Anrechnungspflichten sind immer eine Herausforderung, sei es, weil der Gegenstand nur teilidentisch ist, oder, weil nicht sofort offensichtlich ist, ob überhaupt eine Anrechnung zu erfolgen hat. Müssen im Laufe einer Gesamtbetreuung mehrere zusammenhängende Verfahrensabschnitte mit dann doppelten Anrechnungsvorschriften abgerechnet werden, wird es noch schwieriger. Und dann „on top“ noch eine Rechtsänderung – wie jetzt durch das KostBRÄG 2025? Aufbauend auf dem Artikel über die RVG-Übergangsregelungen klärt dieser Beitrag anhand einiger Beispiele darüber auf, wie abzurechnen ist, wenn mehrere Aufträge zu unterschiedlichen Zeiten – nämlich vor und nach der RVG-Erhöhung – wirksam werden.
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Hierzu ein erstes Beispiel:
Der Rechtsanwalt erhält Ende April 2025 einen Auftrag zu Eintreibung einer streitigen Forderung in Höhe von 2.500,00 Euro. Hierbei soll der Anwalt so vorgehen, dass er zunächst außergerichtlich tätig wird; wenn dies nicht erfolgreich ist, soll er das Mahnverfahren einleiten. Die Zahlung bleibt aus, ebenso eine Reaktion. Die Zahlungsfrist verstreicht am 21. Mai 2025, ohne dass etwas passiert. Da die Bedingung für die Einleitung des Mahnverfahrens damit eingetreten ist, beantragt der Rechtsanwalt den Erlass eines Mahnbescheides. Hiergegen legt der Antragsgegner fristgerecht Widerspruch und das Verfahren wird im Juni 2025 an das ordentliche Gericht abgegeben. Auftragsgemäß bestellt sich der Rechtsanwalt, nimmt den Verhandlungstermin wahr und im Anschluss an das Urteil steht die Abrechnung an.
a) Anrechnungspflichten
Die außergerichtliche Geschäftsgebühr für die Zahlungsaufforderung (Nr. 2300 VV RVG) findet in Höhe der Hälfte Anrechnung auf die gerichtliche Verfahrensgebühr für das Mahnverfahren (Nr. 3305 VV RVG). Diese wiederum ist vollumfänglich auf die Verfahrensgebühr für das ordentliche Verfahren (Nr. 3100 VV RVG) anzurechnen.
b) Zugrunde zu legende Gebührentabellen
Die außergerichtliche Tätigkeit wurde zum Zeitpunkt der Geltung des RVG 2021 beauftragt; ebenso gilt der Auftrag für das Mahnverfahren mit Ablauf der Zahlungsfrist vor Eintritt der Rechtsänderung als erteilt. Der Auftrag für das ordentliche Verfahren hingegen kann erst nach Abgabe des Verfahrens erteilt werden, so dass hierfür – und nur hierfür! – die RVG-Tabelle 2025 anzuwenden ist.
c) Die Anrechnung bei der Abrechnung
Bei der Anrechnung der jeweiligen Gebühr ist darauf zu achten, dass der anrechnungspflichtige Teil bzw. der Anrechnungsbetrag der Tabelle zu entnehmen ist, die auch Grundlage für den Anfall der Gebühr war. Denn anzurechnen ist die Hälfte der entstandenen Gebühr bzw. die entstandene Gebühr, nicht eine Gebühr.
Das sieht in der Abrechnung dann unter Bezugnahme auf obiges Beispiel wie folgt aus.
Gegenstandswert: 2.500,00 EUR
Außergerichtliche Tätigkeit
1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG, Tabelle 2021 | 288,60 € |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 € |
Zwischensumme | 308,60 € |
19 % Umsatzsteuer | 58,63 € |
Gesamtbetrag | 367,23 € |
Mahnverfahren
1,0 Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG, Tabelle 2021 | 222,00 € |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 € |
Zwischensumme | 242,00 € |
abzüglich hälftige Geschäftsgebühr, Vorbem. 3 (4) VV RVG: (1,3 : 2) -0,65 Gebühr, Tabelle 2021 |
-144,30 € |
Zwischensumme | 97,70 € |
19 % Umsatzsteuer | 18,56 € |
Gesamtbetrag | 116,26 € |
gerichtliches Verfahren nach Abgabe
1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, Tabelle 2025 | 306,15 € |
1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, Tabelle 2025 | 282,60 € |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 € |
Zwischensumme | 608,75 € |
abzüglich Mahnverfahrensgebühr, Anm. zu Nr. 3305 VV RVG: -1,0 Gebühr, Tabelle 2021 |
222,00 € |
Zwischensumme | 386,75 € |
19 % Umsatzsteuer | 73,48 € |
Gesamtbetrag | 460,23 € |
Hätte der Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren den Anrechnungsbetrag für die 1,0 Verfahrensgebühr der Tabelle 2025 entnommen, so hätte er mehr als die tatsächlich entstandene Gebühr in Abzug gebracht und damit sein Gebührenaufkommen unnötig und fälschlich geschmälert.
Ein zweites Beispiel zum Vergleich; Abwandlung vom ersten Bespiel:
Der Auftrag zur außergerichtlichen Tätigkeit erfolgt Ende Mai 2025, die Zahlungsfrist verstreicht im Juni 2025. Aufgrund des eingelegten Widerspruchs erfolgt die Abgabe des Verfahrens; vor dem ordentlichen Gericht wird verhandelt und es ergeht ein Urteil.
a) Anrechnungspflichten
Bei den Anrechnungspflichten ändert sich nichts – sie bleiben gleich, denn die grundsätzlichen Anrechnungspflichten haben durch das KostBRÄG 2025 keine Änderung erfahren.
b) Zugrunde zu legende Gebührentabelle
Das zweite Beispiel hat eine Änderung in sich: Nur der erste Auftrag (außergerichtlicher Auftrag) wird zum Zeitpunkt der Geltung des RVG 2021 erteilt. Die Frist zur Zahlung verstreicht im Juni 2025 – die Bedingung für die Einleitung des Mahnverfahrens ist das fruchtlose Verstreichen der Zahlungsfrist. Damit wird der erteilte Auftrag für das Mahnverfahren erst im Juni 2025 wirksam, was bedeutet, dass für diese Gebührentabelle das RVG 2025 gilt. Für das ordentliche Verfahren, das ja erst im Anschluss hieran durchgeführt wird, gilt dann naturgemäß auch das RVG 2025.
c) Die Anrechnung bei der Abrechnung
Hier gilt dasselbe, wie oben unter c): Der anrechnungspflichtige Teil bzw. der Anrechnungsbetrag ist der Tabelle zu entnehmen, die auch Grundlage für den Anfall der Gebühr war.
Das sieht in der Abrechnung dann unter Bezugnahme auf das abgewandelte Bespiel wie folgt aus.
Gegenstandswert: 2.500,00 EUR
Außergerichtliche Tätigkeit
1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG, Tabelle 2021 | 288,60 € |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 € |
Zwischensumme | 308,60 € |
19 % Umsatzsteuer | 58,63 € |
Gesamtbetrag | 367,23 € |
Mahnverfahren
1,0 Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG, Tabelle 2025 | 235,50 € |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 € |
Zwischensumme | 255,50 € |
abzüglich hälftige Geschäftsgebühr, Vorbem. 3 (4) VV RVG: (1,3 : 2) -0,65 Gebühr, Tabelle 2021 |
-144,30 € |
Zwischensumme | 111,20 € |
19 % Umsatzsteuer | 21,13 € |
Gesamtbetrag | 132,33 € |
gerichtliches Verfahren nach Abgabe
1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG, Tabelle 2025 | 306,15 € |
1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG, Tabelle 2025 | 282,60 € |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 € |
Zwischensumme | 608,75 € |
abzüglich Mahnverfahrensgebühr, Anm. zu Nr. 3305 VV RVG: -1,0 Gebühr, Tabelle 2025 |
-235,50 € |
Zwischensumme | 373,25 € |
19 % Umsatzsteuer | 70,92 € |
Gesamtbetrag | 444,17 € |
Fazit
Die anrechnungspflichtige (Teil-)Gebühr ist stets der Tabelle zu entnehmen, die auch Grundlage für den Ansatz der Gebühr im vorherigen Verfahrensabschnitt war.
Carmen Wolf ist gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte mit Weiterbildung zur Rechtswirtin und zur Kanzleimanagerin, Ausbilderin für Rechtsanwaltsfachangestellte sowie Büroleiterin der Koblenzer Rechtsanwaltskanzlei FROMM. Dort ist sie mit allen Bereichen der Kanzleipraxis betraut.
Sie hat mehrere Fachbücher, wie „Arbeitshilfen für Rechtsanwaltsfachangestellte“ und „RVG für Einsteiger“ verfasst und ist Herausgeberin des „Infobriefs anwaltbüro“.