Sobald man als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt ein Mandat übernommen hat, stellt sich die Frage, ob man von dem in § 9 RVG eingeräumten Recht, von der Mandantschaft „für die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss [zu] fordern“, Gebrauch machen soll. Meines Erachtens sollte man das immer tun, schon um späteren Einnahmeausfällen vorzubeugen. Unsere heutigen Kurz-Checklisten zeigen Ihnen zunächst die materiellen Vorschussanforderungen auf (s. auch schon Burhoff, AGS 2024, 339 ff.).
Checkliste 1. Allgemeine Fragen zum Vorschuss nach § 9 RVG
Frage 1: Welche Rechtsanwältin bzw. welcher Rechtsanwalt kann Vorschuss verlangen?
Das Recht, einen Vorschuss zu verlangen, steht jedem Rechtsanwalt und jeder Rechtsanwältin zu. Vorschussberechtigt sind also vor allem der Prozessbevollmächtigte/Verteidiger, der Verkehrsanwalt und der Strafverteidiger (s. auch Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 27. Aufl. 2025, § 9 Rn. 3).
Frage 2: Können auch die in besonderen Verfahrenskonstellationen beigeordneten Anwältinnen und Anwälte einen Vorschuss verlangen?
Ja, einen Vorschuss verlangen können auch
- der Notanwalt des § 78b ZPO,
- der in Scheidungs- und Lebenspartnerschaftssachen beigeordnete Rechtsanwalt (§ 39 RVG) und
- der als gemeinsamer Vertreter nach § 67a Abs. 1 Satz 2 VwGO bestellte Rechtsanwalt (§ 40 RVG).
Frage 3: Steht auch der Pflichtverteidigung bzw. den in Strafsachen beigeordneten Anwältinnen und Anwälten, z. B. für den Nebenkläger, ein Vorschuss der Mandantschaft nach § 9 RVG zu?
Nein, diese Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben aber gem. § 47 RVG einen Vorschussanspruch gegen die Staatskasse.
Frage 4: Können die im Rahmen der PKH oder der nach § 11a ArbGG beigeordneten Anwältinnen und Anwälte vom Mandanten einen Vorschuss verlangen?
Nein, diese können auch nur nach § 47 RVG einen angemessenen Vorschuss aus der Staatskasse fordern (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 9 Rn. 5).
Frage 5: Kann der „Beratungshilfeanwalt“ einen Vorschuss fordern?
Nein. Bei Beratungshilfe kann die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt gem. § 47 Abs. 2 RVG im Übrigen auch keinen Vorschuss aus der Staatskasse fordern.
Checkliste 2: Vorschussverpflichtete
Frage 1: Wer ist zur Zahlung des Vorschusses verpflichtet?
Vorschussverpflichteter ist in erster Linie der Mandant.
Frage 2: Kann von der Rechtsschutzversicherung ein Vorschuss gefordert werden?
Nein. Die RSV ist nicht Auftraggeberin des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin, daher kann von dieser unmittelbar kein Vorschuss verlangt werden. § 9 RVG wirkt sich aber mittelbar auf das Verhältnis zur RSV aus. Die RSV ist aufgrund des RSV-Vertrags nämlich immer dann zahlungspflichtig, sobald der Versicherungsnehmer berechtigterweise in Anspruch genommen wird.
Dazu gehört auch die auf § 9 RVG gestützte Vorschussforderung (AG München AGS 2007, 234 m. Anm. N. Schneider; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 9 Rn. 28; Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 7. Aufl. 2025, Teil A: Vorschuss vom Auftraggeber [§ 9], Rn. 2621; AnwKomm-RVG/N. Schneider, RVG, 9. Aufl. 2021, § 9 Rn. 101 ff.; vgl. auch BGH NJW 2006, 1281 = AGS 2006, 571 = MDR 2006, 87; zur Erfüllung des Kostenfreistellungsanspruchs des Versicherungsnehmers s. AG München AGS 2013, 101 = NJW-RR 2013, 95).
Frage 3: Auf welche Besonderheiten ist bei Minderjährigen zu achten?
Bei Minderjährigen ist vor allem bei der Übernahme der Vertretung im Strafverfahren Vorsicht geboten. Ein Minderjähriger kann zwar selbst eine Verteidigung wählen, für den Mandatsvertrag gelten aber die §§ 107, 108, 114 BGB. Zu dessen Wirksamkeit ist also die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen erforderlich.
Deshalb muss die Rechtsanwältin der Rechtsanwalt oder die Verteidigung darauf achten, dass sie von den Eltern aufgrund deren Unterhaltspflicht (§§ 1602, 1610 Abs. 2 BGB) einen angemessenen Vorschuss erhält. Noch besser ist es, die Mandatsübernahme davon abhängig zu machen, dass die Eltern die persönliche Haftung für die Gebühren übernehmen (vgl. auch Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 9 Rn. 16).
Bild: generiert mit ChatGPT
Rechtsanwalt und RiOLG a.D. Detlef Burhoff ist Herausgeber, Autor oder Mitautor einer Vielzahl von Fachbüchern aus den Bereichen Strafrecht, Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht sowie der Rechtsanwaltsvergütung. Daneben ist er Herausgeber von Fachzeitschriften zu den vorgenannten Themen (StRR und VRR) und unterhält die Internetseiten www.burhoff.de sowie blog.burhoff.de.





