Insolvenzrecht Coronakrise

Durch Lockdown, Unterbrechung von Lieferketten und Kontaktverbote können auch an sich gesunde Unternehmen in Zeiten der COVID-19-Pandemie plötzlich in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Kapitalgesellschaften sind im Falle der Zahlungsunfähigkeit verpflichtet, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO). Diese Schwelle ist schneller erreicht als von vielen gedacht – schon wenn mehr als 10 % der fälligen Verbindlichkeiten nicht in den nächsten drei Wochen getilgt werden können, ist das Unternehmen zahlungsunfähig. Um Unternehmen die Chance zu geben, sich nach den infektionsschutzrechtlichen Beschränkungen wieder zu sanieren, hat der Gesetzgeber im März das „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG)“ erlassen. Was bedeutet das für Unternehmen, Geschäftspartner und beratende Anwälte?

Wer muss einen Insolvenzantrag stellen?

Kernstück des COVInsAG ist § 1, der die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB (für Vereine) zunächst bis zum 30.09.2020 aussetzt. Sofern es die tatsächliche Lage erfordert, kann die Aussetzung durch eine Rechtsverordnung des BMJV bis längstens zum 31.03.2021 verlängert werden („Aussetzungszeitraum“).

Die Insolvenzantragspflicht wird allerdings nicht unbeschränkt ausgesetzt. Die Pflicht, früh einen Insolvenzantrag zu stellen, soll z. B. auch Geschäftspartner, Mitarbeiter, Vermieter und Kunden schützen, die sonst mangels Masse mit ihren Forderungen ausfallen könnten. § 1 COVInsAG fordert daher für eine Aussetzung der Antragspflicht, dass

  • die Insolvenzreife auf der COVID-19-Pandemie beruht, 
  • Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Um Unsicherheiten zu vermeiden, vermutet der Gesetzgeber, dass die Insolvenzreife auf der Pandemie beruht und Aussichten zur Beseitigung bestehen, wenn das Unternehmen am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war (§ 1 S. 3 COVInsAG). Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Flankierend ist in § 3 COVInsAG vorgesehen, dass Insolvenzanträge durch Gläubiger bis zum 31.05.2020 nur zulässig sind, wenn der Eröffnungsgrund bereits am 01.03.2020 vorgelegen hat.

War eine Kapitalgesellschaft schon vor dem Stichtag 01.03.2020 wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung insolvenzantragspflichtig, so ändert sich nichts und die Geschäftsleiter sind verpflichtet, unverzüglich den Insolvenzantrag zu stellen.

Wie lange ist die Antragspflicht ausgesetzt?

Die Insolvenzantragspflicht ist nur solange ausgesetzt, wie tatsächlich Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Stellt sich nach einiger Zeit heraus, dass – etwa wegen Verlängerung der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen – keine Aussichten mehr darauf bestehen, dass die Zahlungsunfähigkeit wieder beseitigt wird, dann muss unverzüglich ein Insolvenzantrag gestellt werden.

Das Gesetz sieht während der Aussetzung keine ausdrücklichen Dokumentationspflichten der Geschäftsführung vor. Allerdings fordert der BGH bereits seit Jahren von Geschäftsführern einer GmbH, dass sie im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit ständig und kontinuierlich prüfen, ob ein Insolvenzgrund vorliegt, dass sie dies dokumentieren und sich nötigenfalls fachlich beraten lassen, wenn sie der Insolvenzverschleppungshaftung entgehen wollen. Gleiches empfiehlt sich in der jetzigen Krise. Der Geschäftsleiter sollte zur Vermeidung einer späteren Haftung dokumentieren können, dass jederzeit Aussicht auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestand – und andernfalls sicherheitshalber einen Insolvenzantrag stellen.

Welche Folgen hat die Aussetzung noch?

Allein eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hilft betroffenen Unternehmen wenig, wenn den Geschäftsleitern trotzdem Haftung oder Strafbarkeit drohen bzw. Geschäftspartner fürchten, etwaige Gelder an Insolvenzverwalter herausgeben zu müssen. Daher wurde die Aussetzung von weiteren Maßnahmen flankiert, die auch für Unternehmen gelten, die generell nicht antragspflichtig oder (noch) nicht zahlungsunfähig sind (§ 2 Abs. 2 COVInsAG).

a) Geschäftsleiterhaftung

Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften können nach § 64 Abs. 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG, § 130a Abs. 1 S. 2 HGB oder § 99 S. 2 GenG für alle Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet wurden, haften, es sei denn, die Zahlungen waren mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.

Eine solche Privilegierung sieht § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG für Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, vor. Dazu gehören ausdrücklich solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, selbst wenn die Maßnahmen auf eine Neuausrichtung des Geschäfts zum Zwecke der Sanierung zielen. Allerdings gilt die Privilegierung nur, soweit und solange die Insolvenzantragspflicht tatsächlich ausgesetzt war. Ist die Antragspflicht wieder aufgelebt, weil keine Aussicht mehr auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht, so greift auch die Geschäftsleiterhaftung erneut voll durch.

b) Anfechtung von Zahlungen auf Darlehen

Rückzahlungen auf neue, im Aussetzungszeitraum aufgenommene Kredite sind bis zum 30.09.2023 in einer späteren Insolvenz nicht anfechtbar, weil sie als nicht gläubigerbenachteiligend gelten (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG). Wie bereits bei der Geschäftsführerhaftung ist aber Voraussetzung, dass die Insolvenzantragspflicht tatsächlich im konkreten Falle ausgesetzt war.

Anfechtungsfrei sind auch Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen, da der Gesetzgeber Gesellschafter ermuntern will, in ihre Unternehmen zu investieren. Zudem sind Gesellschafterdarlehen, die im Aussetzungszeitraum gewährt wurden, in einer späteren Insolvenz nicht nachrangig. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, § 44a InsO und § 135 InsO gelten nicht.

Privilegiert sind aber nur neue Kredite, die „frisches Geld“ in das Unternehmen bringen. Novationen oder Prolongationen bestehender Kredite, damit vergleichbare Sachverhalte wie Hin- und Herzahlen, die Neugewährung bisher nachrangiger Gesellschafterdarlehen als Rangaufwertung oder die Besicherung von Gesellschafterdarlehen aus dem Vermögen der Gesellschaft fallen nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG.

c) Insolvenzanfechtung

Kennt ein Mandant die (drohende) Zahlungsunfähigkeit eines Geschäftspartners, so können Zahlungen später evtl. von einem Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) zurückgefordert werden. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG verbietet allerdings eine Anfechtung von bestimmten Zahlungen, die im Aussetzungszeitraum erfolgen.

Im Gegensatz zur „normalen“ Rechtslage ist es nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG unschädlich, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass der spätere Insolvenzschuldner zahlungsunfähig war. Schädlich ist nur, wenn der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Zahlung positiv wusste, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit geeignet waren oder dass der Schuldner gar keine Sanierungsanstrengungen getroffen hat.

Das Anfechtungsverbot gilt für kongruente Deckungen, also Zahlungen und Sicherungen, auf die der Anfechtungsgegner einen Anspruch hatte. Außerdem hat der Gesetzgeber einige weitere Fallkonstellationen anfechtungsfrei gestellt. Unanfechtbar sind daher im Zeitraum zwischen 01.03. und 30.09.2020 (bzw. bis zum Ende einer Verlängerung) auch

  • Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber,
  • Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners,
  • die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist,
  • die Verkürzung von Zahlungszielen und die Gewährung von Zahlungserleichterungen.

d) Restschuldbefreiung

Natürliche Personen sind nicht insolvenzantragspflichtig. Ihnen kann aber die Restschuldbefreiung versagt werden, wenn sie die Stellung eines Insolvenzantrags ohne Aussicht auf Besserung der finanziellen Lage hinausgezögert haben (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Um dieses Damoklesschwert zu entschärfen, kann ein Versagungsantrag nicht auf Verzögerungen im Aussetzungszeitraum gestützt werden, solange die Zahlungsunfähigkeit auf der Pandemie beruht und Aussicht auf Besserung besteht.

e) Andere Straftatbestände

Weiter anwendbar sind allerdings einige Straftatbestände, die im Vorfeld einer drohenden Insolvenz häufig erfüllt werden, z. B. Eingehungsbetrug (§ 263 StGB), Kreditbetrug (§ 265b StGB), Untreue (§ 266 StGB), Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) und Steuerhinterziehung (§ 370 AO).

Anforderungen an beratende Anwälte

Für Steuerberater sieht der BGH auch in allgemein beratenden Mandaten Warn- und Hinweispflichten, wenn sich Insolvenzgründe bei einem Mandanten aufdrängen (BGH, 26.1.2017, IX ZR 285/14). Zumindest, wenn Anwälte auf eine mögliche Insolvenz angesprochen werden oder sich aus den bearbeiteten Mandaten konkrete Insolvenzgründe aufdrängen, sollten sie die Mandanten daher auf die Notwendigkeit einer insolvenzrechtlichen Beratung zu möglichen Insolvenzgründen hinweisen.

Gleichermaßen hat der BGH Anwälten auferlegt, Mandanten auf mögliche Insolvenzanfechtungsrisiken hinzuweisen, die dazu führen können, dass vom Geschäftspartner erhaltene Zahlungen an einen Insolvenzverwalter erstattet werden müssen (BGH, 07.09.2017, IX ZR 71/16 Rn. 11). Auch hier sollten rechtzeitig Hinweise erteilt werden.

Fazit

Das COVInsAG hat Unternehmen eine gewisse Atempause verschafft. Diese Atempause sollte jedoch nicht dazu führen, sich mit den Themen Insolvenz, Zahlungsunfähigkeit und Sanierung erst am 30.09.2020 oder – bei einer Verlängerung der Maßnahmen – sogar noch später zu beschäftigen. Denn zum einen gilt die Aussetzung der Antragspflicht nicht absolut, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zum anderen folgt aus der Erleichterung bei der Antragspflicht eine neue Dokumentationspflicht, die vor allem im Interesse der Geschäftsleiter genau zu erfüllen ist, wenn eine spätere Haftung vermieden werden soll.

Foto: Adobe.Stock/©Marco2811

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