
Die Anwaltsbranche befindet sich im Umbruch. Digitalisierung, Fachkräftemangel, veränderte Mandantenerwartungen, der Eintritt neuer Marktteilnehmer sowie zunehmender Wettbewerbsdruck stellen traditionelle Kanzleistrukturen vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig eröffnen sich enorme Chancen für jene Kanzleien, die bereit sind, über das klassische juristische Rollenbild hinauszudenken.
Hierbei gewinnt eine eher wenig beachtete Dimension an Bedeutung: die Unternehmerpersönlichkeit. Sie bildet die Grundlage für unternehmerisches Handeln, strategische Positionierung und nachhaltige Kanzleientwicklung. Der vorliegende Beitrag beleuchtet, warum unternehmerische Kompetenzen heute zentrale Erfolgsfaktoren sind, was alles dazu gehört – und wie Anwältinnen und Anwälte sie systematisch entwickeln können.
Unternehmerpersönlichkeit – was bedeutet das im anwaltlichen Kontext?
Der Begriff „Unternehmerpersönlichkeit“ beschreibt eine Mischung aus Denk- und Verhaltensmustern, die auf persönlicher Reife, visionärem Denken und strategischem Weitblick beruht. In der anwaltlichen Umgebung bedeutet das: Die Fähigkeit, sich selbst und die Kanzlei als unternehmerische Einheit zu begreifen und entsprechend zu führen. Diese Kompetenzen gehen weit über das juristische Fachwissen hinaus.
1. Strategisches Denken
Strategisches Denken ist ein zentraler Erfolgsfaktor für den Aufbau und das Management der eigenen Kanzlei. Es umfasst die Fähigkeit, Marktveränderungen frühzeitig zu erkennen, sich klar zu positionieren, Mandantenbeziehungen nachhaltig zu gestalten und die Kanzlei zielgerichtet weiterzuentwickeln.
Kurz gesagt: Strategisches Denken befähigt Sie als Anwältin und Anwalt, proaktiv zu gestalten statt nur reaktiv zu verwalten. Blicken Sie über den Tellerrad der juristischen Kompetenz hinaus und schaffen Sie damit die Grundlage diese in einen unternehmerischen und gesellschaftlichen Mehrwert zu transformieren.
2. Selbstführung
Entwickeln Sie ein effektives Zeit- und Prioritätenmanagement, um den Spagat zwischen Mandatsarbeit und Kanzleientwicklung zu meistern. Diese beiden Tätigkeiten unterscheiden sich von Ihrer gefühlten Dringlichkeit: Die operative Arbeit für den oder die Mandantin scheint immer dringender, denn dies fragen aktiv nach.
Steuern Sie das eigene Denken, Handeln und Verhalten bewusst und zielorientiert. Das bedeutet, sich nicht ausschließlich von den äußeren Anforderungen des Berufs – wie Fristen, Mandanteninteressen oder Gerichtsprozessen – treiben zu lassen, sondern die eigene Arbeitsweise, Prioritätensetzung und persönliche Entwicklung aktiv zu gestalten.
In der anwaltlichen Praxis ist Selbstführung eng verknüpft mit der Fähigkeit, sich selbst und die Kanzlei strategisch zu managen. Dazu gehören:
- Die klare Definition eigener beruflicher und unternehmerischer Ziele.
- Die bewusste Steuerung von Zeit, Energie und Aufmerksamkeit.
- Die Fähigkeit, sich in einem von hoher Komplexität und hohem Zeitdruck geprägten Umfeld zu fokussieren.
- Die kontinuierliche Reflexion des eigenen Handelns und Entscheidens.
Selbstführung bedeutet auch, Verantwortung für die eigene mentale und physische Resilienz zu übernehmen. Nur wer sich selbst effektiv führt, kann langfristig tragfähige Entscheidungen treffen, Mandantinnen und Mandanten souverän begleiten und den eigenen Qualitätsanspruch dauerhaft aufrechterhalten.
Im strategischen Kontext ermöglicht Selbstführung, nicht im operativen Tagesgeschäft zu verharren, sondern den Blick für zukünftige Chancen, notwendige Entwicklungen und persönliche wie unternehmerische Wachstumspfade offenzuhalten. Sie ist somit ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Anwältinnen und Anwälte, die sich als gestaltende Persönlichkeiten im Markt positionieren wollen.
3. Leadership-Kompetenz
Die Leadership-Kompetenz für Anwältinnen und Anwälte geht weit über die klassische Personalführung hinaus. Sie beschreibt die Fähigkeit, sich selbst, Teams, Mandantinnen und Mandanten und auch die Kanzlei als Organisation in eine klare, zukunftsorientierte Richtung zu entwickeln. In diesem Kontext bedeutet Leadership, bewusst Einfluss zu nehmen, ein leistungsfähiges Team zu entwickeln, Orientierung zu geben und Räume für Wachstum und Eigenverantwortung zu schaffen – bei sich selbst und bei anderen.
Für Anwältinnen und Anwälte zeigt sich Leadership-Kompetenz in drei zentralen Dimensionen:
- Selbstführung als Basis von Leadership:
Wer andere führen will, muss sich selbst effektiv führen können. Leadership beginnt damit, die eigenen Werte, Ziele und Ressourcen zu kennen und danach zu handeln. Authentizität, Verlässlichkeit und persönliche Klarheit sind die Grundlage, um von Mitarbeitenden und Mandantschaft als Führungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden. - Führung von Teams und Mitarbeitenden:
In Kanzleien bedeutet Leadership, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Talente entwickeln können, Verantwortung übernommen wird und gemeinsame Ziele klar kommuniziert sind. Eine moderne Führungskraft in der Rechtsbranche fördert Eigeninitiative, gestaltet Teamprozesse aktiv und gibt wertschätzendes Feedback. Gleichzeitig geht es darum, strategische Ziele in operative Schritte zu übersetzen und Teams dabei mitzunehmen. - Mandantenorientierte Leadership:
Anwältinnen und Anwälte mit Leadership-Kompetenz verstehen es, ihre Mandantschaft nicht nur juristisch zu begleiten, sondern als vertrauensvoller Partner zu agieren. Sie führen ihre Mandantinnen und Mandanten proaktiv durch komplexe Entscheidungsprozesse, bieten strategische Handlungsempfehlungen an und unterstützen bei der Zielerreichung – auch über den rein juristischen Rahmen hinaus.
Die Leadership-Kompetenz ist ein entscheidender Hebel, um Kanzleien nachhaltig zu entwickeln, Fachkräfte zu binden und Mandanten und Mandantinnen langfristig zu begeistern. Sie bedeuten persönliches Wachstum und Entwicklung.
4. Mandantenfokus
Der Mandantenfokus beschreibt eine konsequent mandantenorientierte Denk- und Handlungsweise, bei der die individuellen Bedürfnisse, Ziele und strategischen Interessen der Mandantschaft dauerhaft im Mittelpunkt stehen. Basis ist wiederum ein strategisches Verständnis.
Ein echter Mandantenfokus umfasst folgende Aspekte:
- Verstehen statt nur vertreten:
Strategisch denkende Anwältinnen und Anwälte gehen über die rechtliche Fragestellung hinaus. Sie setzen sich intensiv mit der Branche, den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den unternehmerischen Zielen des Mandanten oder der Mandantin auseinander. Sie fragen nicht nur „Was ist rechtlich möglich?“, sondern „Was ist für ihn oder sie strategisch sinnvoll?“ - Proaktive Begleitung:
Mandantenfokus bedeutet, vorausschauend zu handeln. Anwältinnen und Anwälte mit Mandantenfokus entwickeln frühzeitig Lösungen, weisen aktiv auf Risiken hin und bieten Handlungsoptionen an, bevor ein Mandant sie einfordert. Sie positionieren sich als Sparringspartner und vertrauenswürdige Beraterinnen und Berater, nicht nur als juristische Dienstleister. - Langfristige Beziehungsgestaltung:
Mandantenfokus zeigt sich in einer klaren Ausrichtung auf nachhaltige, vertrauensvolle Beziehungen. Hierbei stehen Wertschätzung, Erreichbarkeit, Verlässlichkeit und echte Lösungsorientierung im Vordergrund. Mandantinnen und Mandanten schätzen Partner, die ihre Situation verstehen, strategisch mitdenken und auch in schwierigen Situationen souverän begleiten. - Anpassung von Kanzleistrategie und -prozessen:
Ein echter Mandantenfokus spiegelt sich auch in der internen Organisation der Kanzlei wider: Durch optimierte Kommunikationsprozesse, digitale Schnittstellen, transparente Honorarstrukturen und individuell abgestimmte Dienstleistungen wird Mandantenorientierung messbar und erlebbar.
Mandantenfokus bedeutet im Kern: Den Mandanten als Partner zu betrachten – mit seinen oder ihren Zielen, Herausforderungen und Erfolgsfaktoren.
Diese Haltung ist entscheidend, um sich im Markt differenzieren zu können und eine nachhaltige Wettbewerbsposition zu sichern.
Typische Blockaden auf dem Weg zur Unternehmerpersönlichkeit
Viele Anwältinnen und Anwälte tun sich allerdings schwer mit dem Rollenwechsel zum Unternehmer oder zur Unternehmerin. Gründe dafür sind unter anderem:
- Juristische Sozialisation: In Studium und Referendariat steht die Fehlervermeidung im Fokus – unternehmerisches Denken verlangt jedoch Kreativität, Mut und Risikoakzeptanz.
- Perfektionismus: Der Anspruch, alles selbst und fehlerfrei zu erledigen, verhindert Delegation und strategische Arbeit am Unternehmen.
- Unsicherheit in unternehmerischen Themen: Viele fühlen sich in Bereichen wie Positionierung, Marketing oder Führung unsicher – und meiden sie deshalb.
Unternehmerpersönlichkeit entwickeln – ein strategischer Prozess
Die gute Nachricht: Unternehmerisches Denken ist erlernbar. Persönlichkeitsentwicklung ist kein Zufall, sondern ein systematischer Prozess, der bewusst angestoßen und begleitet werden kann.
Mögliche Ansätze:
- Kontinuierliche Selbstreflexion und Selbstcoaching: Es spricht nichts dagegen, sich zunächst eigenständig auf die Entwicklungsreise zu begeben, um eine persönliche Inventur vorzunehmen sowie die Entwicklungsfelder zu identifizieren. Anschließend ist es jedoch wichtig, in irgendeiner Form Reflexion von außen zu erhalten, um die blinden Flecken sichtbar zu machen und wirkliches Wachstum anzusteuern.
- Coaching und Mentoring: Ist eine hervorragende Möglichkeit, professionelle Begleitung bei Selbstreflexion, Mindset-Arbeit und Kompetenzaufbau zu erhalten.
Coaching unterstützt dabei, durch professionelle Begleitung eigene Lösungen und Potenziale zu entwickeln. Der Coach steuert den Prozess, liefert aber keine fachlichen Inhalte oder direkten Ratschläge.
Mentoring hingegen basiert auf einem Wissenstransfer: Der Mentor oder die Mentorin teilt aktiv eigene Erfahrungen, Netzwerke und Best Practices und unterstützt den oder die Mentee bei der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung durch konkrete Empfehlungen.
- Leadership-Programme sind ebenfalls hervorragende Möglichkeiten zur Entwicklung unternehmerischer Führungspersönlichkeit durch professionelle Begleitung. Diese Programme finden in der Regel in Gruppen statt und bieten Austausch mit Gleichgesinnten. Dabei kann ein entsprechendes Programm entweder kanzleiintern oder in externen Formaten stattfinden.
- Peer-Formate und Austausch: Der Dialog mit anderen Anwältinnen und Anwälten, die in den unternehmerischen Themen bereits ein hohes Entwicklungsniveau besitzen fördert ebenfalls neue Perspektiven und Lösungsansätze.
Fazit: Zukunft gestalten statt verwalten
Der Wandel der Anwaltsbranche ist nicht aufzuhalten – aber gestaltbar. Wer als Anwältin oder Anwalt unternehmerisch denkt, führt nicht nur seine Kanzlei in eine stabile Zukunft, sondern profiliert sich auch als echter Mehrwertpartner für Mandantinnen und Mandanten.
Die Unternehmerpersönlichkeit ist dabei kein angeborenes Talent, sondern ein Erfolgsfaktor, der kultiviert und gestärkt werden kann. Sie zu entwickeln ist kein Luxus – sondern unternehmerische Pflicht.
Sind Sie als Anwalt bzw. Anwältin auch schon Unternehmerpersönlichkeit?
Marloes Göke ist Expertin für selbstbestimmtes Unternehmertum. Als Unternehmensberaterin mit betriebswirtschaftlichem und psychologischem Studium unterstützt sie inhabergeführte Unternehmen und Selbständige dabei, sich stärker zu professionalisieren — mit dem Ziel, ein selbstbestimmtes und erfolgreiches Unternehmen und Privatleben zu führen. Zu ihren Klienten gehören Steuer- und Anwaltskanzleien deutschlandweit. Ihr Buch „Selbstständigkeit ohne Selbstaufgabe“ ist im Haufe Verlag erschienen.