
Unter dem Motto „Digitale Welt“ fand vom 5. bis 7. Juni 2024 in der Stadthalle Bielefeld der Deutsche Anwaltstag statt. Zahlreiche spannende Vorträge und Möglichkeiten zum Netzwerken wurden begleitet von der AdvoTec, auf der Softwareanbieter, Verlage, Start-ups und Co. vertreten waren. Die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz machen auch vor der Rechtsbranche nicht halt und so fanden sich die Themen KI und Digitalisierung auch in den Vorträgen wider. Doch nicht nur KI gehörte zu den heiß diskutierten Themen. Einen Einblick in ausgewählte Vorträge gibt es in diesem Veranstaltungsbericht.
Hello World – die Eröffnungsveranstaltung des DAT 2024
Wie sind das Recht und neue Technologien miteinander in Einklang zu bringen? Das war die übergeordnete Frage der diesjährigen Eröffnungsveranstaltung des DAT 2024.
In der Eröffnungsrede betonte DAV-Präsidentin Dr. Edith Kindermann, auch anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetztes, die fundamentale Bedeutung des Rechts als Regelwerk für das menschliche Zusammenleben. Vor dem Spannungsfeld zwischen digitaler und analoger Welt hob sie hervor, dass trotz fortschreitender Digitalisierung der menschliche Aspekt im Recht nie verloren gehen dürfe. Kindermann lobte außerdem den neuen AI Act und unterstrich die Notwendigkeit, die ethischen Grenzen des Machbaren auszuloten. Der neue rechtliche Rahmen des AI Act zielt darauf ab, die Sicherheit von KI-Systemen zu stärken und bietet eine regulatorische Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Und das sei nötig, denn alles, was digitalisiert werden kann, würde früher oder später digitalisiert, so Kindermann.
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann folgte ihr mit einer Rede, in der er dazu aufrief, den Rechtsstaat nicht schwächer zu reden, als er ist. Außerdem sprach er ein ganz praktisches Thema an, das viele der Anwesenden interessiert haben dürfte: Die Veröffentlichung des Referentenentwurfs zur geplanten RVG-Erhöhung solle in den nächsten Tagen erfolgen.
Prof. Dr. Marie Herberger von der Universität Bielefeld nahm die Besucher:innen nach der Begrüßung mit „Hello World“ (einem Ausspruch aus der die Pionierzeit der Computer-Ära) mit auf eine virtuelle Reise in die digitale Welt zwischen Automation und Verfassung. Sie betonte u. a., dass die Ordnung des Wissens auch in der digitalen Welt die Hauptaufgabe bleibe.
ChatGPT, Harvey & Co: Warum Jurist:innen auch in der Ära generativer KI unverzichtbar sind
KI ist ein Thema, das auch junge Jurist:innen viel beschäftigt. So war es nicht verwunderlich, dass die von Alisha Andert moderierte Podiumsdiskussion zu diesem Thema gut besucht war. Die erste Frage, die sich das Podium stellte, war: Warum gibt es seit letztem Jahr einen solchen Hype um KI? Als Antwort auf diese Frage wurden drei Gründe genannt:
- Mit ChatGPT von OpenAI ist eine KI auf den Markt gekommen, die einfach zugänglich ist, d. h. jedem zur Verfügung steht.
- Neben der einfachen Zugänglichkeit bietet ChatGPT auch eine einfache Anwendbarkeit. Auch Unternehmen können das vortrainierte Sprachmodell von OpenAI sehr einfach und ohne zusätzliche Kosten nutzen.
- Die Fähigkeiten von ChatGPT: ChatGPT kann „wahnsinnig gut“ mit Texten umgehen.
Dr. Oliver Hofmann, Leiter der Abteilung Legal Tech beim Beck-Verlag, berichtete außerdem über das neue KI-Tool „beck-chat“, das es ermöglicht, mit den Inhalten der Datenbank von Beck Online zu interagieren.
So ist beim beck-chat in der ersten Testphase schon das Problem aufgetreten, dass die Nutzer:innen weiterhin normale Suchbegriffe in das Suchfenster eingeben, wie sie es von der Stichwortsuche gewohnt sind. Viele Menschen müssen noch lernen, mit KI und der daraus resultierenden neuen Arbeitsweise umzugehen. Künstliche Intelligenz erfordert ein Umdenken.
Abschließend stellte das Panel fest, dass die Entwicklung von KI noch am Anfang stehe und Jurist:innen natürlich nicht durch KI ersetzt werden könnten. Es sei aber auch keine Lösung, KI einfach zu ignorieren. Das Panel empfahl gerade jungen Jurist:innen, sich die Grundlagen von KI anzueignen, viel auszuprobieren und dabei kritisch zu bleiben. Wenn einen das Thema sehr interessiere, sei es auch sinnvoll, sich in diesem Bereich zu spezialisieren.
Geldwäsche: Die Anwaltschaft muss sensibilisiert werden
Für Diskussionsstoff abseits des Themas KI sorgte am Freitagvormittag ein Vortrag von Rechtsanwalt und Mediator Dr. Marcus Bauckmann zum Thema: GwG – aus der Praxis für die Praxis: „Ich habe doch mit Geldwäsche nichts zu tun!“. Denn, so verkündete der Referent zu Beginn: Deutschland gilt als Paradies für Geldwäsche – Grund dafür ist unter anderem das nahezu unvorstellbare Phänomen, dass bis zum Frühjahr letzten Jahres Immobiliengeschäfte und Unternehmenstransaktionen noch in bar abgewickelt werden konnten. Die Einhaltung des Geldwäschegesetzes wird nun landesweit stärker kontrolliert. Dabei verlagert der Staat die Ermittlungsarbeit von den Behörden auf die Verpflichteten – so auch die Anwaltschaft.
In bestimmten Rechtsgebieten haben Anwältinnen und Anwälte ohnehin häufiger mit Finanztransaktionen oder dem Kauf und Verkauf von Immobilien zu tun und sind daher bereits sensibilisiert – doch die Bandbreite an Fällen, in denen sie zu Verpflichteten nach dem Geldwäschegesetz werden, ist größer als man denkt. Das warf beim Publikum zurecht Fragen auf: Bin ich als Familienrechtler Verpflichteter, wenn ich für den Verkauf einer Immobilie nach einer Scheidung zuständig bin? Was muss ich beachten, wenn ich Unternehmen in Risikoländern berate? Fest steht: Man gerät schneller in den Kreis der Verpflichteten als man denkt – Aufklärungsbedarf besteht also weiterhin.
Anwaltsmarkt 2024: Wohin steuert die Anwaltschaft?
Getreu der Tradition hielt Prof. Dr. Matthias Kilian auch in diesem Jahr seinen Vortrag zu aktuellen Entwicklungen auf dem Anwaltsmarkt. Dabei wurde deutlich, dass sich eine Entwicklung fortsetzt, die bereits beim letzten DAT angesprochen wurde: Die Anwaltschaft schrumpft und altert.
Der Rückgang der Berufsträgerinnen und Berufsträgern vollzieht sich übrigens regional sehr unterschiedlich. Während der Rückgang in den Städten, in denen die großen Wirtschaftskanzleien ansässig sind, am schwächsten ist, ist er in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern am stärksten zu spüren.
Auch die Alterung der Anwaltschaft setzt sich fort: 63 Prozent der Anwältinnen und Anwälte sind inzwischen über 50 Jahre alt. Auch hier gibt es regionale Unterschiede: In Sachsen-Anhalt ist das Durchschnittsalter mit 55,5 Jahren am höchsten.
Die Schrumpfung der Anwaltschaft wird auch dadurch verstärkt, dass sich immer mehr junge Menschen nicht für das „klassische Jurastudium“, sondern für juristische Bachelor-Studiengänge entscheiden. Prof. Dr. Kilian stellte zudem die berechtigte Frage, ob nicht auch diejenigen, die ihr Staatsexamen endgültig nicht bestanden haben, in der Rechtsbranche ihren Platz finden können.
Fazit: Die Anwaltschaft steht vor einem Umbruch
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich der KI, die steigenden Anforderungen an Berufsträgerinnen und Berufsträgern und eine in den nächsten zehn Jahren anstehende Rentenwelle der Babyboomer machen deutlich: Die Arbeit und die Demographie der Anwaltschaft werden sich verändern. Und wie in der Podiumsdiskussion zum Thema KI erwähnt: Diese Entwicklungen zu ignorieren ist keine Lösung. Anpassungsfähigkeit ist auch in konservativen Branchen also mehr denn je gefragt, um den Herausforderungen der Zukunft erfolgreich begegnen zu können.