quereinsteiger-bescheinigungen

Von Jana Gelbe-Haußen

Der erste Teil unserer zweiteiligen Artikelreihe beschäftigte sich mit der Frage, wie Quereinsteiger in der Kanzlei eingearbeitet werden können und welche haftungsrechtlichen Probleme auftreten können. In diesem zweiten Teil wird nun die Frage beantwortet, ob und wie sich ein Quereinsteiger oder eine Quereinsteigerin die in der Kanzlei erworbenen Fachkenntnisse bescheinigen lassen kann.

Ein Quereinsteiger kann sich in seiner beruflichen Tätigkeit noch so besonders gut entwickeln und die Kanzlei vielleicht nach einiger Zeit allein „schmeißen“. Dennoch bleibt das haftungsrechtliche Problem: Das fachfremde Personal ist keine ausgebildete und langjährig erprobte Fachkraft, der das Fristenmanagement übertragen werden darf und die nur noch stichprobenartig überwacht werden kann.

1. § 45 Abs. 2 BBiG

Auf Nachfrage in einer Facebook-Gruppe berichtete eine Kollegin, dass sie zunächst eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert und in diesem Beruf auch Erfahrungen gesammelt habe, sich aber schon länger für juristische Themen interessierte. So begann sie eine Tätigkeit als Quereinsteigerin in einer Anwaltskanzlei und legte später die Prüfung zur Rechtsanwaltsfachangestellten ab. Grundlage für diesen Werdegang stellt § 45 Abs. 2 BBiG dar:

§ 45 Zulassung in besonderen Fällen

(2) Zur Abschlussprüfung ist auch zuzulassen, wer nachweist, dass er mindestens das Eineinhalbfache der Zeit, die als Ausbildungsdauer vorgeschrieben ist, in dem Beruf tätig gewesen ist, in dem die Prüfung abgelegt werden soll. Als Zeiten der Berufstätigkeit gelten auch Ausbildungszeiten in einem anderen, einschlägigen Ausbildungsberuf. Vom Nachweis der Mindestzeit nach Satz 1 kann ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn durch Vorlage von Zeugnissen oder auf andere Weise glaubhaft gemacht wird, dass der Bewerber oder die Bewerberin die berufliche Handlungsfähigkeit erworben hat, die die Zulassung zur Prüfung rechtfertigt. (…)“

Die Anwaltskanzlei, die Quereinsteiger beschäftigt, kann also nach viereinhalb Jahren und einer sehr guten Prüfungsvorbereitung (z. B. beim örtlichen RENO-Verband oder anderen Anbietern) ausgebildete Fachkräfte entwickeln. 

Erforderlich ist die Erlangung der vollständigen beruflichen Handlungsfähigkeit nach der ReNoPatAusbV und die Teilnahme an der Prüfung, die gleichzeitig mit den Abschlussprüfungen der „normalen“ Auszubildenden bei den Rechtsanwaltskammern abgenommen werden.

Positive Nebeneffekte für Kanzlei und Beschäftigte:

Nach der Prüfung und einer weiteren kurzen Überwachungsfrist kann dieser neuen Fachkraft nun auch das Fristenmanagement übertragen werden und muss nur noch stichprobenartig überprüft werden. Die Berufsträgerinnen und Berufsträger werden entlastet.

Die neue Fachkraft erhöht ihren Wert auf dem Arbeitsmarkt. Eine bundesweite Umfrage der Autorin unter den Rechtsanwaltskammern hat ergeben, dass von dieser Möglichkeit in den vergangenen zehn Jahren eher selten Gebrauch gemacht wurde. Nur sehr wenige Quereinsteiger haben sich der Prüfung unterzogen. Es wird davon ausgegangen, dass die Möglichkeit weder in den Kanzleien noch unter den Quereinsteigern ausreichend bekannt ist.

2. BVaDiG

Das Berufsvalidierungs- und digitalisierungsgesetz (BVaDiG) soll teilweise zum 1.8.2024, zum Teil zum 1.1.2025 in Kraft treten. Es umfasst zwei Bereiche, zum einen die fortschreitende Digitalisierung der Berufsausbildungen, des Vertrags- und des Prüfungswesens nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG). Der weitere Teil, um den es hier im Folgenden gehen soll, beschäftigt sich mit der Feststellung der beruflichen Handlungsfähigkeit von Quereinsteigern bzw. Ungelernten. Eingefügt ins BBiG werden die §§ 50 b bis 50 d BBiG-RegE.

Nach den neuen Vorschriften stellen die zuständigen Stellen – in diesem Falle also die Rechtsanwaltskammern – auf Antrag die individuelle Handlungsfähigkeit der antragstellenden Person am Maßstab des anerkannten Ausbildungsberufs – hier also „Rechtsanwaltsfachangestellte/r“ – (Referenzberuf) fest. Es wird ein Feststellungs- oder Ergänzungsverfahren durchgeführt und durch die Kammern die individuelle berufliche Handlungsfähigkeit festgestellt, wenn diese überwiegend oder vollständig mit der für die Ausübung des Referenzberufes erforderlichen beruflichen Handlungsfähigkeit vergleichbar ist.

Antragsberechtigt ist, wer im Referenzberuf keinen Berufsabschluss hat und auch nicht im Referenzberuf in einem Berufsbildungsverhältnis steht.

Der Antragssteller bzw. die Antragstellerin muss mindestens viereinhalb Jahre einschlägig beschäftigt sein und darüber hinaus glaubhaft machen, dass er bzw. sie die berufliche Handlungsfähigkeit erworben hat.

Es besteht die Möglichkeit, die berufliche Handlungsfähigkeit vollständig validieren zu lassen oder aber in Teilbereichen des Referenzberufes.

Unklar ist, warum der Gesetzgeber die vollständige Validierung über §§ 50b ff. BBiG-RegE zusätzlich zur Prüfungsmöglichkeit nach § 45 Abs. 2 BBiG einräumen will. Letztlich ist die vollständige berufliche Handlungsfähigkeit in beiden Fällen nachzuweisen.

Die Autorin sieht hier eine Schwächung der dualen Ausbildung und hätte sich hier zumindest eine Altersschranke gewünscht dahingehend, dass sich nur Quereinsteiger, die älter als 25 Jahre alt sind, über das Feststellungsverfahren qualifizieren können.

Bei einer vollständigen Anerkennung der beruflichen Handlungsfähigkeit sind die antragsstellenden Personen letztlich einer bzw. einem voll ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten gleichgestellt beim Zugang zu den Höherqualifizierungsmöglichkeiten des BBiG nach den §§ 53 b und 53 c. Bei einer Teil-Validierung wird hingegen lediglich eine überwiegende Vergleichbarkeit der beruflichen Handlungsfähigkeit festgestellt. Eine spätere Ergänzung der festgestellten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten ist bis zur vollständigen Validierung möglich. Bei der Vorbereitung ihrer Quereinsteiger auf eine Validierung sollten Anwaltskanzleien sich unbedingt an der Ausbildungsverordnung orientieren und möglichst auch Prüfungsvorbereitungskurse buchen.

Anwaltskanzleien und ihre Quereinsteiger sollten sich mutig der Herausforderung stellen. Die Vorbereitung auf so ein Feststellungsverfahren fördert und fordert sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite.

Der BGH wird nicht umhinkommen, auch Mitarbeitende mit einem Bescheid über die Feststellung der vollständigen Vergleichbarkeit der erworbenen beruflichen Handlungsfähigkeit als gleichwertig gegenüber einer Rechtsanwaltsfachangestellten anzuerkennen. Die Rechtsprechung bleibt hier abzuwarten. Bis zu einer Klärung ist Obacht geboten.

Fazit: Eine Lösung gegen den Fachkräftemangel

Der Fachkräftemangel wird sich nicht aufhalten lassen. Anwaltskanzleien können sich jedoch – neben der Ausbildung von Rechtsanwaltsfachangestellten – auch anderweitig ihre Fachkräfte heranbilden. Sowohl die Anwaltskanzlei profitiert von der Qualifizierung als auch die Mitarbeitenden, die zielgerichteter und effizienter einsetzbar werden, aber auch auf dem Arbeitsmarkt ihren Wert steigern.

Weitere Beiträge

Jana Gelbe-Haußen ist ausgebildete Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte und geprüfte Rechtsfachwirtin. Sie ist im Vorstand des RENO Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern tätig. Seit 2009 veröffentlicht sie regelmäßig Beiträge in verschiedenen Fachzeitschriften für Rechtsanwaltsfachangestellte zu unterschiedlichsten Themen, zuletzt überwiegend zur Ausbildung.

Bild: Adobe Stock/©Feodora

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