Coronakrise Anwaltschaft

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie machen auch vor der Anwaltschaft nicht Halt. Doch während die einen Kanzleien mit Mandatsrückgängen kämpfen, können beispielsweise Arbeitsrechtler sich vor Anfragen kaum retten. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat in einer repräsentativen Umfrage ermittelt, wie die wirtschaftliche Lage von Anwältinnen und Anwälten genau aussieht. BRAK-Präsident Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels erläutert im Interview, welche Konsequenzen sich aus der Umfrage ergeben.

Herr Dr. Wessels, wie wird die BRAK die Statistiken der Umfrage nutzen?

Die BRAK hat sich in vielfältiger Weise für die deutsche Anwaltschaft stark gemacht, um den Auswirkungen der Coronakrise zu begegnen und die Bedeutung der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege gerade auch in Krisenzeiten zu betonen. So haben wir uns in vielen Bundesländern erfolgreich für die Systemrelevanz eingesetzt und Stellungnahmen zu „Corona-Gesetzen“ abgegeben. Auch für die Berücksichtigung der Anwaltschaft bei den Soforthilfen setzen wir uns nach wie vor ein.

Damit wir das auch weiterhin können, haben wir die Umfrage als Bedarfsanalyse konzipiert, um besser abschätzen zu können, bei welchen berufspolitischen und wirtschaftlichen Themen die BRAK im Zusammenhang mit der Coronakrise weiter ansetzen sollte. Wir wollen so ermitteln, in welchen Bereichen die deutsche Anwaltschaft derzeit am meisten Unterstützung benötigt.

Kürzlich hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) eine Aussetzung des Entzugs der Anwaltszulassung beim Vermögensausfall gefordert, um Berufsträger, die durch Corona in finanzielle Not geraten, zu schützen. Die BRAK hält diese Maßnahme im Sinne des Verbraucherschutzes nicht für sinnvoll. Wie kommt es, dass der DAV und die BRAK hier so unterschiedlicher Meinung sind?

Das ist eine gute Frage, die wir letztlich jedoch nicht beantworten können. Wir von der BRAK halten die bestehenden gesetzlichen Regelungen für in sich konsistent und sind der Auffassung, dass sie keiner Ergänzung bedürfen.

Die gesetzlichen Regelungen zum Widerruf der Zulassung bei Vermögensverfall existieren vor allem zum Schutze der Mandanten, deren Interessen nicht gefährdet werden sollen. Mandanten haben daher nicht ohne Grund ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihren Anwältinnen und Anwälten. Dieses Vertrauen darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Für den rechtssuchenden Mandanten ist es einerlei, ob ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin wegen der Pandemie oder aus sonstigen Gründen in Vermögensverfall gerät. Die schützenswerten Interessen sind stets gleich und gleich wichtig. Diese Auffassung teilt auch Frau Bundesjustizministerin Lambrecht, die eine Änderung der BRAO ebenfalls für nicht sachgerecht hält.

Die Unterstützung, die Anwältinnen und Anwälte in dieser Krisenzeit erhalten, ist – je nachdem in welchem Bundesland sie sind – ja sehr unterschiedlich. In welchen Regionen Deutschlands sehen Sie den meisten Unterstützungsbedarf? Welche Bundesländer sind gut aufgestellt?

Es ist richtig, dass in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Formulare etc. für die Beantragung von Soforthilfen existieren. Zum Teil kann man sogar online Anträge stellen. Eins ist jedoch beinahe allen Ländern gemein: Die Antragsvoraussetzungen passen nicht zu den Bedürfnissen der Anwaltschaft. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben zum Teil recht zeitverzögert mit Liquiditätseinbußen zu rechnen. Sie werden jetzt noch Einnahmen aus Vorschüssen oder bereits bearbeiteten Mandaten zu verzeichnen haben. Allerdings ist bereits jetzt – was unsere Umfrage bestätigt hat – bei einer nicht unerheblichen Zahl von Kolleginnen und Kollegen ein Rückgang von Neumandaten zu verzeichnen.

Insofern können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte derzeit (noch) nicht effektiv darlegen, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um aktuelle Verbindlichkeiten zu decken. Ein möglicher vorübergehender Engpass, der keineswegs die Qualität des Vermögensverfalls erreichen muss, wird sich erst später einstellen. Die Anwaltschaft muss als eines der tragendenden Elemente unseres Rechtsstaates unterstützt werden. Die Antragsvoraussetzungen könnten daher so ausgestaltet werden, dass die konkrete Darlegung und Glaubhaftmachung ausreicht, dass die Aufträge (unter Angabe des Streitwerts oder der erwarteten Gebührenhöhe) seit der Pandemie im Vergleich zu den Vormonaten um ein bestimmtes Maß zurückgegangen sind.

Man sollte am Auftragsvolumen statt an den konkret im Betrachtungszeitraum eingegangenen Gebühren anknüpfen.

Sie sagen, dass die wirtschaftlichen Einbußen der Anwaltschaft sich eher mittelfristig bemerkbar machen werden. Wann schätzen Sie, wird die Krise auch wirtschaftlich bei den Anwälten deutlich spürbar?

Die Selbsteinschätzung der Kolleginnen und Kollegen, wann sie mit einer Überwindung der wirtschaftlichen Auswirkungen rechnen, zeigt deutlich, dass die Anwaltschaft jedenfalls vorübergehend mit Liquiditätsengpässen zu rechnen hat: 36,98 Prozent rechnen damit, die wirtschaftlichen Auswirkungen binnen sechs Monaten überwinden zu können, 23,88 Prozent binnen eines Jahres und 4,35 Prozent binnen zwei Jahren. Lediglich 23 Prozent gaben an, dass bisher keinerlei wirtschaftliche Einbußen entstanden sind. Die Anwaltschaft ist daher von der Krise mittelfristig recht deutlich betroffen.

Warum sind Steuererleichterungen die geeignete Maßnahme, um Anwältinnen und Anwälten in der Krise unter die Arme zu greifen?

Genau wie für alle am Wirtschaftsleben Beteiligten sind Steuererleichterungen eine von vielen möglichen Unterstützungsmaßnahmen. Eine Stundung kann natürlich auch dazu beitragen, Belastungen zu reduzieren. Wir sind aber der Auffassung, dass weitere zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind. Insbesondere bei den Soforthilfen muss auch die Anwaltschaft berücksichtigt werden. Eine aktive Liquiditätsunterstützung ist natürlich eine größere Hilfe als Stundungen.

Die BRAK-Umfrage zur wirtschaftlichen Situation der Anwaltschaft in Zeiten von Corona hat ergeben, dass Straf- und Verkehrsrechtler am meisten Mandatseinbrüche verzeichnen. Gibt es eine Erklärung dafür, warum diese Rechtsgebiete am meisten betroffen sind?

Im Gesamtkontext der Coronakrise ergibt sich aktuell ein sehr spezieller Rechtsberatungsbedarf (z. B. im Arbeitsrecht, Insolvenzrecht, Familienrecht oder Leistungsverweigerungsrecht). Teilweise muss kurzfristig mit einstweiligen Anordnungen reagiert werden. Der Anwalt bzw. die Anwältin ist hier erster Ansprechpartner für Rechtssuchende. Viele Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert, was sie aktuell persönlich dürfen und was nicht. Gleichzeitig stellen sich Fragen rund um die berufliche Existenz, da viele Geschäfte und Betriebe schließen mussten und erst allmählich erste Lockerungen möglich sind. Demgegenüber hat der Rechtsberatungsbedarf auf anderen Gebieten infolge der Pandemie abgenommen, beispielsweise im Strafrecht oder Prüfungsrecht. Das liegt unter anderem daran, dass sich Bürgerinnen und Bürger an Ausgangsbeschränkungen gehalten haben und insbesondere Prüfungen abgesagt wurden.

Herr Dr. Wessels, ich danke vielmals für das Gespräch.

Hier geht es zur BRAK-Umfrage über die Auswirkungen der Coronakrise auf die deutsche Anwaltschaft :

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Foto: Adobe.Stock/©itchaznong

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