Ich kann mich noch genau an meinen ersten Vertrag erinnern, den ich als junger Anwalt verfassen sollte. „Entwerfen Sie mal einen Kreditvertrag.“ Mehr Anweisungen gab es nicht und das von mir entworfene Ergebnis war mehr als verheerend. Zwar mit Ansage, aber ich hatte niemanden, der mir damals eine Einführung in das Thema „Vertragsgestaltung“ gegeben hätte.
Bis zum „guten“ Vertrag dauerte es noch einige Jahre, viele Vertragsentwürfe und so manche (streitige) Diskussion. Rückblickend auf diese Jahre ist in mir die Erkenntnis gereift, dass es zwar einerseits eine profunde juristische Ausbildung braucht, am Ende aber auch einfache Regeln beachtet werden müssen, damit ein Vertrag „funktioniert“ und für Nichtjuristen (also die meisten Mandanten) verständlich ist.
Zusammengefasst habe ich dies in meinem Buch „Verträge verstehen für Nichtjuristen“ (redline-Verlag). Daraus möchte ich Ihnen meine sechs goldenen Vertragsregeln vorstellen.
Ein Vertrag zieht nur das nach, was wirtschaftlich gewollt und vereinbart ist.
Wir Juristen nehmen uns gerne das ein oder andere Mal sehr wichtig und erklären dem Mandanten, wie ein Vertrag auszusehen hat – und dann wird versucht, das wirtschaftlich Gewollte irgendwie in den Vertrag zu pressen. Bei Klausuren hat man früher von „Sachverhaltsquetsche“ gesprochen. Erinnern Sie sich? Und genau das machen wir leider auch zu oft mit Verträgen. Also: Erst einmal abklären, was kommerziell gewollt ist und dann den Vertrag entwerfen. Klingt logisch? Wird nur nicht immer gemacht!
Zwei Beispiele:
1) Der Anwalt glaubt, dass der Mandant in seiner Rolle als Vermieter einer Gewerbeimmobilie möglichst viele Pflichten auf den Mieter (z. B. Versicherung, Reinigung der Freiflächen etc.) abwälzen möchte. Wille des Vermieters kann es aber durchaus sein, diese Pflichten selber zu übernehmen, wenn er diese wirtschaftlich sinnvoll in den Mietpreis eingepreist hat. Dies kann der Fall sein, wenn er glaubt, dass er den Pflichten selber besser nachkommen kann oder weil es ihm wichtig ist, dass seine Immobilie stets einen gepflegten Eindruck erweckt.
2) Der 65-jährige Mandant hält ein Patent auf eine neue Maschine und möchte sich mit einem Investor zusammenschließen, damit einige Prototypen dieser Maschine gebaut werden können. Der Anwalt entwirft einen Gesellschaftsvertrag, der auch das Wachstumsszenario des Unternehmens abbildet, d. h., er entwirft Regelungen zur Aufnahme weiterer Gesellschafter für den Fall, dass der Vertrieb deutschlandweit startet. Auch Regelungen zur Geschäftsverteilung (Produktion, Vertrieb, Marketing, Verwaltung) werden detailliert geregelt. Der Mandant möchte aber nach Erreichung der Marktreife eigentlich nur Lizenzen vergeben, niemals selber in die Produktion und den Vertrieb starten, da er sich dafür schon als zu alt ansieht.
Ein Vertrag wird nur unterschrieben, wenn ALLE BETEILIGTEN ALLES verstanden haben.
Auch diese Regel ist klar, weil man ja sonst eventuell eine Waschmaschine gekauft hat (zumindest bei Verkäufern, die nur alte Witze auf Lager haben und nur dann, wenn Sie die Irrtumslehre vergessen haben). Aber wie oft entwerfen wir Verträge, bei denen wir Klauseln (die wir aus anderen Verträgen entnommen haben) nicht verstehen oder akzeptieren, oder Verträge, bei denen Unklarheiten bestehen? Manchmal aus Scham, um sich nicht zu blamieren, manchmal aus Gründen der Oberflächlichkeit. Und was machen der Anwalt und sein Mandat, wenn sie etwas nicht verstehen? Genau: fragen. Und das so lange, bis alles verstanden wurde. Die Sesamstraßen-Gucker unter Ihnen werden das System kennen…
Ein Vertrag braucht keinen Schönheitspreis. Er muss klar und verständlich sein. So knapp wie möglich, so ausführlich wie nötig.
Kennen Sie Kollegen, die stundenlang an Verträgen rumdoktern, in der Hoffnung, hierfür den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu bekommen? Oder vielleicht auch, weil Sie einfach nicht abgeben können? Verträge sollten stimmig, richtig interpunktiert und möglichst nicht mit Rechtschreibfehlern ausgestattet sein. Es ist sogar erlaubt, nach weniger als 20 Wörtern einen Punkt („.“) zu machen und erst danach einen neuen Satz zu beginnen. Aufzählungen sind zwar sprachlich simpel, aber es funktioniert und das Wichtigste: Viel mehr Leute werden Sie verstehen.
Hamstern sollten wir bei Verträgen auch nicht. Klar, ich finde auch fast täglich in irgendeinem Vertrag eine tolle Klausel, aber muss ich die deshalb gleich in alle meine Verträge einbauen? Nein, nur wenn ich sie brauche und nicht, weil ich mich doppelt und dreifach absichern möchte (gegen was eigentlich?).
Ein Vertrag ist niemals richtig oder falsch. Er muss nur das wiedergeben, was die Vertragsparteien wollen.
Diese Regel klingt erst einmal seltsam. Gerade Berufsanfänger haben beim Abfassen von Verträgen den tiefen Drang, alles absolut gesetzeskonform niederzuschreiben. Natürlich gibt es rechtliche Grenzen (das Recht der AGBs, Verbraucherschutz etc.), es gibt aber auch die Vertragsfreiheit und Parteiautonomie. Vergessen Sie dies nicht und lassen Sie, gerade im B2B-Bereich, den Parteiwillen regieren!
Ein Vertag muss alles enthalten, was geregelt werden soll.
…und Nebenabsprachen sind zu vermeiden. Vertrauen ist gut, Hinschreiben ist besser. Nicht selten erlebe ich es, dass eine der Vertragsparteien das Blaue vom Himmel zusagt, es aber partout nicht im Vertrag niedergeschrieben sehen will. Hier werden dann interne Gründe („die Rechtsabteilung“, „bloße Formalie“) vorgeschoben, die Sie bitte niemals überzeugen sollten.
Ein Vertrag, der nach seiner Unterschrift noch einmal geändert werden muss, kostet Geld.
In unzähligen Fällen mussten Verträge im Nachgang wieder geändert werden, weil die Parteien sich vorher nicht ausreichend Gedanken über bestimmte Punkte gemacht haben. Nun könnte man sagen, dass dies gut für uns Juristen ist, da wir erneut verdienen. Es kann aber in manchen Fällen auch der unterschwellige Vorwurf entstehen, dass man als Anwalt selber unsorgfältig gearbeitet und zu wenig mitgedacht hat. Wenn Sie Ihre Mandanten aktiv darauf hinweisen, werden sie es Ihnen mit Vertrauen, Bindung und Weiterempfehlungen danken.
Fazit: Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche!
Verträge sind das Fundament für wirtschaftlich Gewolltes. Nicht mehr und nicht weniger. Meine sechs goldenen Regeln sind eine erste Hilfe, um dies umzusetzen. Vielleicht finden Sie zusätzlich zu diesen auch noch eine persönliche goldene Regel, die Sie beim Mandanten und in der Vertragsverhandlung erfolgreich macht.
Das Buch von Dr. Jörg Kupjetz:
Verträge verstehen für Nicht-Juristen
249 S., redline Verlag, EUR 16,99
ISBN: 978-3-86881-676-1