quereinsteiger-anwaltskanzlei

Von Jana Gelbe-Haußen

1. Was ist ein Quereinsteiger?

Eine Definition gibt es nicht. Auf Wikipedia findet man diese Beschreibung: „Als Quereinsteiger oder auch Seiteneinsteiger wird eine Person bezeichnet, die aus einer fremden Sparte/Branche in ein neues Betätigungsfeld wechselt, ohne die für diesen Beruf/Branche sonst allgemein übliche „klassische“ Berufsausbildung/Studium absolviert zu haben. Quereinsteiger werden auch eingestellt, um zum Beispiel einen aktuellen Personalmangel auszugleichen. Die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erwirbt der Quereinsteiger in der Regel Training on the job und Weiterbildung.“

Auch im Bereich „Personalwesen/Personalmanagement“ oder im betriebswirtschaftlichen Bereich „Unternehmensführung“ findet sich keine Definition dafür, wenn in einem Unternehmen – z. B. einer Anwaltskanzlei – wegen des Fachkräftemangels Personal beschäftigt wird, das keine einschlägige Berufsausbildung oder gar eine berufliche Qualifizierung nachweisen kann.

Viele Unternehmen stellen zwischenzeitlich Mitarbeitende ein, die nicht sofort vollumfänglich eingesetzt werden können, weil sie für die angestrebte Stelle nicht über die erforderlichen Qualifikationen verfügen, jedoch das Entwicklungspotenzial gesehen wird. Die Personalbeschaffung ist ohnehin bereits risikobehaftet und kostenintensiv. Das Risiko besteht sowohl für das Unternehmen, wenn eine langfristige Wirksamkeit bei der Neueinstellung nicht erreicht werden kann, als auch bei einem neuen Mitarbeiter, der unter Umständen eine vorherige Festanstellung kündigt und nun auf eine längerfristige Beschäftigung hofft.

Es ist durchaus möglich und in vielen Fällen sicherlich auch richtig, Berufsfremden eine Möglichkeit zu geben, sich in Anwaltskanzleien beruflich neu zu orientieren und zu entwickeln. Es muss nur allen Beteiligten klar sein, dass dies – zumindest zunächst – einen hohen zusätzlichen Aufwand bedeutet.

2. Quereinsteiger und die Anwaltsliteratur

Sucht man auf einschlägigen Seiten der Anwaltschaft (Anwaltsblatt, BRAK-Mitteilungen) nach dem Begriff „Quereinsteiger”, sind die Suchergebnisse dürftig. Im Anwaltsblatt findet sich ein Beitrag zur Thematik der sinkenden Anwaltszahlen und der fehlenden Quereinsteiger in den Juristenberuf.  Hier wird, ähnlich wie im Falle fehlender Fachangestellter und Fachwirte, beklagt, dass auch junge Anwältinnen und Anwälte den Anwaltsberuf lediglich noch als „Durchgangsstation” nutzen und nach wenigen Berufsjahren in den Öffentlichen Dienst oder in Rechtsabteilungen von Unternehmen wechseln (Anwaltsblatt, 08.05.2024, Rubrik „Kanzlei & Praxis”).

Ein Umdenken sei notwendig in Bezug auf die Flexibilität der jungen Generation (weil es eben nicht mehr üblich ist, einem einmal gewählten Unternehmen auf ewig die Treue zu halten). Ebenso seien die Wege des Recruitings neu zu denken. Allerdings wird in dem Beitrag nicht wirklich deutlich, was mit „Quereinsteigern“ gemeint ist. In den Anwaltsberuf in eine Kanzlei kann nur „quereinsteigen“, wer zur Anwaltschaft zugelassen ist, also zwei Staatsexamen erfolgreich abgelegt hat und entsprechend zum Richteramt befähigt ist (§ 4 Nr. 1 BRAO). Letztlich wird darauf verwiesen, dass es gelingen sollte, junge Juristinnen und Juristen aus der Wirtschaft und dem Staatsdienst vom Anwaltsberuf zu überzeugen.

3. Quereinsteiger auf der Personalebene – das Haftungsproblem

Vorab das Dilemma:

Haftungsrechtlich muss die Anwaltschaft gerade in Bezug auf das Fristenmanagement auf einiges achten. Solange alles super läuft und vor allem weder Notfristen noch Begründungsfristen oder anderweitige Fristen versäumt werden, gibt es erstmal auch mit ungelernten Mitarbeitenden keine Probleme. Passiert es doch, dass eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 233 ZPO erforderlich ist, hat der BGH in vielerlei Entscheidungen Regeln aufgestellt. Es muss nachgewiesen werden, dass die Anwältin oder den Anwalt keinerlei Organisationsverschulden trifft.

Eine Delegierung des Fristenmanagements an ungelerntes Personal ist schlicht und einfach nicht möglich, ohne dass der Anwalt oder die Anwältin gegebenenfalls in Haftungsfallen tappt. Die Fristennotierung- und -kontrolle ist originäre Aufgabe der Berufsträgerinnen und Berufsträger. Sie kann an langfristig erprobtes ausgebildetes Fachpersonal (also an Rechtsanwaltsfachangestellte oder Rechtsfachwirte) delegiert werden. Selbst neu eingestellte ausgebildete Fachangestellte sind zunächst mindestens sechs Monate lang von der Anwältin bzw. dem Anwalt zu überwachen. Erst danach kann auf eine stichprobenartige Prüfung übergegangen werden (BGH, IX ZB 67/00 und BGH VII ZB 95/08, BGH VI ZB 45/13). Die Liste von BGH-Entscheidungen und OLG-Rechtsprechung zum Thema „Wiedereinsetzung und Überwachung des ausgebildeten langjährig erprobten Fachpersonals“ ist lang. Regelmäßig veröffentlichen Anwaltsblatt, NJW und andere einschlägige Fachblätter Entscheidungen hierzu. Das Fristenmanagement stellt sich seit verpflichtender Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) noch bedeutungsvoller dar. Auch in diesem Zusammenhang gibt es bereits umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung zur Sorgfalt und Überwachung.  

Neben den Notfristen sind richterliche oder verdeckte Fristen, Ausschluss- und Verjährungsfristen zu beachten, die von fachfremdem Personal ohne entsprechende Anweisungen nicht erkannt und nicht ordnungsgemäß notiert werden können.

Zwischenfazit:

Wenn Anwaltskanzleien auf fachfremde Mitarbeitende zurückgreifen, obliegt den Berufsträgerinnen und Berufsträgern aus haftungsrechtlichen Gründen das komplette Fristenmanagement von der Feststellung der Frist, über Notierung des Beginns und des Endes sowie deren endgültige Erledigung!

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4. Quereinsteiger und berufliche Handlungsfähigkeit

Die berufliche Handlungsfähigkeit von Rechtsanwaltsfachangestellten sowie Rechtsfachwirtinnen und Rechtsfachwirten umfasst jedoch noch einiges mehr, als nur die Befähigung zum ordnungsgemäßen Fristenmanagement. Die Ausbildungsordnung (ReNoPatAusbV) zeichnet sowohl im Paragrafenteil als auch im Ausbildungsrahmenplan (Anlage zu § 3 ReNoPatAusbV) ein umfangreiches Bild der erforderlichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, über die eine ausgebildete Fachkraft nach drei Jahren Berufsausbildung verfügt.

Wer also auf ausgebildetes Fachpersonal verzichten will oder muss, hat sich darauf einzustellen, dass viele Vorarbeiten zu leisten sind, wenn Quereinsteiger Anträge auf Mahnbescheide, Vollstreckungsaufträge oder Anträge auf Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse ausfüllen oder Gebührenrechnungen erstellen sollen.

a) Handbuch / Praxisleitfaden bzw. Vorlagen für Standard-Maßnahmen

Die Autorin selbst hat als Rechtsfachwirtin eineinhalb Jahre im Forderungsmanagement eines Wohnungsunternehmens gearbeitet, das Wohnungen und Immobilien vermietet sowie verwaltet hat. Die Tätigkeiten umfassten das operative Geschäft (Prüfung der Mietzahlungen am dritten Werktag, erste Mahnung, zweite Mahnung, fristlose Kündigung bei Vorliegen der Voraussetzungen) sowie die gerichtliche Geltendmachung von Forderungen im Mahnverfahren, die nachfolgende Zwangsvollstreckung und die Vorbereitung von Räumungsklagen. Die Mitarbeitenden waren ausgebildete Immobilienkaufleute sowie Immobilienfachwirtinnen und -fachwirte, Kaufleute für Büromanagement, Rechtsanwaltsfachangestellte, Rechtfachwirtinnen und -fachwirte sowie als Leiterin des Forderungsmanagements eine Volljuristin.

Alle Mitarbeitenden haben für Standard-Abläufe nach einem Handbuch bzw. einem Praxisleitfaden gearbeitet. Es gab Vorlagen für Mahnungen und Kündigungen, die rechtskonform, aber eben standardmäßig vorbereitet waren. Aber auch für die einfache standardmäßige Bearbeitung des Mahnverfahrens, einfacher Vollstreckungsaufträge und Anträge auf Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse. Die Kolleginnen und Kollegen, die nicht Rechtsanwaltsfachangestellte bzw. Rechtsfachwirtinnen und -fachwirte waren, verfügten nicht über das Hintergrundwissen aus BGB, ZPO und Gerichtskostengesetz, um selbstständig die Aufgaben zu bewältigen, waren jedoch in der Lage, nach entsprechender Anweisung und Kontrolle im Vier-Augen-Prinzip die Anforderungen zu erfüllen.

Soweit vom „Standard“ abgewichen werden musste, waren die ausgebildeten Fachkräfte aus Kanzleien gefragt: Nur sie hatten das erforderliche Fachwissen, um Sonderfälle zu erkennen und erfolgreich zu bearbeiten.

Anwaltskanzleien mit berufsfremdem Personal sollten daher auch eine umfangreiche Vorlagensammlung haben und diese regelmäßig aktualisieren bei Gesetzesänderungen oder Änderungen in der Rechtsprechung. Das heißt aber auch, dass die Anwältinnen bzw. die Anwälte hier stets gut informiert und auf dem Laufenden bleiben müssen.

Um keine Honoraransprüche zu verlieren, müssen sich in diesem Falle die Berufsträgerinnen und Berufsträger der Kanzlei auch mit dem RVG und dem Kostenerstattungsverfahren gut auskennen.

b) Einarbeitung und Trainee am Arbeitsplatz

Sofern neben dem Quereinsteiger auch Fachpersonal vorhanden ist, dürfte es dessen Aufgabe sein, die Einarbeitung und die für den Arbeitsplatz erforderlichen Tätigkeitsbereiche zu vermitteln. Das bedeutet zunächst eine zusätzliche Belastung des vorhandenen Personals (wie in der Ausbildung von Fachangestellten auch). Es verlangt zudem, dass Fachangestellte sowie Fachwirtinnen und Fachwirte in der Lage sind, Wissen zu vermitteln, also über arbeits- und berufspädagogische Skills verfügen. Der Quereinsteiger muss für seine geplante Tätigkeit fit gemacht und individuelle Defizite festgestellt und ausgeräumt werden.

c) Seminare, Schulungen für Quereinsteiger

In der MkG-Ausgabe 2/2024, Seiten 21 bis 25 hat die Autorin bereits ausführlich die Fortbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten von Rechtsanwaltsfachangestellten dargestellt. Die dort ausgewiesenen Seminarangebote können selbstverständlich auch von interessierten und entsprechend motivierten Quereinsteigern gebucht werden, um die berufliche Handlungsfähigkeit in bestimmten Teilbereichen zu erlangen. Möglicherweise liegen durch vorhergehende berufliche Tätigkeiten oder nicht abgeschlossenen Studiengängen bereits juristische Grundkenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit Gesetzen vor, so dass diese in den Sachbearbeiterlehrgängen oder Seminaren der ausgewiesenen Anbieter vertieft werden können.  Die Anwältinnen und Anwälte können so zumindest teilweise eine Entlastung erlangen, wenn sie ihre Quereinsteiger entsprechend fordern und fördern.

Weitere Beiträge

Jana Gelbe-Haußen ist ausgebildete Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte und geprüfte Rechtsfachwirtin. Sie ist im Vorstand des RENO Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern tätig. Seit 2009 veröffentlicht sie regelmäßig Beiträge in verschiedenen Fachzeitschriften für Rechtsanwaltsfachangestellte zu unterschiedlichsten Themen, zuletzt überwiegend zur Ausbildung.

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