Verkehrsrechtsreform

Am 28. April 2020 trat die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften nach deren Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft (BGBl. 2020 Teil I Nr. 19, 814). Sie beinhaltet zahlreiche Änderungen der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) sowie der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Einige der Änderungen könnten der Anwaltschaft eine Flut neuer Verkehrsmandate bringen. Ein Blick auf die relevanten Änderungen ist daher unbedingt lohnenswert.

Insbesondere drei Auswirkungen der im europäischen Maßstab lange erwarteten Reform werden Autofahrerinnen und Autofahrer dazu bringen, ihren Anwalt bzw. ihre Anwältin aufzusuchen und um deren Beistand zu bitten. Zunächst reüssiert die verkehrsrechtliche Problematik des verbotenen Haltens und Parkens in der Novelle durch zahlreiche Anhebungen von Verwarnungs- und Bußgeldbeträgen. Vor diesem Hintergrund werden die von Kommunalbediensteten und Polizeibeamten getroffenen Abschleppanordnungen erheblich erleichtert.

Verwaltungsstreitverfahren werden daher schon aus rein statistischen Gründen zunehmen. Daneben werden die Grenzwerte für Geschwindigkeitsverstöße, die eine Anordnung von Regelfahrverboten zur Folge haben, relativ deutlich abgesenkt, wodurch mit Einsprüchen das juristische Tauziehen um ein Abbedingen des Fahrverbots gegen eine Erhöhung der Geldbuße erheblich zunehmen dürfte. Zudem sind zahlreiche neue Tatbestände in der Anlage 13 zur FeV mit Punkten bewertet worden, sodass auch Verfahren in Sachen Fahreignungsbegutachtung neu auflaufen werden.

Problematik Halten, Parken und Abschleppen

Die Reform bringt eine Ausweitung von Parkverbotsstrecken im Kreuzungsbereich gem. § 12 Abs. 3 Nr. 1 StVO mit sich, um das Sichtfeld für alle Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen zu verbessern, wenn neben der Fahrbahn ein Radweg verläuft. Als räumlicher Bezugspunkt soll jeweils der Beginn der Eckausrundung der Fahrbahn dienen und damit ein geometrisches Maß – über dessen Nachweis man nach einer Abschleppanordnung trefflich streiten kann.

Für unberechtigtes Parken auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz sowie für Parkverstöße im Zusammenhang mit der Behinderung von Rettungskräften vor oder in Feuerwehrzufahrten werden die Verwarnungsgelder auf 55 Euro erhöht. Eine Folge davon wird das vermehrte Anordnen des Abschleppens dieser Fahrzeuge sein, weil der Verordnungsgeber mit der Anhebung auf den Verwarnungsgeldhöchstbetrag deutlich eine Wertsteigerung der Verstöße im Bereich der Gefahrenabwehr zum Ausdruck gebracht hat.

Für Halt- und Parkverstöße in Haltestellenbereichen (Zeichen 224, 299) sowie auf Bussonderfahrstreifen (Zeichen 245) wurden die Verwarnungsgeldsätze ebenfalls deutlich erhöht und bei hinzutretender Behinderung sogar in den Bußgeldbereich angehoben, sodass eine Abschleppanordnung von der Rechtsprechung deutlich eher als verhältnismäßig angesehen werden dürfte.

Die Reform räumt durch ein neues Zusatzzeichen zu Zeichen 286 auch Parkbevorrechtigungen für Carsharing-Fahrzeuge ein, die zu den bereits für Elektrofahrzeuge bestehenden Vorrechten hinzutreten. Beiden Parkbevorrechtigungen wurde zu deren Schutz der maximale Verwarnungsgeldregelsatz von jeweils 55 Euro bei Parkverstößen beigemessen. Bei gleichbleibendem Parkdruck in den Innenstädten wird der Missbrauch dieser politisch privilegierten Parkplätze zunehmen und damit gleichzeitig auch die Anordnung von Abschleppaufträgen, um die Parkbevorrechtigungen auch amtlich durchzusetzen.

Auch die Geldbußen für das Halten in zweiter Reihe (lfd. Nr. 51a bis 51a.3 BKat), unzulässiges Parken auf Geh- und Radwegen (lfd. Nr. 52a bis 52a.4 BKat) sowie für das durch Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO in der lfd. Nr. 22 Spalte 3 Nr. 3 neu eingeführte Haltverbot auf einem Schutzstreifen für den Radverkehr (lfd. Nr. 54a bis 54a.3 BKat) werden deutlich, teilweise sogar in den Bußgeldbereich erhöht und zudem um neue qualifizierende Regeltatbestände der Gefährdung und Sachbeschädigung erweitert.

Problematik Geschwindigkeitsverstoß und Fahrverbot

Die mittels Tabelle 1 des BKat unter c) Ziff. 11.3.4 u.a. für Pkw festgelegte regelhafte Anordnung von Fahrverboten innerhalb geschlossener Ortschaften bei Geschwindigkeitsüberschreitungen ab 21 km/h dürfte zusammen mit der Anordnung von Fahrverboten außerhalb geschlossener Ortschaften bei Geschwindigkeitsüberschreitungen ab 26 km/h wohl für den mit Abstand größten Zuwachs an Verkehrsmandaten sorgen. Der gleiche Regelmechanismus gilt laut Tabelle 1 des BKat unter a) Ziff. 11.1.5 und 11.1.6 nun auch für Lkw.

Problematik Punkte und Fahreignungsrecht

Vollkommen neu ist ab sofort die Bepunktung von Halt- und Parkverstößen, die beim Halten auf Schutzstreifen, dem Parken in „zweiter Reihe“ sowie dem Parken auf Gehwegen und Radschnellwegen jeweils bei der Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer beginnt. Werden die Fahrzeugführer nach einem solchen Verstoß im ruhenden Verkehr nicht ermittelt, ist aufgrund der Bepunktung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stets eine Fahrtenbuchauflage gem. § 31a StVZO möglich und wird zunehmend auch wahrscheinlicher. Dies wäre dann ein weiterer potenzieller Anwendungsfall für eine anwaltliche Beratung.

Verstöße gegen die neu in § 9 Abs. 6 StVO eingeführte Pflicht für Kraftfahrzeuge über 3,5 t beim Rechtsabbiegen innerorts nur noch mit Schrittgeschwindigkeit abzubiegen, werden nach Nr. 45 BKat mit einem Bußgeld in Höhe von 70 Euro bewertet und nach der Systematik der Anlage 13 zur FeV unter der Nr. 3.2.6 mit 1 Punkt eingestuft. Problematisch wird hier bereits die Art des Tatnachweises sein, weil Tatzeugen nach einem Verkehrsunfall nach dem Merkmal der Schrittgeschwindigkeit befragt werden müssen. Kommt es zu keinem Verkehrsunfall und wird die Verhaltensvorschrift von Polizeibeamten vorbeugend überwacht, dürfen zwar Polizeibeamte Verstöße gegen die Schrittgeschwindigkeit nach geltender Rechtsprechung grundsätzlich schätzen, jedoch dürfte oft der sich in gleicher Richtung bewegende Fußgänger als augenfälliges Vergleichssubjekt fehlen. Dann aber fällt der Tatnachweis schwer.

Ein unberechtigtes Nutzen einer Rettungsgasse gem. § 11 Abs. 2 StVO wird ab sofort sogar mit zwei Punkten bewertet. Diese Tatbestände tauchen ebenfalls neu im Fahreignungsrecht auf und werden im Ergebnis dazu führen, dass die erlaubte Obergrenze von 7 Punkten häufiger überschritten wird als bisher.

Schließlich wurde auch die Motorrad- und Autoposing-Lärmproblematik mittels einer extremen Anhebung der Regelsätze für Verstöße gegen § 30 Abs. 1 StVO im BKat berücksichtigt, was ebenfalls zu dem einen oder anderen Mandat infolge des subjektiven Tatnachweises durch die Tatzeugen und dem notwendigen Hinterfragen der Tatsachenbasis führen dürfte.

Fazit – Bußgeldprozesse werden zunehmen

Alles in allem dürften die zahlreichen Änderungen, die übrigens nach dem Plan der Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern lediglich einen Zwischenschritt darstellen sollen, in den kommenden Jahren zu einem deutlich Anwachsen von Bußgeldprozessen vor den Amtsgerichten und Verwaltungsstreitverfahren in Fahreignungssachen führen. Es wird dann wiederum den Obergerichten und Bundesgerichten obliegen, für die notwendige Vereinheitlichung in der Auslegung der neuen Vorschriften zu sorgen. Dazu können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mittels fachlich geschickt gestellter Beweisanträge und qualitativ hochwertiger Argumentation ihren Teil beitragen.

Weiterführende Literatur:

Berr / Schäpe / Müller / Rebler, Das Recht des ruhenden Verkehrs – Eine systematische Erläuterung der Vorschriften über das Halten und Parken, 3. Auflage erscheint im September 2020. C.H.BECK. ISBN 978-3-406-66591-2.

Müller / Rebler, Die Klärung von Eignungszweifeln im Fahrerlaubnisrecht, 2. Auflage 2017. Luchterhand. ISBN 978-3-472-08975-9.

Foto: Adobe.Stock/©Tham Kee Chuan

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