Verleihung eines Fachanwaltstitels

Neben den besonderen theoretischen Kenntnissen müssen Fachanwaltsbewerber auch praktische Erfahrungen nachweisen. Die FAO stellt hierfür klare Anforderungen auf, insbesondere zur Anzahl und Art der bearbeiteten Fälle.

Im zweiten Teil der Artikelreihe wird erläutert, welche Kriterien für die Anerkennung praktischer Erfahrungen gelten und welche Besonderheiten bei der Verleihung eines Fachanwaltstitels dabei zu beachten sind.

1. Besondere praktische Erfahrungen (§§ 2, 5 i.V.m. §§ 8 ff. FAO)

2 Abs. 1 Alt. 2 FAO schreibt als weitere Voraussetzung für die Verleihung eines Fachanwaltstitels den Nachweis besonderer praktischer Erfahrungen vor.

5 FAO fordert, dass die Antragstellerin oder der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre (zu beachten: § 5 Abs. 3) vor der Antragstellung in ihrem bzw. seinem Fachgebiet als Rechtsanwält:in persönlich und weisungsfrei eine bestimmte Anzahl von Fällen bearbeitet hat. Die Fallzahl variiert von Fachgebiet zu Fachgebiet stark und reicht von 40 Fällen im Vergaberecht bis zu 160 Fällen im Verkehrsrecht.

a) Der Fallbegriff

Die Definition eines „Falls“ gemäß § 5 FAO ist umstritten. Der BGH versteht darunter die juristische Aufarbeitung eines einheitlichen Lebenssachverhalts mit unterschiedlichen Beteiligten und Tatsachen, wobei ein über mehrere Instanzen geführter Streit nur als ein Fall zählt. Derselbe Fall kann als Nachweis für mehrere Fachgebiete dienen, wenn er relevante Bezüge zu diesen hat. Eine qualitative Überprüfung der Fälle durch die Kammern ist nicht zulässig, was Kritiker bemängeln. Gleichzeitig wird die Fallakquise zunehmend schwieriger, da ohne Fachanwaltstitel oft keine passenden Mandate generiert werden können. Dennoch gilt, dass Fachanwälte nicht nur über theoretisches Wissen, sondern auch über praktische Erfahrung verfügen müssen. Der BGH hält die Fallvorgaben für verfassungsgemäß, da sie der Sicherung der fachlichen Qualität dienen.

b) Fall-Gewichtung

In unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage, was überhaupt ein Fall ist, steht die in § 5 Abs. 4 FAO ausdrücklich vorgesehene Fall-Gewichtung. Nach der genannten Regelung können „Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle“ zu einer „höheren oder niedrigeren Gewichtung“ führen. Das bedeutet, dass nicht jedes nachgewiesene Mandat zwingend mit dem Faktor 1 zu bewerten ist. In Betracht kommt z. B. auch eine Veranschlagung mit dem Faktor 1,5 oder aber dem Faktor 0,75.

Der BGH stellt klar, dass die Fall-Gewichtung nach § 5 Abs. 4 FAO keine Ausnahme darstellt, sondern ein fester Bestandteil der Prüfung ist. Bewerber müssen nicht nur die geforderte Anzahl an Fällen nachweisen, sondern auch belegen, dass deren Gesamtgewicht dem Durchschnitt entspricht. Dabei sind Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit entscheidend.

Fehlen eindeutige Anhaltspunkte für eine Höher- oder Minderbewertung, wird der Fall mit dem Faktor 1 gewertet. Die Rechtsprechung erkennt an, dass es eine Bandbreite durchschnittlicher Fälle gibt – von einfacheren Fällen mit wiederkehrenden Rechtsfragen bis zu komplexeren Verfahren, die in höhere Instanzen gehen.

Die Fall-Gewichtung ermöglicht Antragstellern, fehlende Fallzahlen durch eine Höherbewertung einzelner Mandate auszugleichen, sofern dies nachvollziehbar begründet und belegt wird. Gleichzeitig schützt § 24 Abs. 4 S. 1 FAO Bewerber vor willkürlicher Abwertung durch den Vorprüfungsausschuss, da vor einer negativen Entscheidung die Möglichkeit zur Nachmeldung weiterer Fälle eingeräumt werden muss.

c) Die Fallbearbeitung

Nach § 5 Abs. 1 FAO setzt der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen voraus, dass der Antragsteller die in lit. a bis x nach Zahl, Art und Umfang näher aufgeschlüsselten Fälle „als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei bearbeitet hat“.

aa) Persönliche Bearbeitung

Der Bewerber muss also den Nachweis führen, dass er selbst – und niemand sonst – eine bestimmte Anzahl von Mandaten bearbeitet hat.

Wer sich entschließt, eine Fachanwaltsbezeichnung zu erwerben und ab einem bestimmten Zeitpunkt mit der Fallsammlung zu beginnen, sollte den jeweiligen Mandatsverlauf (d.h. die Sachbearbeitung im Einzelnen und die Wahrnehmung von Terminen) von vorneherein detailliert dokumentieren. Eine „persönliche Bearbeitung“ ist auch gegeben, wenn die Antragstellerin bzw. der Antragsteller einem Team angehört, das bei der Mandatsbetreuung zusammengewirkt hat.

bb) Bearbeitung als Rechtsanwalt/in

Umstritten war (und ist), ob Fälle, die ein/e zur Anwaltschaft zugelassener Unternehmens- oder Verbandsjurist/in für ihren oder seinen Arbeitgeber bearbeitet hat, zur Nachweisführung nach § 5 FAO geeignet sind.

Fälle, die von Syndikusrechtsanwälten bearbeitet wurden, gelten seit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte“ am 1. Januar 2016 als anwaltliche Tätigkeiten, sofern eine Zulassung nach § 46a BRAO vorliegt. Für Unternehmens- und Verbandsjuristen ohne diese Zulassung bleibt die Rechtslage unklar. Wer zwar die Zulassungsvoraussetzungen für Syndikusrechtsanwälte erfüllt, diese aber nicht beantragt hat, könnte streng dogmatisch betrachtet dennoch seine Fälle im Fachanwaltsverfahren geltend machen. Allerdings ist für Juristen, die die Kriterien nach § 46 Abs. 3 und 4 BRAO nicht erfüllen, die Anerkennung ausgeschlossen, da ihre Tätigkeit nicht als anwaltlich eingestuft wird.

Auch Anwaltsnotare können Fälle nach § 5 Abs. 1 FAO geltend machen, sofern diese auch von einem reinen Rechtsanwalt bearbeitet werden könnten. Notarielle Beglaubigungen oder Beurkundungen ohne vorherige anwaltliche Beratung zählen jedoch nicht dazu, da sie nicht als originäre Anwaltstätigkeit gelten.

cc) Der Drei-Jahres-Zeitraum

Die Fallbearbeitung nach § 5 FAO muss innerhalb der letzten drei Jahre vor Antragstellung erfolgt sein, um sicherzustellen, dass die Bewerber aktuell und regelmäßig in ihrem Fachgebiet tätig sind. Um Härtefälle wie Mutterschutz, Elternzeit oder schwere Erkrankungen zu berücksichtigen, wurde 2009 eine flexible Regelung eingeführt, die eine Verlängerung des Zeitraums um bis zu 36 Monate ermöglicht. Nicht anerkannt werden hingegen alltägliche berufliche Herausforderungen wie hohe Arbeitsbelastung oder Personalwechsel. Die Beweislast für einen Härtefall liegt beim Antragsteller. Fälle, die während eines anerkannten Härtezeitraums bearbeitet wurden, können dennoch angerechnet werden.

Das Nachreichen von Fällen nach Antragstellung ist bis zum Abschluss eines möglichen Klageverfahrens möglich. Allerdings darf der Drei-Jahres-Zeitraum dadurch nicht künstlich verlängert werden. Werden nachträglich Fälle eingereicht, verschiebt sich der Referenzzeitraum entsprechend, sodass ältere Fälle möglicherweise aus der Bewertung herausfallen. Dadurch kann es passieren, dass am Ende nicht genügend anerkannte Fälle übrigbleiben, um die Fachanwaltschaft zu erlangen.

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2. Das Fachgespräch – Chance, Bedrohung oder „Luftnummer“?

Gemäß § 7 Abs. 1 FAO kann der Vorprüfungsausschuss ein Fachgespräch ansetzen, wenn Unklarheiten oder Zweifel an den eingereichten Nachweisen bestehen. Grundsätzlich soll darauf jedoch verzichtet werden, sofern eine Beurteilung auch ohne mündliche Prüfung möglich ist. Der BGH stellt klar, dass das Fachgespräch keine eigenständige Prüfung der fachlichen Qualifikation darstellt, sondern nur eine ergänzende Grundlage für die Bewertung darstellt. Die Unklarheit darüber, wann genau ein Fachgespräch notwendig ist und welche Defizite dadurch ausgeglichen werden können, führt in der Praxis dazu, dass es nur selten durchgeführt wird. Viele Ausschüsse meiden das Risiko, eine Ablehnung auf ein gescheitertes Fachgespräch zu stützen, da diese vor Gericht oft keinen Bestand hat.

Trotzdem bietet das Fachgespräch in Ausnahmefällen eine Möglichkeit, fehlende Nachweise auszugleichen. Der BGH hält es für zulässig, ein Fachgespräch anzusetzen, wenn Zweifel an der Fallzahl oder der Gewichtung einzelner Fälle bestehen, sofern diese durch eine reine Aktenprüfung nicht geklärt werden können. Gleichzeitig verliert der Antragsteller durch die Zustimmung zu einem Fachgespräch nicht die Möglichkeit, später geltend zu machen, dass seine schriftlichen Nachweise ausgereicht hätten. Dennoch bleibt die Resonanz auf diese Möglichkeit in der Praxis gering.

Dr. Susanne Offermann-Burckart
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Rechtsanwältin Dr. Susanne Offermann-Burckart war viele Jahre (Haupt-) Geschäftsführerin zweier großer Rechtsanwaltskammern und kennt das „Fachanwalts-Geschäft” deshalb aus dem Effeff. Außerdem hat sie als langjähriges Mitglied des Ausschusses 1 der Satzungsversammlung die FAO entscheidend mitgeprägt. Dr. Offermann-Burckart berät bundesweit  in Fragen des Gesellschaftsrechts, des Rechts der Versorgungswerke und der Befreiung von der DRV sowie des Berufs- und Haftungsrechts.

Bild: Adobe Stock©kite_rin

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