oder Anwältin und Fachangestellter bzw. Fachwirtin in Rechtswissenschaften und Bürokommunikation und allem, was dazu gehört. Und das bisschen Erklären und Zeigen klappt doch auch.“ Zu einer ganzheitlichen Ausbildung gehört jedoch auch die Aneignung pädagogischer Qualifikationen und die strukturierte Vermittlung der Ausbildungsinhalte. In diesem Artikel erfahren Sie, welcher Hilfsmittel und Literatur Sie sich bedienen können, um erfolgreiche, eigenverantwortlich arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte auszubilden, die Ihre Kanzlei langfristig entlasten können.

Wer darf überhaupt ausbilden? Arbeits- und berufspädagogische Qualifikationen auf dem Weg ins Anwaltsbüro

Immer öfter schließen Rechtsfachwirte ihr Studium ab und belegen dann den Kurs zur Vorbereitung auf die praktische Prüfung nach der Ausbildereignungsverordnung (AEVO). Sie legen die Prüfung vor der IHK ab und bringen sich nunmehr zusätzlich mit arbeits- und berufspädagogischen Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten ausgestattet in die Ausbildung ihrer Rechtsanwaltsfachangestellten ein. Wer erfolgreich die Prüfung abgelegt hat, ist von der theoretischen Prüfung nach der AEVO befreit (§ 11 ReFaWi-Prüfungsverordnung von 2001). Dies gilt ebenso für Rechtsanwaltsfachangestellte.

In Unternehmen, die in den IHK und den HWK organisiert, oder im Öffentlichen Dienst, sind ist das – mit einer kleinen Ausnahme – Pflicht. Wer ausbilden will, muss einen Ausbilderschein sowie neben den fachlichen Voraussetzungen auch berufspädagogische Kompetenzen nachweisen können. Die vorübergehende Aussetzung hat sich nicht bewährt.

Hinweis:

Das BiBB hat in seiner Wirkungsanalyse der Aussetzung der AEVO im Zeitraum 2003 bis 2008 im Dezember 2008 nach entsprechender Evaluierung festgestellt, dass es zwar einen gewissen Zuwachs an Ausbildungsplätzen gegeben habe. Jedoch wurden eindeutig auch negative Auswirkungen festgestellt in Bezug auf die Qualität der Ausbildung, vor allem hinsichtlich des Ausbildungserfolges: „Betriebe mit AEVO-qualifiziertem Personal wichen spürbar von Betrieben ohne solche Fachkräfte ab.“ Daher wurde die Nachweispflicht, dass es Personal mit Ausbilderschein im Ausbildungsbetrieb gibt, zum Ausbildungsjahr 2009/2010 wiedereingeführt.

Immer häufiger taucht auch in der einschlägigen Fachliteratur für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte das Thema „AEVO in der Anwaltskanzlei“ in Fachbeiträgen auf. Im ZAP-Verlag ist ein „Ausbilderleitfaden“ erschienen, den Auszubildenden wird ein Azubi-Guide an die Hand gegeben. Überall wird zumindest auf die gesetzlichen Grundlagen der Berufsausbildung verwiesen (BBiG, ReNoPatAusbV, Prüfungsordnungen der Kammern, JArbSchG, JuSchG, MuSchG, BGB etc.) Doch sehr häufig setzen sich weder die Ausbilder noch die mit der Ausbildung beauftragten Fachkräfte mit den Vorschriften tatsächlich auseinander. Oft sind gar nicht alle Vorschriften bekannt, die bei der Planung und Durchführung der Ausbildung zu berücksichtigen sind. Selten wird sich mit der Struktur der Ausbildungsverordnung, dem dazugehörigen Ausbildungsrahmenplan oder dem Rahmenlehrplan der Berufsschule auseinandergesetzt.

Was ist also zu tun, damit die Ausbildung nicht „so nebenher läuft“?

  • Um sicherzustellen, dass die erforderlichen Ausbildungsinhalte vollständig und umfassend vermittelt werden, sollten regelmäßige Erinnerungen zur Nachverfolgung und Überprüfung festgelegt werden (z. B. eine Checkliste)
  • Es sollte ein universeller Ausbildungsplan erstellt werden, der individuell angepasst werden kann.
  • Kommunizieren Sie Ihrem Kanzleiteam, warum die Investition in die Ausbildung und die damit verbundene Verantwortung nicht gescheut werden sollte: Eine gut ausgebildete Fachkraft wird die Kanzlei langfristig entlasten und somit eine Bereicherung für das Team sein.
  • Signalisieren Sie Ihren Azubis, dass Sie sich nicht alleine mit den prüfungsrelevanten Ausbildungsinhalten auseinandersetzen müssen und Sie für Fragen offen sind (ggfs. in einem festgelegten Zeitfenster).

So gelingt ein Umdenken im Anwaltsbüro

In einigen wenigen Kanzleien beginnt bereits ein Umdenken. Die Ausbildungsvergütungen werden so angehoben, dass sie dem Öffentlichen Dienst oder anderen Tarifverträgen durchaus Konkurrenz machen können. Und um dann die mühsam angeworbenen Azubis erfolgreich bis zur Abschlussprüfung zu bringen, werden arbeits- und berufspädagogische Qualifikationen in die Kanzlei geholt.

Ausbildung ist selbstverständlich kein Hexenwerk. Schaut man sich jedoch im Internet um, findet man hunderte Websites, die sich mit Pädagogik, Psychologie, den unterschiedlichen Generationen, Recruiting etc. beschäftigen. Es gibt Regale voller Bücher zur Thematik „Ausbildung der Ausbilder nach der AEVO“ und „Vorbereitung auf die AEVO-Prüfung“. Es gibt Vorbereitungskurse im Frontalunterricht, im Fernunterricht mit Einsendeaufgaben und Online-Kurse. Außerdem werden Seminare für aktive und erfahrende Ausbilder und Ausbildungsbeauftragte angeboten.

Literaturhinweise und Anleitungen für eine gelungene Kanzleiausbildung

Gerade erst wurde der Rahmenlehrplan nach der Ausbildereignungsverordnung (AEVO) angepasst. Der bisherige Rahmenlehrplan stammte aus dem Jahr 2009 und bedurfte einer Überarbeitung. Die Novellierung tritt zum 01.06.2024 in Kraft, sodass die Prüfungen vor der IHK entsprechend vorzubereiten sind. Auch hier wird es wieder Lehrgänge und Seminare auch für erfahrene Ausbilder und Ausbildungsbeauftragte geben, um diese neuen Inhalte des Rahmenlehrplans in den Unternehmen umzusetzen.

Auch im Bereich der Ausbildung nach der ReNoPatAusbV erscheinen gelegentlich Bücher oder kurze Abhandlungen in Fachzeitschriften dazu, wie die Ausbildung in Anwaltskanzleien verbessert werden kann, wie Auszubildende gewonnen und gehalten werden können.

Insbesondere sei hierzu auf den Ausbilderleitfaden vom ZAP-Verlag, verfasst von Ronja Tietje und Viviane Schrader, verwiesen. Dieser richtet sich an Ausbilder und Ausbildungsbeauftragte. Darüber hinaus ist – ebenfalls im ZAP-Verlag – der Azubi-Guide Ausbildungszweig ReFa und NoFa erschienen, welcher sich an die Auszubildenden direkt wendet und Tipps zu rechtlichen Grundlagen, zum Ausbildungsablauf und Literaturhinweise gibt.

Weitere Beiträge finden sich dann in der RENOpraxis (ebenfalls ZAP-Verlag) und in der Zeitschrift „Die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten“ aus dem Kiehl-Verlag.

Damit erschöpft sich jedoch nach Kenntnis der Autorin auch schon die vorhandene Literatur zu arbeits- und berufspädagogischen Themen.

Mit der Novellierung der ReNoPatAusbV zum 01.07.2015 hat das BiBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) unter der Rubrik „Ausbildung gestalten“ Praxishilfen mit Übersichten zur Struktur der Ausbildungsordnung, der zeitlichen Planung und den zugehörigen Lernfeldern aus dem Rahmenlehrplan der KMK (Kultusministerkonferenz) herausgegeben. Enthalten waren kurze Hinweise zu aktiven Lernformen und Lernmethoden, zur vollständigen Handlung und zu didaktischen Überlegungen und Prinzipien. Allerdings scheint es keine weitere Auflage zu geben. Auf der Website des BiBB kann lediglich noch eine pdf-Datei heruntergeladen werden. Die Veröffentlichung erfolgte Ende 2014 in Zusammenarbeit mit dem RENO Bundesverband und ver.di.

Notstand in der Ausbildung von Rechtsanwaltsfachangestellten

Die BRAK-Mitteilungen 4/2023 widmen sich in ihrem Artikel „Ausbildungssituation von ReFas – Alarmstufe Rot!“ den Ursachen und Folgen von Ausbildungsabbrüchen. Neben der häufig zu geringen Ausbildungsvergütung wird dort auch unangemessenes Verhalten der Ausbilder gegenüber den Auszubildenden als Abbruchsgründe benannt. Gelegentlich liegt es auch am Verhalten der Ausbildungsbeauftragten, die oft weder Zeit noch Lust auf die ihnen übertragene Aufgabe haben. Manche Auszubildende fühlen sich vom Lehrstoff überfordert und eine hilfreiche Lösung kann in der Kanzlei nicht angeboten oder gefunden werden. Weil das erforderliche pädagogische und psychologische Know-how fehlt. Oder es fehlt der notwendige Wille bzw. auch die Zeit, sich mit dem Problem des Azubis näher zu befassen und den Ausbildungsstoff vereinfacht und verständlich aufzubereiten.

Anwaltskanzleien sollten sich klarmachen, dass die Ausbildung vielleicht doch eine kleine Wissenschaft ist, wenn die Ausbildungszahlen steigen und die rekrutierten Auszubildenden erfolgreich zur Prüfung geführt werden sollen.

Aufgrund der nicht gerade optimalen Ausbildungsvergütung und der sonstigen Bedingungen finden nicht die Besten der Besten (sehr guter Realschulabschluss oder Abitur) ihren Weg in die Anwaltskanzlei, daher sollte auch in Erwägung gezogen werden, Hauptschülern oder Realschülern mit mittlerem Notenstand die Möglichkeit zu geben, die Ausbildung zu absolvieren. Allerdings bedürfen diese Auszubildenden mehr Zuwendung und Unterstützung, um erfolgreich ans Ziel zu kommen.

Aber auch sie können die Ausbildung erfolgreich abschließen mit entsprechender arbeits- und berufspädagogischer sowie psychologischer Begleitung.

Strukturelle Probleme und Lösungsansätze

Der Forschungsbericht des Soldan Instituts (Band 23, „Berufsbildung in Anwaltskanzleien“) aus dem Jahr 2018 beruht auf Umfragen aus dem Jahr 2016 und enthält in Teil 1 Daten und Fakten zum Bereich „Ausbildung in Anwaltskanzleien“.

Dass die Ausbildungszahlen gerade im Beruf „Rechtsanwaltsfachangestellte“ extrem stark zurückgegangen sind war 2018 bereits kein Geheimnis und ist es jetzt – fünf Jahre später – erst recht nicht. Auch die Novellierung der ReNoPatAusbV zum 01.08.2015 hat hieran wenig geändert.

Die Ursachen werden in der Studie deutlich:

Unter 3.2. „Ausbildungspolitik“ wird deutlich ausgeführt, dass die Probleme der Nachwuchsgewinnung hausgemacht sind. Beispielsweise gaben 78 Prozent der im Zeitraum 25.04.2016 bis 31.08.2016 Befragten an, dass die Kanzlei ohne Rücksicht auf den perspektivisch bestehenden Mitarbeiterbedarf ausbildet. Selbstverständlich fragen potenzielle Auszubildende bzw. die Eltern minderjähriger Bewerber nach den beruflichen Perspektiven in der Ausbildungskanzlei. Und wenn es dann heißt, dass eine Übernahme nicht geplant sei, lässt das Interesse am Ausbildungsplatz natürlich nach. In der Zielgruppe dürfte weitgehend unbekannt sein, dass ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte in sehr vielen Kanzleien, die nicht selbst ausbilden, händeringend gesucht werden und die spätere Festanstellung in einer anderen Kanzlei überhaupt kein Problem darstellt. Nur 22 Prozent der Befragten gaben an, für den späteren Eigenbedarf auszubilden.

Schon unter 3.3. „Verzicht auf Ausbildung“ wird deutlich, wo weitere Probleme liegen. 48 Prozent der befragten Rechtsanwältinnen und -anwälte hatten angegeben, grundsätzlich nicht auszubilden. 55 Prozent dieser Kanzleien, die nicht ausbilden, gaben als Grund hierfür an, dass der fachliche Zuschnitt der Kanzlei die Ausbildungsinhalte nicht ausreichend abdecke.

Hinweis:

Ein Lösungsansatz könnte hier eine sogenannte Verbundausbildung im Zusammenwirken mit anderen Kanzleien sein.

39 Prozent der nicht ausbildenden Kanzleien gaben an, dass ihnen der Betreuungsaufwand für Auszubildenden zu hoch sei, 22 Prozent der nicht ausbildenden Kanzleien gaben an, dass sie keine geeigneten Ausbilder hätten.

Hinweis:

Der Lösungsansatz liegt hier in der Befähigung der eigenen Fachkräfte zur Ausbildung durch entsprechende Qualifizierung über den Ausbilderschein. So lässt sich der Betreuungsaufwand durch fachkundiges Personal reduzieren. Und mit einem Ausbilderschein gäbe es geeignete Ausbilder in der Kanzlei.

Selbstverständlich muss für die Ausbildung Zeit eingeräumt werden, die von der täglichen Arbeit der Ausbildungsbeauftragten abgeht. Die Auszubildenden werden das jedoch dankbar annehmen und frühzeitig durch eigenes aktives Tun wichtige Arbeiten selbst übernehmen können, sodass das von vielen Kanzleien in der Studie ebenfalls beklagte vermeintliche Missverhältnis zwischen Kosten und Nutzen der Ausbildung (41 Prozent der befragten nicht ausbildenden Kanzleien) verkleinert wird.

Über weitere Missstände bei den Ausbildungsbedingungen, die laut den BRAK-Mitteilungen den Notstand ausgelöst haben, ist hier nicht weiter zu diskutieren. Die Ausbildungsvergütung muss erhöht werden, um wettbewerbsfähig zu sein auf dem Ausbildungsmarkt. Und einen angemessenen Umgangston zwischen Anwältinnen und Anwälten, Mitarbeitenden und Auszubildenden muss man sich bewusst aneignen und ggf. hierfür Seminare zum Thema Personalführung und Personalmanagement belegen. Anderenfalls wird sich die Lage verschärfen und die Ausbildung von Berufen nach der ReNoPatAusbV wird irgendwann auslaufen.

Weitere Beiträge

Jana Gelbe-Haußen ist ausgebildete Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte und geprüfte Rechtsfachwirtin. Sie ist im Vorstand des RENO Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern tätig. Seit 2009 veröffentlicht sie regelmäßig Beiträge in verschiedenen Fachzeitschriften für Rechtsanwaltsfachangestellte zu unterschiedlichsten Themen, zuletzt überwiegend zur Ausbildung.

Bild: Adobe Stock/©Hero Images/Hero Images

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