
Vom 5. bis 6. Juni fand in Berlin der diesjährige Anwaltstag unter dem Motto „Rechtsstaatlichkeit stärken – Freiheit bewahren“ statt. Die Besucherinnen und Besucher erwarteten zahlreiche Vorträge zum Motto sowie spannende Lösungen für die Branche auf der AdvoTec. Die Eröffnungsveranstaltung begann mit einem Grußwort von DAV-Präsident Stefan von Raumer, der dem Publikum viele nachdenkliche Impulse zum Motto mitgab. Warum wurde gerade dieses Motto für den diesjährigen Anwaltstag gewählt? Dass der Schutz des Rechtsstaats auch hierzulande thematisiert werden muss, zeigte sich in den letzten Wochen anhand eines Beispiels: Denn erst kürzlich verurteilte der DAV die Bedrohung von Berliner Verwaltungsrichter:innen, die im Zuge einer Eilentscheidung die Zurückweisungen von Asylsuchenden für rechtswidrig erklärt hatten.
In Zeiten steigender Gewalttaten im öffentlichen Raum, die von einem erheblichen Medieninteresse begleitet werden, mahnte von Raumer zudem: Bei Rufen nach mehr Sicherheit müsse man immer einkalkulieren, dass diese auf Kosten der Freiheit gehen können. Zwischen Sicherheit und Freiheit müsse deshalb stets eine Balance bestehen. Vor allem sollten Freiheitsrechte nicht für Symbolpolitik aufs Spiel gesetzt werden.
Zugänge zum Recht: Welche neuen gibt es, welche werden weniger genutzt?
Wie hat sich der Zugang zum Recht in Deutschland verändert und welche Hürden gibt es? Am Donnerstagnachmittag ging eine Diskussionsrunde, an der unter anderem Dr. Cord Brügmann von der Stiftung Forum Recht und Paula Edling vom Projekt „Zugang zum Recht in Berlin“ teilnahmen, diesen Fragen nach.
Auch die Studierendenschaft war hier in Form des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. und des Dachverband Studentischer Rechtsberatungen e.V. vertreten. Jurastudierende haben in den letzten Jahren durch die Etablierung von Law Clinics einen neuen Zugang zum Recht geschaffen und diesen verbessert. Diese finanzieren sich in der Regel durch Spenden. Da viele Rechtsuchende aber mit sehr vielseitigen Fragen auf diese zukommen – beispielsweise Geflüchtete mit Fragen wie: Wann darf ich arbeiten? Wie kann ich in Deutschland bleiben? – sind die Studierenden auf die Kooperation und das Engagement der Anwaltschaft angewiesen und erhoffen sich hier gerade in ländlichen Regionen mehr Unterstützung.
Bei der Entwicklung der Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe sieht es derzeit anders aus. Paula Edling, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Zugang zum Recht in Berlin“, erklärte zu den empirischen Daten in Berlin, dass in letzten 20 Jahren hier ein starker Rückgang zu beobachten sei. Gerade mal in weniger als zwei Prozent der Verfahren werde überhaupt PKH beantragt.
Wer über den Zugang zum Recht diskutieren möchte, kann dies übrigens im Rahmen der neuen Stiftung Forum Recht tun. Dr. Cord Brügmann, der Direktor der Stiftung, erklärte das Ziel der Stiftung wie folgt: Sie soll Räume schaffen, in denen Menschen über ihre Erfahrungen mit dem Recht und dem Rechtsstaat sprechen können.
Künstliche Intelligenz in der Praxis: Zwischen Zeitfressern und Effizienz
Beim Diskussions-Panel in der AdvoTec zum Thema „Einsatzmöglichkeiten von KI in der Kanzlei“ diskutierten Vertreter:innen führender Softwareanbieter wie Wolters Kluwer, RA-MICRO, BRYTER und Prime Legal über den praktischen Einsatz von KI in der Kanzlei. Im Fokus: KI als Assistenzsystem, das zeitintensive Aufgaben wie Gutachten, Klagen oder die Wissensvermittlung erleichtern kann. „Fragen Sie sich: ‚Wo verliere ich die meiste Zeit?‘“, riet Michael Friedmann.
Dr. Micha-Manuel Bues betonte, dass künftig jede Kanzlei KI nutzen werde. Voraussetzung sei jedoch Schulung und die damit einhergehende Methodenkompetenz – denn die KI-Nutzung ist unter anderem dem in diesem Jahr veröffentlichten AI Act unterworfen.
Und so gab es auch unter den Zuhörenden einige Frage zu den Themen Datenschutz und Haftung. Alle anwesenden Software-Anbieter versicherten, dass man ihre KI-Lösung haftungssicher und datenschutzkonform nutzen könne. Für die weitere rechtskonforme Nutzung stehe bei einzelnen Lösungen zudem eine Anonymisierungssoftware bereit, mit der Schriftstücke und Dateien vor dem Upload geschwärzt werden können.
Die Kanzlei als Unternehmen: Welche Führung braucht es?
Es wird für Kanzleien zunehmend schwerer, qualifizierte ReNos zu finden – umso wichtiger sei es, gezielt Aufgaben zu verteilen, selbst auszubilden und Teamarbeit neu zu denken, plädierte Rechts- und Notarfachwirtin Ronja Tietje. Ziel müsse es sein, dass sich Anwält:innen auf ihre juristische Tätigkeiten zu fokussieren und administrative Aufgaben konsequent abgeben, so RAin Cornelia Süß.
Auch die Außendarstellung sei entscheidend, um neue Fachkräfte zu gewinnen. Ronja Tietje riet: Wer Stellen ausschreibt, sollte klar definieren, wen man sucht – und den eigenen Stil zeigen, auch mit Humor. Positive Beispiele zeigten, dass es funktioniere.
Eine der drängenden Frage im Rahmen des Fachkräftemangels: Warum wandern Auszubildende im Anschluss in die Justiz oder Wirtschaft ab? Die Antwort lautete häufig: zu viel Druck, zu viele Telefonanfragen. Der Rat: mehr E-Mail-Kommunikation, mehr Rücksicht – und echte Perspektiven zur Weiterentwicklung.
Außerdem brauche es flexible Arbeitszeitmodelle und mehr Einbindung der Mitarbeitenden, um auch langfristig eine gute Zusammenarbeit für beide Seiten zu gewährleisten.
Kann KI auch Mediation?
In einem interaktiven Workshop diskutierten RA Dr. Thomas Lapp, RA Trixi Hoferichter und RA Yvonne Rossmann gemeinsam mit dem Publikum, ob und wie Sprachmodelle wie ChatGPT in der Mediation eingesetzt werden können. Ausgangspunkt war die Frage, ob KI heute überhaupt in der Lage ist, in konfliktgeladenen Situationen echten Mehrwert zu liefern – oder ob die „kalte“ KI mit den Grundprinzipien der Mediation unvereinbar ist.
Zu Beginn ging es um gutes Prompting ganz allgemein: Wie muss ein KI-Prompt aufgebaut sein, um eine strukturierte, hilfreiche Antwort zu erzeugen? Yvonne Rossmann empfahl, Prompts kompakt zu halten – bei zu langen Eingaben drohe sogenannte „Prompt Fatigue“. Das heißt, die KI ist mit zu vielen Anfragen auf einmal überfordert und beantwortet diese nur unzureichend. Außerdem regte sie an, Ergebnisse mit einem zweiten Tool zu prüfen, um die Antworten zu validieren.
Aus dem Publikum gab es einige skeptische Stimmen zum Thema KI und Mediation: In emotional aufgeladenen Konflikten sei ein flexibles, menschliches Gespür unerlässlich. Zudem, so die Sorge, könne die KI zu starre Lösungswege vorschlagen und alternative Sichtweisen dadurch verloren gehen.
Doch in der Live-Demo zeigte sich, dass ChatGPT, gefüttert mit den Prinzipien der Mediation, zumindest als ergänzenden Werkzeug durchaus seine Dienste leisten und die Bedürfnisse und Sorgen der Partien gemäß den Mediationsgrundsätzen sehr gut aufschlüsseln und Lösungsansätze ausarbeiten kann. Und eins ist immerhin sicher: Die KI ist unparteiisch.
Und auch beim Thema Verhandlungen generell könne ein Chatbot wie ChatGPT helfen, die eigenen Argumente zu prüfen und auszuarbeiten, sowie sich auf die potenziellen Argumente der Gegenseite vorzubereiten.
Anwaltsmarkt 2025: Mehr weibliche Studienanfänger = mehr Anwältinnen?
Getreu der Tradition eröffnete Prof. Dr. Matthias Kilian auch den diesjährigen Anwaltstag am Freitagnachmittag mit einem Vortrag über aktuelle Entwicklungen auf dem Anwaltsmarkt. Dabei richtete er ein besonderes Augenmerk darauf, wie sich der hohe Anteil weiblicher Studienanfänger:innen in Jura langfristig in der Anwaltschaft bemerkbar macht. Denn die Anwaltschaft ist nach wie vor männlich dominiert. Prof. Kilian verdeutlichte dies anhand eines Beispiels und berichtete von den Biografien von 20 seiner ehemaligen Mitarbeiterinnen. Von diesen hochqualifizierten Juristinnen sei derzeit nur (noch) eine in der Anwaltschaft tätig. Von diesen hochqualifizierten Juristinnen ist derzeit nur eine in der Anwaltschaft tätig. Der Rest zog eine Tätigkeit für den Staat oder im Unternehmen vor.
Auf eine in den vergangenen Jahren weniger deutlich angesprochene Entwicklung machte Prof. Kilian zudem aufmerksam: Männliche Berufsträger wählen häufiger Fachanwaltschaften wie das Wirtschaftsrecht, Strafrecht und Verwaltungsrecht. Was bedeutet das für die anstehende Rentenwelle? Da die männlichen Berufsträger vor allem in den geburtenstarken Jahrgängen überrepräsentiert sind, wird um das Jahr 2030 herum ein Rückgang spezialisierter Anwälte in diesen Rechtsgebieten zu beobachten sein. Dieser Rückgang wird durch die nachfolgenden Generationen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aufgefangen werden.